Jetzt wird es auch der Schweiz langsam ungemütlich: Nachdem die USA und verschiedene europäische Staaten ihre Landsleute zum Verlassen der Ukraine aufgefordert hatte, warnt auch das Aussendepartement (EDA) vor Reisen in das Land. Die 257 in der Ukraine lebenden Schweizer und Schweizerinnen müssten zwar individuell entscheiden, ob sie ausreisen wollten oder nicht. Das EDA weist jedoch darauf hin, dass es bald keine Flüge mehr geben könnte. «KLM hat die Flüge schon gecancelt – warten Sie nicht», sagte Aussenminister Ignazio Cassis bei einer Veranstaltung im Beisein des österreichischen Bundeskanzlers Karl Nehammer.
Schätzungen gehen davon aus, dass Russlands Streitmacht an der Grenze zur Ukraine mittlerweile auf 140'000 Mann angewachsen ist und jederzeit losmarschieren könnte. Laut dem US-Auslandsgeheimdiensts CIA könnte dies bereits an diesem Mittwoch, dem 16. Februar passieren. Vielleicht will Putin ja bloss noch abwarten, was ihm der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz morgen bei seinem Besuch in Moskau zu sagen hat.
Und dann? Wie würde Rest-Europa und der Westen auf die russische Aggression reagieren und ist man überhaupt ausreichend vorbereitet? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten:
Keine. Kein Land in Europa ist bereit, eigene Truppen in die Ukraine zu schicken. Die USA auch nicht. Dass der Westen Unterstützung aus der Luft leisten wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Thema. Was verschiedene Länder aber tun: Sie liefern Defensivwaffen, um die ukrainische Armee zu stärken. Aus Washington sind in den vergangenen Wochen hunderte Tonnen an Munition und Javelin-Panzerabwehrwaffen in Kiew eingetroffen. Zuletzt sendete Litauen moderne Stinger-Luftabwehrraketen. An solchen Waffen gegen Panzer- und Luftangriffe fehlt es der Ukraine zurzeit am meisten. Ausserdem haben die Nato und die USA ihre Präsenz in den östlichen Allianz-Staaten wie Polen und Rumänien verstärkt.
Mit Wirtschaftssanktionen von «ungekanntem Ausmass», wie die EU, Grossbritannien und USA bei jeder Gelegenheit wiederholen. Ein solches Sanktions-Paket ist weitgehend geschnürt und muss von den Staats- und Regierungschefs nur noch «abgeschossen» werden. Sie treffen sich am Donnerstag in Brüssel zu einem zweitägigen EU-Afrika-Gipfel. Im Notfall könnte dieser schnell zum Ukraine-Krisengipfel umgestaltet werden. Gleichzeitig tagen am Donnerstag die Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. Im Gegensatz zur Krim-Invasion von 2014 also, wo die europäischen Staaten auf dem falschen Fuss erwischt wurden, ist eine sofortige Reaktion sicher.
Man muss damit rechnen, dass Putin als Reaktion auf die Sanktionen den Europäern den Gashahn abdrehen könnte. Dann würden rund 40 Prozent des in Europa verbrauchten Gases fehlen und die Untertagespeicher könnten bereits Ende März leer sein. Zusammen mit den USA sucht die EU deshalb mit Hochdruck nach Alternativen in der Form von LNG-Flüssiggas. Das Problem: In Europa fehlt es an Infrastruktur, um die grossen LNG-Tankschiffe aus den USA andocken zu lassen. Und: Das europäische Gasnetz ist eher für den Transport von Ost nach West statt in umgekehrter Richtung ausgelegt. Als weitere Gegenmassnahme könnte Russland seinen Luftraum für westliche Airlines inklusive Überflügen sperren.
US-Militärkreise gehen bei einer grossangelegten Invasion von 50’000 Toten und bis zu fünf Millionen ukrainischer Flüchtlinge aus. Auch wenn solche Zahlen nur schwer vorherzusagen sind: Denkbar ist tatsächlich, dass es zu einer ukrainischen Massenflucht in die umliegenden EU-Länder Polen, Ungarn, Rumänien und die Slowakei kommen würde. In Polen ist man bereits daran, für ein solches Szenario Vorbereitungen zu treffen, kündigte Innenminister Mariusz Kaminiski auf Twitter an. Und auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban warnt, dass hunderttausende von ukrainischen Flüchtlingen nach Ungarn kommen könnten. Anders als bei der Flüchtlingskrise 2015 könnten osteuropäische Länder dieses Mal an einer europaweiten Verteilung von Schutzsuchenden interessiert sein. (aargauerzeitung.ch)