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Der russische Präsident Wladimir Putin hat sein Land in einen
korrupten Mafia-Staat verwandelt und macht es so zur grössten Gefahr für Europa.
04.03.2016, 13:5227.08.2019, 15:53

Folgen
Putins Ideologie
Wladimir Putin hat
nichts mit Karl Marx am Hut. «Seit dem Untergang der Sowjetunion hat es beim
russischen Regime einen massiven Ideologie-Wechsel gegeben», stellt der
Russland-Kenner Walter Laqueur in seinem Buch «Putinismus» fest. «Der Kommunismus
wurde ersetzt durch russischen Nationalismus und die Glorifizierung des starken
Staates.»
Putin und die Kirche

Putin begrüsst einen Würdenträger der orthodoxen Kirche.Bild: Alexander Zemlianichenko/AP/KEYSTONE
Kein Wunder also, lässt
sich Putin regelmässig mit Popen der erzkonservativen orthodoxen Kirche
ablichten. Zu seinen bevorzugten weltlichen Vordenkern gehören Ivan Ilyin und
Alexander Gelyevich Dugin.
Verschwörungstheoretiker und Faschisten
Ilyin war ein fanatischer russischer Nationalist,
der nach der Oktoberrevolution vor den Kommunisten fliehen musste. Zunächst
lebte er in Berlin, wo er sich für eine Verbrüderung zwischen Hitler und Stalin
einsetzte. Später wurde er von den Nazis ausgewiesen und reiste in die Schweiz.
Seinen Sympathien für den Faschismus tat dies keinen Abbruch.
Nach dem Zweiten
Weltkrieg bedauerte er die taktischen Fehler, die Hitler begangen hatte, und
hoffte darauf, dass Franco in Spanien sie zu vermeiden wusste. Putin hat die
sterblichen Überreste Ilyins nach Russland überführen lassen und hat 2014
seinen Getreuen ans Herz gelegt, dessen Buch «Unsere Mission» zu lesen.

Träumt von einer russisch beherrschten Welt: Der Philosoph Alexander Dugin.Bild: AP
Noch bizarrer ist die
Figur von Dugin. In seiner Jugend gehörte er einer kleinen Gruppe an, der die
SS als Vorbild diente. Heute vertritt er eine obskure antisemitische Verschwörungstheorie
und wettert gegen die Globalisierung und den Liberalismus. Verbunden damit ist
das Ideal des Eurasinismus, ein von
Wladiwostok bis Lissabon reichender Staatenbund unter russischer Führung.
Putins Hass auf die USA

Bild: EPA/RIA NOVOSTI POOL
Putin hasst die
Vereinigten Staaten so sehr, dass er sich meist weigert, ihren Namen
auszusprechen. Für ihn befindet sich die Welt am Rande des Abgrundes. Schuld
daran sind die USA. Er selbst sieht sich in der Rolle eines Retters.
Allerdings könnte es
auch sein, dass Putin mit seinen Tiraden gegen die USA von seinen eigenen,
wirtschaftlichen Schwächen ablenken will. Seit der Ölpreis in den Keller
gerasselt ist, befindet sich die russische Wirtschaft in einer schweren
Rezession. Die angebliche westliche Aggression kommt daher sehr gelegen.

