Der ukrainische Botschafter in Berlin machte seinem Ärger Luft. «Leute», schrieb Andrij Melnyk auf Twitter, «lassen Sie doch endlich das Asow-Regiment in Ruhe. Bitte.»
Wie lange wollten die Medien noch das «russische Fake-Narrativ» bedienen? Und das jetzt, «mitten im russischen Vernichtungskrieg gegen Zivilisten, gegen Frauen und Kinder», so der Botschafter.
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Worauf Melnyk anspielt: Seit dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine gibt es vermehrt Berichte über einen militärischen Verband, dessen Kämpfer als ultranationalistisch bis rechtsextrem gelten und der seit 2014 offiziell zur ukrainischen Nationalgarde gehört: das sogenannte Asow-Regiment.
Leute, liebe @tagesschau, lassen Sie doch endlich das Asow-Regiment in Ruhe. Bitte. Wie lange wollen Sie dieses russische Fake-Narrativ - jetzt mitten im 🇷🇺russischen Vernichtungskrieg gegen 🇺🇦Zivilisten, gegen Frauen und Kinder in Mapiupol - bedienen? https://t.co/c1sHnEtLqX— Andrij Melnyk (@MelnykAndrij) March 19, 2022
Was genau steckt dahinter? Wird durch die Berichterstattung über die Kämpfer tatsächlich russische Propaganda verbreitet? Und wie gross ist das Problem mit Rechtsextremen in der Ukraine wirklich? Ein Überblick.
Das «Bataillon Asow» bildete sich 2014 – die Miliz unterstützte als eine von zahlreichen Freiwilligengruppen die überforderte ukrainische Armee im Kampf gegen die prorussischen Separatisten in der Ostukraine. Sie spielte eine wichtige Rolle in der Rückeroberung der besetzten Stadt Mariupol, die auch heute wieder belagert ist.
Kurz nach der Rückeroberung Mariupols wurde die Einheit noch 2014 offizieller Teil der ukrainischen Armee. Das sogenannte Asow-Regiment untersteht seither dem Innenministerium.
Seit seiner Gründung hat sich «Asow» zu einer vielschichtigen Bewegung entwickelt: Neben dem offiziellen militärischen Teil gibt es auch eine Strassenmiliz, die in mehreren Städten patrouilliert – und deren Mitglieder in Zusammenhang mit Gewalt gegen Minderheiten gebracht wurden. Und es gibt einen politischen Arm: die Partei mit dem Namen «Nationalkorps». Sie ist bei Wahlen aber bislang unbedeutend gewesen.
Darüber, wie viele Kämpfer dem «Asow-Regiment» angehören, gibt es unterschiedliche Berichte: Die Zahlen schwanken zwischen 1000 und 2000. In jedem Fall stellen sie also lediglich einen Bruchteil der mehreren Hunderttausend Soldaten und Freiwilligen, die derzeit die Ukraine verteidigen.
Die gut ausgebildeten Soldaten des Regiments verteidigen im Moment vor allem das belagerte Mariupol. Die Einheiten sollen bereits zahlreiche russische Panzer zerstört haben. Gegen die Stadt am Asowschen Meer mit ursprünglich 500'000 Einwohnern geht Russland bislang mit am brutalsten vor.
Dieses auf Twitter verbreitete Video beispielsweise soll die Zerstörung eines russischen Panzers in Mariupol durch Asow-Kämpfer zeigen:
Video from the Azov regiment showing multiple anti-tank missile/rocket strikes on a Russian tank in Mariupol. Looks like a DNR/LNR T-64BV tank. pic.twitter.com/6d1haG5Ic8— Rob Lee (@RALee85) March 16, 2022
Die «Asow-Bewegung» ist Teil eines globalen rechtsextremen Netzwerkes – der politische Arm sei in der internationalen Szene der Rechtsextremisten vernetzt, sagte etwa Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer in der ARD. In Deutschland hält der ultranationalistische Verbund demnach Verbindungen zur rechtsextremen Partei «Der III. Weg» und zu den «Identitären». Die beiden Teile von «Asow», der politische und der militärische Arm, seien dabei als zwei Seiten einer Medaille zu betrachten.
So warb das Regiment auch unter deutschen Neonazis um Nachwuchs: 2017 etwa seien auf einem Rechtsrock-Festival in Thüringen deutschsprachige Flyer verteilt worden, die dazu einluden, «in die Reihen der Besten» einzutreten, um «Europa vor dem Aussterben» zu bewahren.
Einer der «Asow»-Gründer ist Andrej Biletzki, der seit Jahren in rechtsextremen Kreisen unterwegs ist und neonazistische Organisationen anführte. Die extremistische Ideologie der Bewegung war dabei nie ein grosses Geheimnis: Kämpfer lassen sich mit rechtsextremen Tattoos und Symbolen fotografieren, einige der Anführer fielen mehrfach mit rassistischen und antidemokratischen Äusserungen auf – und die Uniformen des Regiments ziert das Wolfsangel-Logo: ein Symbol, das auch von der SS im nationalsozialistischen Deutschland verwendet wurde.
«Asow» selbst bestreitet die Nazi-Bezüge des Logos und will es als stilisierte Version der Buchstaben «N» und «I» verstanden wissen – dies stehe für «Nationale Idee».
