Die Angst in Ägypten ist gross. In Äthiopien steht ein gigantisches Staudamm-Projekt kurz vor dem Abschluss. Für das Land der Pharaonen ist das brandgefährlich.
Entscheidet sich Äthiopien dazu, Wasser des blauen Nils abzuzweigen, hätte das für einen Grossteil der rund 90 Millionen Ägypter einschneidende Konsequenzen. Der Nil ist die Lebensgrundlage des ansonsten staubtrockenen Landes.
Nicht nur am Nil wird derzeit um jeden Tropfen gekämpft. Streitigkeiten um Wasser werden rund um den Globus ausgetragen und dürften von immer grösserer Bedeutung werden.
«Wenn die Voraussagen betreffend des Klimawandels eintreffen, wird das Potential für Konflikte um Wasser in den nächsten Jahren zunehmen», sagt Bestseller-Autor Tim Marshall, mit dem watson sprechen konnte.
Der Kampf um Wasser könnte unter Umständen dereinst gar intensiver geführt werden als jener ums Öl, meint der 59-Jährige.
Zusammen mit Marshall hat watson vier Krisenherde erörtert, welche in den kommenden Jahren eine besonders wichtige Rolle spielen werden – und im schlimmsten Fall im Krieg enden könnten.
In Mesopotamien bildete sich einst die erste Hochkultur der Menschheitsgeschichte. Das fruchtbare Zweistromland um die grossen Flüsse Euphrat und Tigris war Heimat der Sumerer, Akkader und Babylonier. Dank der Wasserverfügbarkeit war das Gebiet während Jahrhunderten eines der wichtigsten kulturellen Entwicklungszentren der Welt.
Nun, einige tausend Jahre später, gibt es Einschätzungen von Experten, wonach im Jahr 2040 die beiden Flüsse nicht einmal mehr das Meer erreichen werden. Mit verheerenden Konsequenzen für die Bevölkerung, die entlang der Flussläufe lebt.
Für dieses Kratastophen-Szenario gibt es zwei Gründe:
Die grösste Bedrohung für die irakische Wasserversorgung stellt momentan der Ilisu-Staudamm dar. Das Bauwerk ist 130 Meter hoch, zwei Kilometer breit und befindet sich wenige Kilometer nördlich des Iraks in der Türkei. Dank des Damms soll in Südostanatolien ein wirtschaftlicher Entwicklungssprung stattfinden. Die türkische Regierung verspricht sich tausende Jobs, eine zuverlässige Stromversorgung und Schub für die Landwirtschaft in einer der ärmsten Regionen des Landes.
Doch dafür muss erst einmal jede Menge Wasser aufgestaut werden. Das Reservoir soll dereinst bis zu 400 Kilometer lang werden und zahlreiche Dörfer fluten. Dies lässt nicht nur türkische Anwohner und Umweltaktivsten aufschreien, sondern auch die Regierung im Irak.
Das kriegsgeplagte Land kämpfte bereits im Sommer 2018 mit der schlimmsten Dürre seit 80 Jahren. Bewohner der Hauptstadt Bagdads schilderten, wie sie erstmals in ihrem Leben durch den Tigris waten konnten. Schnell wurde die Türkei für den tiefen Wasserstand beschuldigt. Doch die Regierung Erdogan versicherte, dass man Rücksicht auf den Irak genommen und noch nicht mit dem Aufstauen begonnen habe.
In Bagdad und in den nördlichen Kurdengebieten kann man den Versicherungen Ankaras indes wenig abgewinnen. Im Sommer war das Wasser des Tigris schon derart tief, dass ein Aufstauen keinen Sinn gemacht hätte. Vermutet wird nun, dass Erdogan die Schneeschmelze im kommenden Frühling nutzt, um das Reservoir voll laufen zu lassen. Der Sommer für die Bevölkerung flussabwärts dürfte dieses Jahr hart werden.
Nicht nur der Damm in der Türkei bereitet dem Irak Kopfschmerzen. Auch der «Daryan Damm» im Iran, der 2018 fertiggestellt wurde, wird dem Tigris arg zusetzen. Der Damm staut den «Diyala»-Fluss und benutzt das Wasser für die lokale Bewässerung. Schätzungen gehen davon aus, dass der Diyala-Fluss bis zu 60 Prozent weniger Wasser tragen wird. Da der Strom ein wichtiger Zufluss zum Tigris ist, wird Irak auch dieses Bauwerk deutlich zu spüren bekommen.