Putin in Syrien: «Das strategische Ziel von Putin ist der Krieg selbst.»Bild: Pavel Golovkin/AP/KEYSTONE
Die Kriegspropaganda
in den russischen Medien hat hysterische Ausmasse angenommen. Das Land befindet
sich mental bereits in einem Dritten Weltkrieg. «Das strategische Ziel von
Putins Kriegen ist der Krieg selbst», warnt Masha Gessen, eine führende
russische Journalistin und Putin-Biografin. «Das gilt für die Ukraine genauso
wie für Syrien. Beide Konflikte sind Kriege, bei denen sich kein Ende
abzeichnet, weil in den Augen von Herrn Putin Russland sich nur dann im Frieden
fühlen kann, wenn es sich im Kriegszustand befindet.»
«Das strategische Ziel von Putins Kriegen ist der Krieg selbst.»
Marsha Gessen, Putin-Biografin
Putins innerer Kreis der Macht
Die Politologie-Professorin
Karen Dawisha hat in ihrem Buch «Putin’s Kleptocracy» den Aufstieg Putins zur
Macht minutiös dokumentiert. Sie stellt dabei fest, dass er sich seit Beginn
der Neunzigerjahre in St.Petersburg auf einen kleinen, verschworenen inneren
Kreis stützt.
Putins Aufstieg zur Macht war kein Zufall
Putins Aufstieg wird
gelegentlich als Zufall in der chaotischen Jelzin-Ära bezeichnet. Dawisha lehnt
diese These entschieden ab. «Putins Geschichte ist nicht die Geschichte von
Cowboy-Kapitalismus», hält sie fest. «Es ist die Geschichte eines extrem fähigen
Politikers, der es verstanden hat, eine Gruppe von Individuen um sich zu
scharen, die sich Russland verpflichtet
fühlen, aber noch mehr fühlen sie sich dazu verpflichtet, ihr eigenes Überleben
und ihren Reichtum zu sichern.»

Meist betrunken: Boris Jelzin, Putins Vorgänger, im Kreml.Bild: Keystone
Putin hat es
verstanden, die russische Mafia, den Geheimdienst und die Oligarchen unter
einem Hut zu vereinen. Heute wird er von einer Prätorianergarde von ehemaligen
KGB-Leuten, den sogenannten «Siloviki», beschützt.
Er setzt dabei auf
das Prinzip der Gegenseitigkeit: Wer mir treu dient, wird auch belohnt. Das hat
sich ausbezahlt. «Seine Freunde haben ihn nie in der Öffentlichkeit kritisiert,
sie haben seine Feinde beiseite geschafft und sie bezahlten ihm Tribut.»
Putins Reichtum
Gazprom ist eine der
grössten Publikumsgesellschaften der Welt und trägt rund acht Prozent zum
russischen Bruttoinlandsprodukt bei. Im Jahr 2011 machte Mikhayl Krutikhin von
der Beratungsfirma RusEnergy eine erstaunliche Aussage:
«Gazprom hat einen Manager: Putin.»
Mikhayl Krutikhin, russischer Erdgas-Manager

Putin und Gazprom-Chef Alexei Miller.Bild: EPA/SPUTNIK POOL
Selbstverständlich
kann diese Aussage nicht verifiziert werden. Dass zwischen Gazprom und dem
Kreml enge Bande bestehen, ist unbestritten. Premierminister Dmitri Medwedew war
einst CEO von Gazprom. Generell ist die Konkurrenz im Öl- und Gasgeschäft ausgeschaltet
worden.
Der ehemalige Yukos-Chef Michail Chodorkowski wurde zuerst ins
Gefängnis geworfen und dann ins Ausland vertrieben. Er lebt heute in
Rapperswil.
Einige Oligarchen der
ersten Stunde haben das gleiche Schicksal erlitten, selbst der inzwischen
verstorbene Boris Beresowski, der Putin bei Jelzin eingeführt hat. Nur die
Oligarchen, die sich Putin bedingungslos unterwerfen, können sich weiter ihres
Reichtums erfreuen. Der bekannteste von ihnen ist der Chelsea-Besitzer Roman
Abramowitsch oder der in der Schweiz nicht ganz unbekannte Wiktor Wekselberg.
Ist Putin der reichste Mann der Welt?
Vertrieben wurde auch
der US-Hedge-Fund-Manager Bill Browder. Er hat zunächst mit Putin kooperiert,
fiel dann jedoch in Ungnade und musste Russland verlassen. Browder ist
überzeugt, dass Putin der reichste Mann der Welt ist, und schätzt sein Vermögen
auf über 200 Milliarden Dollar ein.
Für die Putin-treuen
Oligarchen ist Russland ein Paradies. Der durchschnittliche Russe ist gemäss
Dawisha ärmer als der durchschnittliche Chinese oder selbst der
durchschnittliche Inder. «Russland ist das Land, in dem die Superreichen den
grössten Schutz geniessen», schreibt sie. «Ohne persönliches Eingreifen von
Putin wäre das nicht möglich.»
Putin und die Medien
Als Putin kurz nach
seinem Amtsantritt als Präsident im Jahr 2000 ans Schwarze Meer nach Sotchi in die Sommerferien verreiste, spielte sich in der nördlichen Barentssee eine
Tragödie ab. Das Atom-Unterseeboot Kursk mit 118 Mann an Bord war gesunken. In
einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit versuchten nationale und
internationale Hilfstrupps das Leben der Matrosen zu retten.
Putin liess dies
kalt. Er sah zunächst keinen Grund, seinen Urlaub abzubrechen. Erst als er
dafür in den Medien immer heftiger kritisiert wurde, begab er sich an die
Küste, sprach zu den aufgebrachten Hinterbliebenen und warf sich in die Pose
des Retters in höchster Not. Vergeblich: Alle 118 Insassen waren bereits tot.

