Die Streikrate ist nach zwei Wochen Mobilisierung zwar rückläufig, doch abgeflaut ist die Bewegung gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron noch lange nicht: In Paris herrschte in den vergangenen Tagen abermals Gedränge auf den Perrons und in den wenigen fahrenden Zügen. Zahlreiche Stationen blieben komplett geschlossen.
Laut Journalisten der Nachrichtenagentur SDA ist die Stimmung in der Stadt aggressiv, die Lage auf den Strassen angespannt. Auto-, Rad- und Rollerfahrer kämpfen um den Platz auf den Strassen, es gibt massive Staus. Zahlreiche sonst gut besuchte Pariser Restaurants sind abends fast menschenleer.
Am Dienstag haben Aktivisten landesweit für Stromausfälle gesorgt, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen und gegen die Reform zu protestieren. Laut «l'Express» waren mehrere tausend Haushalte betroffen.
Wer über die Festtage eine Reise ins Nachbarland plant, sei gewarnt: An Heiligabend droht Frankreich ein Chaos auf den Strassen. Die französische Bahn streicht den Grossteil ihrer Verbindungen. Am 23. und 24. Dezember fallen sechs von zehn TGV-Schnellzügen sowie Intercity-Zügen aus. Das heisst: Nur jeder zweite Kunde mit einem Ticket kann befördert werden. TGV-Reisende können sich auf der Webseite der SNCF darüber informieren, welche Züge genau fahren.
Die SNCF erklärt, rund die Hälfte der rund 400'000 Kunden mit einem Billett für die beiden Tage müsse auf ein anderes Datum umbuchen. Die andere Hälfte könne zwar befördert werden, aber einige nur zu anderen Uhrzeiten als gebucht. Zuvor hatte die Regierung versprochen, die Bahn werde an den Feiertagen für jeden Passagier eine Lösung finden.
Die Regierung will Frankreichs kompliziertes Rentensystem reformieren und die Privilegien für bestimmte Berufsgruppen abschaffen. Macron hofft damit die ständig steigenden Kosten in den Griff zu bekommen.
Es gibt in Frankreich 42 verschiedene Rentensysteme für verschiedene Berufsgruppen, darunter auch die sogenannten «régimes spéciaux» mit speziellen Privilegien für Staatsangestellte.
Angestellte der RATP konnten zum Beispiel bisher teilweise ab 52 Jahren in Ruhestand gehen. Einiges früher als Beschäftigte in der Privatwirtschaft, die sich erst mit durchschnittlich 63 pensionieren lassen. Die Eisenbahner der SNCF ihrerseits beziehen in der Regel monatlich fast 1000 Euro mehr Rente als der Durchschnitt.
Die Fronten im Rentenstreit bleiben verhärtet. Die Verhandlungen zwischen Premierminister Edouard Philippe und den Gewerkschaften brachten am Donnerstag keinen Durchbruch und wurden auf Anfang Januar vertagt.
Philippe hatte zahlreiche Gewerkschaftsvertreter zu einem gemeinsamen Treffen empfangen, um einen Kompromiss zu finden. Nach dem Gespräch verteidigte er die Rentenpläne, deutete aber weitere Zugeständnisse an – die Gewerkschaften sind damit aber nicht zufrieden.
Es habe viele Versprechungen gegeben, aber nichts Konkretes, kritisieren sie. Der nächste grosse Protesttag ist nun bereits geplant: Am 9. Januar sollen wieder zahlreiche Berufsgruppen auf die Strasse. Dies kündigte der Chef der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, an. Gemässigtere Gewerkschaftsbunde zeigten sich allerdings offen für weitere Gespräche und riefen zu einem vorübergehenden Waffenstillstand auf.
Während die Streiks gegen die Rentenreform im Gange sind, hat die vor einem Jahr gestartete Protestwelle der «Gilets Jaunes» erstmals juristische Konsequenzen für Polizisten.
Ein Pariser Gericht verurteilte am Donnerstag zwei Beamte: Einer hatte an einer Kundgebung vom 1. Mai 2019 einen Stein in Richtung der Demonstranten geworfen, der andere am selben Tag ein «Gilet Jaune» geohrfeigt.
In dem Prozess sagte der erste Polizist aus, er habe den Stein «aus Angst» vor den Krawallen geworfen. Er wurde nun zu zwei Monate auf Bewährung verurteilt. Dem zweiten Beamten hat das Gericht ebenfalls eine Bewährungsstrafe und eine Geldstrafe von 1000 Euro auferlegt.
Die «Gelbwesten» werfen der Polizei seit Beginn der landesweiten Proteste im November 2018 massive Gewalt vor. Die Polizei führt interne Untersuchungen zu etwa zwei Dutzend Fällen.
Für die Einsätze bei den Protesten hat die Regierung auch den Einsatz von Gummimunition erlaubt, die in weiten Teilen der EU verboten ist. Nach unabhängigen Zählungen erlitten dadurch hunderte Menschen Kopfverletzungen, mehr als 20 Personen verloren ein Auge.
Mit Material der SDA.