Am Donnerstagmorgen startete Russland den Krieg gegen die Ukraine. Was bedeutet das für die Wirtschaft, Schweizer Firmen und Mitarbeitende vor Ort? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Russland ist militärisch eine Supermacht, wirtschaftlich hingegen ist es das nicht. Gemessen am Bruttoinlandprodukt findet sich das Land nur auf dem elften Platz wieder – hinter Südkorea, noch vor Brasilien. Doch seine Rohstoffe sind von grösserer Bedeutung für Europa und die Weltwirtschaft. Russland ist der dominierende Anbieter von Gas für Europa, es liefert zwischen 30 und 40 Prozent des europäischen Gases. Es zählt zu den grössten Ölproduzenten der Welt. Und es ist ein wichtiger Lieferant von Rohstoffen, die in der Industrie verwendet werden: Nickel, Palladium, Aluminium. All diese Güter sind bereits teurer geworden in den letzten Wochen. Nach dem Angriff Russland auf die Ukraine scheint klar: Sie werden tendenziell weiter steigen.
Denn welche Sanktionen nun der Westen genau ergreifen wird und wie sich diese im Detail auswirken werden, wird sich erst zeigen müssen. Doch eines lässt sich wohl vorwegnehmen: Russland wird isoliert werden, es wird eine Verknappung geben alle jener Güter, die Russland bisher exportiert hat. Europa beispielsweise wird seine Abhängig von russischem Gas radikal abbauen wollen. Und solche geopolitischen Bewegungen werden auch an der Schweiz nicht spurlos vorbeigehen. Die Schweiz mag wenig oder gar kein Gas direkt von Russland beziehen, aber wenn Deutschland auf dem europäischen Markt kurzfristig nach einem Ersatz für russische Importe sucht, dann steigen auch für die Schweiz die Preise. Das sind tendenziell schlechte Nachrichten für Haushalte, die mit Gas heizen müssen. Rund 40 Prozent des schweizerischen Gasverbrauches wird von Haushalten verheizt.
In den nächsten Wochen wird es keinen unmittelbaren Preisschub geben für private Haushalte. Wie der Verband der Schweizerischen Gasindustrie auf Anfrage sagt, ist die Gasversorgung in der Schweiz gesichert. Und zwar steigen die Preise gerade, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hat. Doch zugleich liegen sie noch immer weit tiefer als im Dezember letzten Jahres. Kommt dazu: in den Gaspreisen, die Schweizer Haushalten verrechnet werden, sind noch andere Kosten enthalten: öffentliche Abgaben und Netznutzungsbühren. Dadurch schlagen steigende Preise für Gas nicht mit voller Wucht auf die Endpreise durch. Dennoch: Gas dürfte teuer bleiben, die Zeiten billigsten Gases sind erst einmal passé.
«Russland ist ein wichtiger Handelspartner der Schweiz», sagt Michael Kühn, Osteuropa-Experte der Organisation S-GE, welche im Auftrag des Bundes Schweizer Export-Firmen beratend zur Seite steht. Das Handelsvolumen beträgt jährlich 4.7 Milliarden Franken. Vor allem in den vergangenen drei, vier Jahren hätten sich die wirtschaftlichen Beziehungen zur weltweit elftgrössten Volkswirtschaft sehr gut entwickelt. «Nach der Krim-Krise 2014 passierte während drei bis vier Jahren wenig», sagt Kühn. Zahlreiche Projekte seien danach gestoppt worden. Und die starke Abwertung des Rubels führte dazu, dass Schweizer Produkte und Dienstleistungen für die russische Kundschaft zu teuer wurden. «Danach tauchte Russland aber wieder auf dem Radar der Schweizer Firmen auf.»
Im aktuellsten Wirtschaftsbericht des Bundes vom November zu Russland heisst es denn auch, dass hiesige Wirtschaftsakteure «auf ein sehr gutes Jahr» zurückblicken. Der Anteil von Einfuhren aus der Schweiz an den Gesamtimporten Russlands liegt bei 1.2 Prozent. Damit ist die Schweiz an 19. Stelle, hinter Finnland und vor Österreich. «Insbesondere im Bau-, Rohstoff-, Transport-, Gesundheits- und Lebensmittelbereich konnten die aufgestaute Nachfrage und die Konjunkturgelder erfolgreich abgeschöpft werden.» Russland ist für die Schweiz weltweit der 23. Handelspartner für den Güterhandel. Die Schweiz importiert vor allem Edelmetalle.