Das Unterseeboot Kursk. Als es sank, wollte Putin seinen Urlaub zunächst nicht unterbrechen. Bild: EPA
Der Fall Kursk war
der Auftakt zu einer umfassenden Säuberung und Gleichschaltung der russischen
Medien. Unliebsame Journalisten verloren nicht nur ihren Job, sondern
gelegentlich auch ihr Leben. Schlagzeilen machte dabei der Fall von Anna
Politkowskaja. Sie hatte Putins grausamen Tschetschenienkrieg kritisiert. Im
Oktober 2006 wurde sie im Treppenhaus ihrer Wohnung ermordet aufgefunden.
Die Medien sind gleich geschaltet
Inzwischen haben Zensoren
und Mafiosi ganze Arbeit geleistet. Die Medien sind gleichgeschaltet. Der
russische Soziologe Igor Eidman stellte kürzlich in der NZZ fest: «Ich selber
habe in Moskau lange Jahre in den Bereichen PR und Politikberatung gearbeitet,
auch in der Duma (dem russischen Parlament, Anm. d. Red.), und selber gesehen,
wie damit schrittweise die demokratischen Institutionen kaputtgemacht wurden: Freie Wahlen, freie Opposition, freie Presse, unabhängige öffentliche Meinung
gibt es in Russland nicht mehr.»

Putin beim Besuch der Redaktion des Propaganda-Senders «Russia Today».Bild: AP/POOL SPUTNIK KREMLIN
Eidman weist auch auf ein
weiteres Phänomen hin, die sogenannten Putin-Trolls. Via YouTube
verbreitete TV-Sender wie «Russia Today» und gekaufte Kommentare in den
Sozialen Medien wird russische Propaganda systematisch verbreitet. «Mit der
Korruption, von der sein ganzes System durchsetzt ist, will Putin die gesamte
EU infizieren», so Eidman. «Stillschweigend wird das demokratische Staats-und
Rechtswesen nach dem Modell Russland untergraben. Dort hat die staatliche
Propaganda die Begriffe Liberalismus und Toleranz praktisch zu Schimpfwörtern
degradiert.»
Putins Grausamkeit
Wer sich mit Putin
anlegt, lebt gefährlich. Nicht nur Journalisten werden umgebracht, auch
Oppositionspolitiker wie Boris Nemtsow, der vor Jahresfrist angeblich von
Tschetschenen in der Nähe des Kremls ermordet wurde.
Der wohl
spektakulärste Fall betrifft indes Alexander Litwinenko. Er war wie Putin einst
Mitglied des russischen Geheimdienstes KGB, der heute FSB heisst. Litwinenko
wurde jedoch kein Silovik, er ging auf Distanz, mehr noch, er begann, kritische
Fragen zu stellen, beispielsweise zum Tod von Anna Politkowskaja.