Seit 2018 ist auch eine Art Strassenpatrouille Teil der «Asow»-Bewegung, die in den Städten «Ordnung wiederherstellen» will. Dabei hätten die «Asow»-Miliz und andere rechtsextreme Gruppierungen «in mehreren Städten Angriffe auf Roma-Siedlungen» verübt und Unterkünfte mit Äxten und Hämmern zerstört, so ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Gleichzeitig ist «Asow» von heute laut Experten nicht mehr «Asow» von 2014. Der politische Arm etwa versuche nach aussen hin nicht mehr extremistisch aufzutreten, sagte Alexander Ritzmann vom Counter Extremism Projekt in Berlin der ARD. Er werte das aber vor allem als PR-Strategie.
Das Regiment sei durch die Eingliederung in die offiziellen Strukturen als Organisation ideologisch auch weniger gefährlich, so der Extremismusexperte im Deutschlandfunk. Zudem habe «Asow» in der Symbolik abgerüstet und verwendet inzwischen nicht mehr die «Schwarze Sonne» – ebenfalls ein SS-Symbol.
Kacper Rekawek vom Zentrum für Extremismusforschung der Universität Oslo beobachtet eine noch grössere Veränderung: Viele der radikalen Gründungsmitglieder hätten das Regiment inzwischen verlassen – neue Mitglieder schlössen sich der Gruppe inzwischen oft aufgrund ihres Rufes als erfolgreiche Einheit und nicht wegen des rechtsradikalen Anstrichs an.
Das «Asow-Bataillon», das zumindest bei seiner Entstehung ein Sammelbecken für Rechtsextreme war, ist in gewisser Weise ein Geschenk für die russische Propaganda. Sie versucht, die gesamten ukrainischen Streitkräfte als rechtsextrem zu verunglimpfen. Dass es ein «Asow-Regiment» mit eindeutig rechtsextremen Bezügen gibt, das die Regierung offiziell in seine Armee aufgenommen hat, hilft Russland dabei.
Der Vorwurf, dass Nationalsozialisten in der Ukraine ihr Unwesen treiben, bildet das Gerüst der russischen Propaganda – und ist der zentrale Vorwand für den Einmarsch. Die Ukraine müsse «entnazifiziert», die Bevölkerung endlich befreit werden, so Kreml-Chef Wladimir Putin.
«Würde es ‹Asow› nicht geben, hätte Russland es erfunden», sagte der Extremismusforscher Rekawek bei «Vice» – so sehr komme es ihnen gelegen. Russlands Taktik sei dabei besonders heuchlerisch, sagte Extremismusforscher Ritzmann im Deutschlandfunk: «In Russland gibt es viel mehr Neonazis als in der Ukraine».
Wenn sich der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk über die Berichterstattung zum «Asow-Regiment» erzürnt, geht es ihm um diesen Punkt: Dass die Berichterstattung einen kleinen Teil der ukrainischen Streitkräfte grösser macht und wichtiger darstellt, als er tatsächlich ist. Die Bedeutung der Gruppe werde massiv aufgebauscht, meint auch Experte Rekawek.
Das sei eine generelle Tendenz: Rechtsextreme seien in der Ukraine lediglich Randerscheinungen, würden von Russland aber als massgeblicher politischer Einflussfaktor dargestellt, betonte Andreas Umland vom Stockholmer Zentrum für Europastudien. «Die russische Propaganda spielt mit der Unkenntnis der Menschen in Russland und im Westen, die den Kontext nicht kennen. Deswegen funktioniert es so gut», sagte er der «Welt».
Bei den letzten Wahlen 2019 haben die grössten rechtsextremen Parteien eine gemeinsame Liste aufgestellt – darunter auch die «Asow»-Partei – und kamen mit 2.15 Prozent nicht einmal ins Parlament.
Während die «Asow»-Ultranationalisten dem Westen Bauchschmerzen bereiten, ist der Blick auf sie in der Ukraine selbst ein anderer: Dort sind sie in erster Linie Verteidiger und Beschützer des Landes – rechtsextreme Bezüge würden in Politik und Gesellschaft oftmals heruntergespielt oder ignoriert, urteilt das Fachmagazin «Foreign Policy».
Als das «Asow-Regiment» im November 2014 offiziell Teil der ukrainischen Nationalgarde wurde, lobte der damalige Präsident Petro Poroschenko dieses gar in den höchsten Tönen: «Das sind unsere besten Kämpfer», sagte er, «unsere besten Freiwilligen».
Alles in allem bleibt der unkritische ukrainische Umgang mit «Asow» ein schwieriges Thema: Auch wenn sich das Regiment seit 2014 verändert hat, die Kämpfer von den Ukrainern vorrangig als Verteidiger des Landes wahrgenommen werden, die Partei politisch irrelevant ist, sich die Ukraine in einem existentiellen Überlebenskampf befindet – bleibt doch eine entscheidende Frage, die der Experte Rekawek formuliert hat:
Diese Frage muss sich auch der ukrainische Botschafter in Deutschland gefallen lassen – ob er will oder nicht.
Allerdings.. es ist zu befürchten, dass Russland's Krieg die Extremisten stärker machen wird. Sie sind dank Putin von Aussenseitern zu Helden aufgestiegen..