Die Wasserknappheit in der Region ist für Tim Marshall besorgniserregend. «Die Türkei, Syrien und der Irak haben viele Spannungen wegen des Wassers. Der Euphrat fliesst durch alle drei Länder und war bereits während der Regierungszeit von Hafez Assad fast einmal Grund für einen bewaffneten Konflikt.»
Seit 1960 haben Indien und Pakistan mit dem «Indus Water Treaty» (IWT) geregelt, wer am Strom und seinen Nebenflüssen welche Rechte hat. Obschon der Fluss quer durch den Kaschmir fliesst, welcher steter Brandherd zwischen den beiden Atommächten ist, wurde am Wasservertrag bisher nicht gerüttelt.
Im Indus-Becken leben rund 235 Millionen Menschen, Tendenz stark steigend. Für sie ist der 3180 Kilometer lange Fluss und seine Nebenflüsse lebenswichtig. Mit dementsprechender Vorsicht hielten sich die beiden Länder an den IWT.
Doch die Situation ist heute eine andere als vor knapp 60 Jahren. Der Klimawandel setzt die beiden Länder zunehmend unter Druck. Das Schmelzen der Gletscher erhöht das Risiko für Überflutungen. Zudem verändert sich der Monsun in Südostasien, was zu weniger Regen in Pakistan und Indien führen könnte.
Wie Studien belegen, ist zudem immer weniger Grundwasser im Indus-Becken vorhanden. Jedes Jahr wird weitaus mehr Wasser entnommen, als durch Regen und andere Quellen wieder aufgefüllt wird.
Inmitten dieser Herausforderungen hat Indien mit dem Bau diverser Staudämme auf Nebenflüssen begonnen, die von Pakistan genaustens beobachtet werden.
Bis jetzt ist es noch zu keinem Krieg wegen Wassers gekommen zwischen den beiden Grossmächten. Doch der Vertrag von 1960 hat angesichts des Klimawandels und des Bevölkerungswachstums sein Fälligkeitsdatum überschritten. Diese Entwicklungen wurden damals noch nicht antizipiert.
Es wäre Zeit, das Papier neu auszuhandeln. Am besten mit China und Afghanistan am Tisch. Denn dort entspringen der Indus und der Kabul-Fluss, welche wichtige Zulieferer für den Indus sind.
Gelingt ein solches Abkommen nicht, könnten die zunehmend unter Druck kommenden Länder vermehrt auf eigene Faust handeln. Mit gefährlichen Folgen für die ohnehin schon fragilen Beziehungen zwischen den Staaten in der Region.
Geht es nach Tim Marshall, gibt es drei wesentliche Gründe, weshalb China unbedingt die Kontrolle über Tibet haben will.
Letzteres wird dabei immer wichtiger. Seit 1981 ist die Bevölkerung Chinas um 37 Prozent auf 1,38 Milliarden Menschen angestiegen. Ebenso rasant verlief das Wachstum der Wirtschaft. Der Boom hat den Druck auf die Ressourcen der Region stark erhöht. Mitte des vergangenen Jahrhunderts annektierte China Tibet, heute ist das Gebiet, welches rund 30 Mal grösser als die Schweiz ist, für die Supermacht so wichtig wie nie.
In Tibet entspringen nicht nur der Gelbe Fluss und der Jangtse, welche quer durch China fliessen, sondern auch zahlreiche weitere Flüsse, die für ganz Südostasien eine ökologisch, ökonomisch und auch kulturell entscheidende Rolle spielen. Etwa der Brahmaputra, der Irrawady oder der Mekong. Der Himalaja wird nicht umsonst «dritter Pol» der Welt genannt. Nur am Süd- und Nordpol gibt es eine höhere Konzentration an Gletschern und Eis.
Aus dem tibetischen Plateau fliessen zehn der grössten Flüsse Asiens. Diese füllen Flussbecken, welche mehr als 1,35 Milliarden Menschen mit Wasser versorgen.
Im tibetischen Hochplateau treibt China derzeit mit Hochdruck Staudamm-Projekte voran. Diese sollen das bevölkerungsreichste Land der Welt mit Strom versorgen. Doch der Bau dieser Kraftwerke hat bereits für viele Spannungen gesorgt. Etwa im Oberlauf des lange ungestauten Brahmaputra. Dort sind gleich mehrere Projekte geplant oder bereits in Betrieb.
Dies hat zu Auseinandersetzungen mit Indien und Bangladesch geführt, welche um die Wasserführung des Flusses fürchten. Denn China baut nicht nur Dämme, sondern soll auch an einem 1000 Kilometer langen Tunnel dran sein, der das Wasser des Brahmaputras in die chinesische Provinz Xinjiang umleiten soll.