Vom russischen Geheimdienst vergiftet: Der ehemalige Spion Alexander Litwinenko.Bild: AP
Litwinenkos ungeheuerliche These
Vor allem jedoch
vertrat er eine für Putin untolerierbare These: Die Anschläge auf mehrere
Hochhäuser in Moskau im Herbst 1999 seien nicht – wie offiziell behauptet – von Tschetschenen,
sondern vom FSB selbst verübt worden. Damals starben hunderte von Zivilisten.
Die vermeintlichen Terrorakte waren der Auftakt zum russischen Feldzug gegen
den aufmüpfigen Teilstaat im Kaukasus. Dabei wurde die Hauptstadt Grosny – wie
heute etwa Aleppo – ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in die Steinzeit
zurückgebombt.

Im Gefängnis zu Tode geprügelt: Anwalt Sergej Magnitski.
Litwinenko wurde im
November 2006 in London auf besonders perfide Art umgebracht. Das oberste
englische Gericht hält es für erwiesen, dass zwei russische Geheimagenten
seinen Tee mit dem radioaktiven Polonium-210 vergiftet hatten. Obwohl die Namen
der beiden Mörder bekannt sind, weigert sich Russland, sie auszuliefern.
Ebenfalls sehr
bekannt ist der Fall des Anwalts Sergej Magnitski. Er verteidigte die
Interessen des Hedge-Fund-Managers Bill Browder und wurde in einem Moskauer
Gefängnis zu Tode geprügelt. Der Fall Magnitski hatte politische Konsequenzen: Ende
2012 verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das die Bestrafung der
Schuldigen in diesem Fall einforderte. Der Magnitski-Act bildet die Grundlage
für die Liste der Namen, die heute auf der Sanktionsliste gegen Russland
stehen.
Putins Ziel

Putin im Kreise seiner Generäle.Bild: Ivan Sekretarev/AP/KEYSTONE
Nichts soll Putin
mehr in Rage gebracht haben als eine saloppe Bemerkung von US-Präsident Barack
Obama, Russland sei eine «regionale Macht» geworden. Die Russen wollen eine Grossmacht sein, und
Putin setzt alles daran, diesen Wunsch zu erfüllen. Obwohl das Land
wirtschaftlich am Boden liegt, lässt er deshalb aufrüsten, vor allem auch die
Atomstreitmacht. Er lässt neue hochmoderne Atom-Unterseeboote bauen und
erneuert die landgestützten Interkontinentalraketen. Ähnlich wie im Kalten
Krieg entsteht so wieder ein «Gleichgewicht des Schreckens» mit den USA.
Politisch will Putin
die EU destabilisieren. Deshalb unterstützt er populistische Parteien, angefangen
vom französischen Front National bis hin zur faschistischen Griechen-Partei
«Goldene Morgenröte».
Putins durchgeknallte
Philosophen wie Dugin träumen von einer Partnerschaft zwischen Russland und
Deutschland, mit der die vermeintliche Vorherrschaft der Angelsachsen endlich
gebrochen werden soll.
Wird Putin der neue Fürst Metternich?
Das geht dem
Politologen und Russlandexperten Mitchell Orenstein zu weit. Er glaubt, dass
Putin sich als eine Art moderne Version des Strippenziehers am Hof von Wien, Fürst
von Metternich, sieht. Dieser erzreaktionäre
Intrigant hatte nach der Niederlage Napoleons grossen Einfluss auf das
Schicksal von Europa. «In einem Europa der Nationalstaaten könnte Russland
die Rolle einer Ordnungsmacht und Putin die Rolle von Fürst von Metternich
spielen», glaubt Orenstein.
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