In den tief religiösen USA spielt Gott nach jedem Amoklauf eine wichtige Rolle. Die Republikaner reagieren stets mit «Thoughts and Prayers» – Gedanken und Gebete. Präsident Joe Biden hingegen fragte kurz nach der Tat in Uvalde, bei der ein 18-Jähriger an einer Grundschule 19 Kinder und zwei Erwachsene erschoss: «Wann in Gottes Namen werden wir uns gegen die Waffenlobby erheben? Wann in Gottes Namen werden wir tun, was getan werden muss?»
As a nation we must ask: When in God’s name will we stand up to the gun lobby?
— President Biden (@POTUS) May 25, 2022
When in God’s name will we do what needs to be done?
I’m sick and tired of it. We have to act.
Dabei ist Gott in dieser Diskussion eher nebensächlich, denn in Waffenfragen besitzt in den USA eine andere Entität die scheinbare Allmacht: die Waffenlobby – allen voran die National Rifle Association, kurz NRA.
Die NRA wurde 1871 eigentlich als Freizeitverein gegründet, um «das Gewehrschiessen auf wissenschaftlicher Grundlage zu fördern und zu unterstützen». Politisch aktiv wurde sie erst in den 1970er-Jahren, als sie ihr eigenes «Political Action Committee» (PAC) gründete, um Gelder an Politiker und solche, die es gerne werden möchten, zu leiten.
Heute gehört die NRA zu den mächtigsten Lobbygruppen in den USA. Ihr oberstes Ziel ist die Verteidigung des zweiten Zusatzartikels der Verfassung, der es allen Amerikanern erlaubt, eine Waffe zu tragen. Dazu steht ihr ein jährliches Budget von ungefähr 250 Millionen Dollar zur Verfügung. Wie viel davon genau in die Lobbyarbeit fliesst, ist nur schwer nachzuvollziehen, den genauen Zahlen widmen wir uns jedoch etwas später.
Gemäss eigenen Angaben hat die NRA fünf Millionen Mitglieder in den USA, darunter berühmte Namen wie Tom Sellek, Whoopi Goldberg und Chuck Norris.
Die NRA ist jedoch bei Weitem nicht die einzige Lobbygruppe in den USA, die sich für Waffenrechte einsetzt. Es gibt dutzende Vereinigungen im Land, die die Waffenpolitik auf Bundes- und Landesebene beeinflussen.
Die US-Waffenlobby setzt sich seit Jahrzehnten vehement gegen alle Formen der Waffenkontrolle ein. Sie wird von verschiedensten Seiten dafür verantwortlich gemacht, dass in den letzten Jahren in den USA kaum Massnahmen zur Waffenkontrolle auf Bundesebene verabschiedet wurden, trotz immer wiederkehrender Massaker an Schulen, in Synagogen oder an Konzerten.
Die NRA und Konsorten stellen sich nach solchen Tragödien jeweils auf den Standpunkt, dass genau das Fehlen einer «guten» Person mit Waffe der Grund für die Schiessereien seien. Sie nutzen ihren Einfluss, um noch mehr Waffen unter die Menschen zu bringen. So setzte sich die NRA beispielsweise dafür ein, dass von der Polizei konfiszierte Waffen weiterverkauft werden dürfen, mit dem Argument, dass die Zerstörung eine «Verschwendung von vollkommen guten Waffen» sei.
Ebenso unterstützt die Waffenlobby ausdrücklich Gesetze, die die Rechte von Waffenbesitzern erweitern. Mit grossem Erfolg: Mittlerweile darf man in 25 Bundesstaaten eine Waffe in der Öffentlichkeit tragen, ohne dafür eine Lizenz besitzen zu müssen. Erst letztes Jahr unterschrieb der texanische Gouverneur Greg Abbott ein Gesetz, das fast alle Einschränkungen für das Tragen einer Schusswaffe aufhob und das Erwerbsalter von 21 auf 18 Jahre senkte. Der Schütze von Uvalde soll die Waffen, mit denen er seine Bluttat verübte, kurz nach seinem 18. Geburtstag gekauft haben.
Wie die Waffenlobby das erreicht, obwohl eine Mehrheit der US-Amerikaner schärfere Waffengesetze befürwortet?
Mit Geld.
Laut OpenSecrets, einer Non-Profit-Organisation, die die Ausgaben in der US-Politik verfolgt, hat die Waffenlobby zwischen 1998 und 2020 171.9 Millionen Dollar ausgegeben, um die Gesetzgebung direkt zu beeinflussen. Seit 1998 hat allein die NRA 63.9 Millionen Dollar in dieser Kategorie ausgegeben.
Des Weiteren hat die Waffenlobby von 2010 bis 2020 gut 155 Millionen Dollar für sogenannte «Outside Spendings» ausgegeben. Das sind Ausgaben, die einen Kandidaten unterstützen, aber nicht direkt mit ihm koordiniert sind. Im Gegensatz zu direkten Beiträgen gibt es dafür keine Obergrenze in den USA. Alleine im Jahr 2016 gab die NRA 50 Millionen Dollar in Form von solchen «Outside Spendings» für Donald Trump und sechs republikanische Senat-Kandidaten aus.
Die Liste geht noch weiter: Pro-Waffen-Organisationen haben laut OpenSecrets von 1990 bis 2020 insgesamt 54.4 Millionen Dollar an direkten Wahlkampfspenden gezahlt. Die Beiträge gingen fast ausschliesslich an Republikaner. Am meisten direkte Spenden hat bisher der texanische Senator Ted Cruz erhalten. Nach dem Massaker in Uvalde vermied er es deswegen tunlichst, in einem Interview das Waffenproblem in den USA anzusprechen.
"Why only in America?"
— Sky News (@SkyNews) May 26, 2022
US Senator Ted Cruz walks away from @Stone_SkyNews after being asked if "this is the moment to reform gun laws" https://t.co/d2oBaP4KvW#TedCruz #America #Texasshooting #gunlaws pic.twitter.com/gL4TYeg04t
Fast alle Republikaner erhalten in irgendeiner Weise unterstützung der NRA. Die US-Journalistin Bess Kalb hat es sich deswegen in den letzten Tagen zur Aufgabe gemacht, alle «Thoughts-and-Prayer»-Tweets von Republikanern mit den Spendensummen der NRA zu versehen.
Es sind jedoch nicht nur die Millionen an Spendengeldern, welche die Waffenlobby und allen voran die NRA so mächtig machen. Es ist ihr Einfluss auf ihre Mitglieder und andere Waffenbesitzer in den USA.
Die NRA hat einen riesigen Einfluss auf das Stimmverhalten von Millionen von Amerikanerinnen und Amerikaner, welche ihre Wahlzettel nur mit dem Fokus auf die Waffenrechte ausfüllen. So bewertet die NRA die Mitglieder des US-Kongresses öffentlich auf einer Skala von A bis F nach ihrer wahrgenommenen Freundlichkeit gegenüber Waffenrechten. Diese Bewertungen können sich erheblich auf die Umfragewerte auswirken und Kongressmitgliedern ihren Sitz kosten.
Deswegen erstaunt es auch nicht, dass an diesem Freitag hochkarätige Republikaner wie Ted Cruz oder Donald Trump am Jahrestreffen der NRA in Houston, nur vier Autostunden von Uvalde entfernt, teilnehmen. Denn dank der NRA ist gegen Waffenrechte zu stimmen mittlerweile gleichzusetzen mit legislativem Selbstmord. Zumindest für Republikaner.
Für mich einfach unvorstellbar, wie sehr man auf die Leben der eigenen Kinder sch*****, nur um sich selbst zu bereichern.