Die Luxusgüterindustrie hat laut Bericht zudem von den eingeschränkten Reisemöglichkeiten während der Pandemie profitiert, da etwa Schweizer Uhren vermehrt «zu Hause» und nicht in den Auslandsferien gekauft worden seien. «Auch bauen derzeit etliche Schweizer Unternehmen ihr Russlandgeschäft aus. (...) Das Potenzial für die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist klar vorhanden.» Drohende Eskalationen mit der Ukraine werden nicht erwähnt.
So hat der Schweizer Milchverarbeiter Emmi in den vergangenen Jahren zunehmend Käsespezialitäten nach Russland exportiert, nicht aber in die Ukraine, wie Konzern-Sprecher Markus Abt sagt. Die Menge sei marginal und direkte Auswirkungen spüre man noch keine, aber man sehe bereits indirekt negative Effekte beispielsweise bei steigenden Energiepreisen.
Laut Kühn droht nach der aktuellen Eskalation erneut eine Delle im Exportgeschäft, die mindestens so lange andauern dürfte wie nach der Krim-Krise, «wenn nicht sogar deutlich länger». Am Donnerstagmorgen sei bereits ein Projekt auf Eis gelegt worden. «Ich befürchte, dass nun weitere folgen.» S-GE habe schon mehrere Anrufe von KMUs erhalten, die Verunsicherung sei spürbar.
Gemäss dem aktuellsten Wirtschaftsbericht des Bundes zur Ukraine vom Juli 2021 konnte sich der bilaterale Handel mit der Schweiz während der Covid-Krise gut behaupten und stieg um 7.6 Prozent auf 696 Millionen Franken an. Schweizer Exporte von pharmazeutischen Produkten machen fast die Hälfte davon aus und wuchsen 2020 um 40 Prozent. Im Gegenzug importiert die Schweiz vor allem Textilien und Edelmetalle aus der Ukraine.
Laut Michael Kühn von S-GE haben sich auch die ukrainischen Wirtschaftsbeziehungen in den vergangenen Jahren seit der Krim-Krise positiv entwickelt – jedoch nicht so sehr wie jene mit Russland. «In Bezug auf die Ukraine waren die Vorbehalte bei Schweizer Firmen stärker zu spüren.» Insofern, glaubt Kühn, dürfte das angegriffene Land auch in den kommenden Jahren länger benötigen, um für ausländische Investoren und Exporteure wieder attraktiv zu werden.
Rund 130 Schweizer KMUs sind gemäss S-GE in der Ukraine vor Ort mit eigenen Betrieben vertreten. Insgesamt hat sich schon ein gutes Dutzend Firmen, welche in die zwei Länder exportieren, bei der Organisation gemeldet. «Ihnen raten wir aktuell so gut wie möglich Ruhe zu bewahren, die aktuell gültigen Schweizer Bestimmungen regelmässig zu überprüfen und auf allfällige Lieferkettenunterbrüche, sei es beim Land- oder Luftweg, vorbereitet zu sein.» Auch der Kontakt mit dem Eidgenössischen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sei wichtig, um allfällige Sanktionsmassnahmen einzuhalten.
Zu den Firmen, die in der Ukraine produzieren, gehört der Sanitärkonzern Geberit aus Rapperswil-Jona SG. Das Produktionswerk befinde sich weit im Westen des Landes und damit vom eigentlichen Eskalationsgebiet entfernt, sagt Sprecher Roman Sidler. «Stärker betroffen ist unsere ukrainische Vertriebsgesellschaft mit Hauptsitz in Kiew.» Die Situation sei unsicher und unstabil. «Wir sind in engem Kontakt mit den lokalen Verantwortlichen. Unsere Priorität ist es, die lokalen Mitarbeitenden so weit wie möglich zu unterstützen und zu schützen.»