Der Brahmaputra ist für Bangladesch die Lebensader. Würde China dereinst Wasser abzweigen, käme das einer Katastrophe für das bevölkerungsmässig achtgrösste Land der Welt gleich.
Was der Brahmaputra für Bangladesch ist, ist der Mekong für Laos und Teile von Thailand und Vietnam. Durch die Kontrolle des Oberlaufes des über 4000 Kilometer langen Stroms hat China ein starkes Druckmittel gegenüber diesen Staaten. Das kommt Peking ziemlich gelegen, wie Marshall feststellt. «China wird alle Mittel brauchen, um diese Länder unter seine Kontrolle zu bringen, denn es will sich die Vorherrschaft im südchinesischen Meer von den USA zurückholen. Und ein Punkt, mit dem es Druck ausüben kann, ist Wasser.»
Kommen wir zurück zum eingangs erwähnten Staudamm-Projekt am blauen Nil. Dieses soll gemäss äthiopischen Angaben im Jahr 2020 teilweise in Betrieb gehen. Bei Fertigstellung ist der «Grand Ethiopian Renaissance Dam» der siebentgrösste der Welt und die grösste Wasserkraftanlage Afrikas.
Ethiopia’s Grand Renaissance Dam to start operations in 2020. https://t.co/FYUvkwDy0a
— CGTN Africa (@cgtnafrica) 4. Januar 2019
Im Juni des vergangenen Jahres schwor der frischgewählte Äthiopische Premierminister Abiy Ahmed gegenüber dem ägyptischen Präsidenten, dass er Ägyptens Anteil am Nil nicht verletzen werde. Doch die Sorgen in Kairo bleiben gross.
Als Äthiopien die Unruhen inmitten des arabischen Frühlings ausnutzte und 2011 mit dem Bau des Damms begann, ohne die betroffenen Länder zu konsultieren, erwägten einzelne ägyptische Minister gar eine Bombardierung des Projektes.
Dazu kam es jedoch nie. Unter anderem, weil Äthiopien versicherte, den Stausee so langsam zu füllen, dass der Wasserpegel im ägyptischen Teils des Nils sich nicht bedeutend verändere.
Ägypten pocht deshalb darauf, dass dieser Prozess 10 bis 20 Jahre dauern soll. Doch Äthiopien hat fünf Milliarden US-Dollar in den Bau investiert und einen Milliarden-Kredit von China aufgenommen. Ob da der Druck nicht schnell zu gross wird, das Potenzial des Damms ganz auszuschöpfen?
Wird das Reservoir in einer kürzeren Zeitspanne aufgefüllt, könnte der Pegel des Nils sich gefährlich verändern. Lässt Addis Abeba den Stausee in nur fünf Jahren füllen, würde sich der Wasserpegel des Nils Berechnungen zufolge bis zu 20 Prozent senken.
Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem Ägypten sowieso schon vor einer grossen Wasserkrise steht. Der Bevölkerungswachstum, Misswirtschaft und fehlende Investitionen haben dazu geführt, dass das Wasser in Ägypten so knapp ist wie in sonst kaum einem Land der Welt.
Die Regierung in Kairo investiert deshalb in gigantische Entsalzungsanlagen, welche die weltweit grössten ihrer Art werden sollen. Bis zu 50 Milliarden US-Dollar will Ägypten in den kommenden 20 Jahren für Wasserprojekte in die Hand nehmen. Der Erfolg ist jedoch ungewiss.
In der Zwischenzeit sind rund 90 Prozent der Bevölkerung vom Nil abhängig. Sei es wegen des Trinkwassers oder wegen Bewässerungsanlagen. Deshalb bleibt die Situation entlang des Nil äusserst ernst, meint Marshall, auch wenn sich Äthiopien an den Auffüllplan halten sollte.
Käme es in Zukunft zu Dürren in der Region, was sich wegen des Klimawandels immer öfters ereignen würde, so Marshall, dann könnte Äthiopien sich gezwungen sehen, entgegen aller Abmachungen dennoch Wasser vom Nil abzuzweigen. «Und das würde wahrscheinlich zu einem Krieg führen, weil Ägypten umgehend austrocknen und sterben würde.»
Kleine Anmerkung: Diese Liste ist natürlich nicht vollständig. Die Konflikte um Wasser dürften nicht nur in der internationalen Politik eine immer grössere Rolle spielen. Marshall weist darauf hin, dass Streitigkeiten um Wasser vor allem auch lokal zunehmen dürften.