In der Ukraine tätig ist auch Nestlé. «Die Sicherheit und der Schutz unserer Mitarbeiter haben oberste Priorität», sagt eine Sprecherin (CH Media berichtete). «Darum haben wir unsere Fabriken, Lager und die Lieferketten in der Ukraine vorübergehend geschlossen. Wir haben unseren Mitarbeitenden empfohlen, zu Hause zu bleiben und die Anweisungen der Behörden zu befolgen».
Die Vetropack Holding AG hat ebenfalls ein Werk in der Ukraine. Die Herstellerin von Glasverpackungen teilte am Donnerstag mit, dass die Produktion am ukrainischen Standort der PrJSC Vetropack Gostomel bei Kiew temporär ausgesetzt wird. «Alleiniger Grund dafür sind die sich dramatisch zuspitzenden Ereignisse im sogenannten Ukrainekonflikt mit militärischen Aktionen», heisst es in einer Mitteilung. «Diese lassen keinen regulären und für die Mitarbeitenden sicheren Produktionsbetrieb mehr zu.» Eine dauerhafte Schliessung des Werks werde aber nicht in Erwägung gezogen. Die rund 600 Mitarbeitenden werden vorübergehend bei vollem Gehalt freigestellt.
Auch der Pharmakonzern Roche ist in der Ukraine tätig. «Wir verfügen über robuste Pläne zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs, die angesichts der Situation ständig aktualisiert werden», sagt Sprecherin Karsten Kleine. Ähnlich tönt es von Novartis: Die Sicherheit und die Gesundheit der Mitarbeitenden sei die Priorität des Konzerns. Novartis und Sandoz beschäftigen rund 500 Mitarbeitende in Kiew.
Mit einer geringen Präsenz ist auch ABB in der Ukraine tätig. Der Fokus liege auf dem Servicebereich, sagt Sprecherin Eike Christian Meuter. Aktuell befänden sich keine Mitarbeitenden im Rahmen von Arbeits- oder Projekteinsätzen in der Ukraine. Geschäftsreisen in die Ukraine seien bei ABB sei Februar verboten.
Ein grösseres Werk betreibt auch das Rapperswiler Technologieunternehmen Weidmann in der Ukraine. Etwa 620 Mitarbeitende arbeiten in der Produktionsstätte zwischen Kiew und der weissrussischen Grenze. Weidmann-Chefin Franziska Tschudi Sauber sagt, in der Fabrik werde gearbeitet, und man versuche, dies so ruhig und normal wie möglich zu tun. Allerdings sind viele Mitarbeitende als Reservisten zur ukrainischen Armee eingezogen worden. Tschudi hat noch keine genauen Zahlen, spricht aber von einem «grossen Kontingent». Um einen Teil der Abgänge zu ersetzen, habe Weidmann Pensionierte aus dem Ruhestand an die Arbeit zurückgeholt.
Den Mitarbeitenden ist es laut Tschudi freigestellt, ob sie zur Arbeit kommen wollen oder nicht. «Wir versuchen zu machen, was wir können, auch weil Kunden auf Bestellungen warten.» Weidmann stellt im ukrainischen Werk Isolationsmaterial für die Stromindustrie und Spezialpapiere her. Wer gegenwärtig nicht zur Arbeit komme, könne bei vollem Lohn fernbleiben. Aber: «Die meisten wollen arbeiten.»
Zunehmend beliebt wurde die Ukraine in den letzten Jahren bei Schweizer IT-Firmen, die Aufträge an Firmen aus dem osteuropäischen Land vergaben. In Städten wie Kiew, Lwiw oder Dnipropetrowsk sind eigentliche Tech-Hubs mit gut ausgebildeten Fachkräften entstanden. Selbst während der Corona-Krise wuchs der Sektor als einer der wenigen der ukrainischen Wirtschaft.
Schweizer KMU, die sogenanntes «Offshoring» in der Ukraine betreiben oder dies in der Vergangenheit taten, sind etwa die Taxi-App Vertt, das Treuhand-Unternehmen Rasminka oder Ricardo.ch.
Laut Michael Kühn von S-GE wird die Schweiz wie schon bei der Krim-Krise Sanktionen der EU und der USA indirekt mittragen. Heisst: Selbst wenn sie keine eigenen Sanktionen ausspricht, wird sie dafür sorgen, dass die europäischen und amerikanischen Massnahmen nicht umgangen werden. «Sonst wäre es theoretisch möglich, dass französische Käsehersteller ihre Produkte mit einem Umweg über die Schweiz doch nach Russland verkaufen könnten, obwohl die Produkte aktuell von einem Importverbot nach Russland betroffen sind.»
Die Swiss hat bereits am Montag die tägliche Verbindung von Zürich nach Kiew ausgesetzt. Vorläufig gilt der Flug-Stopp bis am Samstag. «Wir verfolgen aber die Lage weiterhin intensiv und stehen mit den entsprechenden Behörden im engen Austausch», sagt Sprecherin Meike Fuhlrott. Die Sicherheit der Passagiere und der Besatzungsmitglieder habe zu jeder Zeit oberste Priorität. Die betroffene Kundschaft werde informiert. Zudem nutzt die Swiss wie andere Airlines auch den ukrainischen Luftraum derzeit nicht. Ab Zürich fliegt die Swiss nach wie vor fünfmal pro Woche nach Moskau und ab Genf zwei Mal sowie ein Mal wöchentlich nach Sankt Petersburg.
Die Aktienkurse gaben stark nach, zeitweise um über 3 Prozent. Auf den Börsenportalen war die Aufregung gross. Als die Verluste besonders gross waren, titelte das Portal Cash.ch gar: «Es riecht nach Kapitulation». Gegen Nachmittag waren die Verluste in der Schweiz etwas weniger gross, aber noch immer deutlich mehr als 2 Prozent. Gegenüber dem Rekordhoch vom Dezember 2021 hat sich mittlerweile ein Verlust von rund 10 Prozent angesammelt.
Doch man kann es auch so sehen: Die Börse blieb erstaunlich stabil angesichts eines Krieges, der nach Ansicht vieler Beobachter ein Ende der politischen Nachkriegsordnung bringen könnte. Wie sich so ein Krieg auch auswirken kann, muss die russische Wirtschaft nun selber erleben: die 50 grössten an der russischen Börse gehandelten Unternehmen sind aktuell nur noch halb so viel wert wie im Dezember. Der russische Börsen-Index RTS notiert im Vergleich zu damals aktuell um 52 Prozent tiefer.
In den USA lautet ein populärer Spruch, dass Vorhersagen schwierig seien, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Und so hängen auch die Folgen für die Schweizer Wirtschaft stark vom weiteren Verlauf des Konflikts ab. Kommt es zur Isolation von Russland durch westliche Sanktionen, dann steigen auch für die Schweiz die Importpreise.
Zugleich zeigt sich jedoch gleich zu Beginn dieser Krise, dass die Investoren einmal mehr in den Schweizer Franken flüchten. Zwischenzeitlich fiel der Euro zur Schweizer Landeswährung auf den tiefsten Stand seit der Aufhebung des Mindestkurses im Januar 2015: Ein Euro kostete heute nur noch 1.0278 Franken. Doch kurz darauf schwächte sich der Franken wieder leicht ab und stand wieder oberhalb der Marke von 1.03 Euro. Ob die Schweizerische Nationalbank mal wieder eingreifen musste, wird sich erst später zeigen, wenn die Nationalbank wieder die entsprechenden Zahlen veröffentlicht.
An sich ist das Abschwächen einer eigenen Landeswährung noch immer ein Problem der angenehmeren Sorte. Die Schweizerische Nationalbank muss bloss neue Franken drucken, löst sie gegen Euro ein und geht dann auf den globalen Finanzmärkten auf Shoppingtour.
Die Nordstream AG ist Hauptsponsor von EV Zug wie von Schalke. Ich hoffe unsere Medien machen den gleichen Druck auf den EVZ wie es die Bild Zeitung in Deutschland mit Erfolg bei Schalke tat.