Andreas Dresen kam direkt vom Flughafen zu unserem Treffen. Sein Flugzeug kreiste eine halbe Stunde lang im Sturm über Kloten.Bild: gina schuler
Interview
Schon am ersten Drehtag von «Als wir träumten» musste Joel Basman in den Notfall. Kein Wunder, bei einem Film, der einfährt wie der Teufel auf Ecstasy
Wir trafen den Zürcher Schauspieler und seinen Regisseur, den in der DDR geborenen Andreas Dresen. Und sprachen über Nähkünste, Ostdeutschland und das Recht der Jugend, sich zu beschweren.
Den einen muss man der Schweiz nicht mehr vorstellen, den andern der Filmszene nicht: Joel Basman (25) und «Andreas »Dresen (51). Den Schauspieler und seinen Regisseur. Zusammen haben sie «Als wir träumten» gedreht, einen Film, der tatsächlich umwerfend ist, weil man im Kino sitzt, und endlich mal wieder weiss, wozu man das braucht, das Kino: Dieser Film fährt ein wie der Leibhaftige aus Leipzig.
Die Verfilmung des Romans von Clemens Meyer ist lustig, zärtlich, wild, erzählt von einer Jungsbande am Rand von Leipzig, am Rand der totalen Auflösung, Anfang der 90er-Jahre. Denn ihre Heimat löst sich auf, ihre Stadt, ihr Land, die Ex-DDR zerfliesst, und keiner weiss, wie sie noch enden wird. Die Jungs halten sich fest an ihren kuriosen Kindheitserinnerungen und an den Ritualen der Adoleszenz: Liebe, Drogen, Techno (mehr über den Film erfährt ihr hier). Loslassen gibt es nur im Tod. In Zürich trafen sich Andreas Dresen und Joel Basman im Kreis 4, in der Boutique von Basmans Eltern.
Über den Dächern von Leipzig: Joel Basman (l.) und Merlin Rose in «Als wir träumten».Bild: Filmcoopi
Andreas Dresen, Sie haben Joel Basman in seine Heimat und zu ihm nach Hause begleitet. Und finden sich jetzt in einem Kleiderladen wieder. Wo Joel Basman auch selbst das Schneiderhandwerk erlernt hat und Kleider designt. Staunen Sie gerade? Dresen: Ich hab das ja gewusst. Und ich find’s extrem sinnvoll, wenn man einen richtigen Beruf gelernt hat, das hilft einfach. Zudem ist das sowas Schönes, Physisches: Wenn man ein Kleidungsstück macht, hat man sofort was in der Hand. Ein Film dauert ja ewig! Und dann ist er nach zwei Jahren fertig, und keiner will ihn sehen. Was dann? (Zu Joel Basman) Brauchst du noch jemanden? Ich hab Nadelarbeit gehabt in der Schule, ich kann Knöpfe annähen.
Basman: Das ist doch schon mal was. Das ist das Teuerste bei uns, weil’s so lange geht. Ne halbe Stunde für ein Knopfloch und einen Knopf, das lohnt sich richtig.
Dresen: Siehts du? Das mach ich!
An der Berlinale hatte ich das Gefühl, zwischen der Schauspiel-Crew und dem Regisseur herrscht eine so gute Stimmung, wie ich sie selten gesehen habe. Stimmt das?
Basman: Andi hatte uns über mehrere Runden gecastet, das war erst eine Horde junger Menschen, die dann immer kleiner wurde. Unter denen, die blieben, war von Anfang an ein grosses Vertrauen da. Gemeinsam haben wir uns in dieses Abenteuer gestürzt, an dem wir mehr als nur Spass hatten.
Zum Spass gehörte auch, Autos zu zerdeppern. Basman: Ja, unter anderem.
Sie gehörten zu den Verletzten? Dresen: Er musste in den Notfall. Zweimal.
Basman: Erster Drehtag, Scheibe kaputt, päng. Grosses Kino.
Und echter Alkohol war auch im Spiel? Dresen: Wir haben auch viel alkoholfreies Bier getrunken. Höchstens mal nen Schnaps bei der Partyszene.
Basman: Wenn man beim Spielen einen Schluck aus einer Flasche mit «starkem» Alkohol nimmt gibt’s ja immer dieses Pseudo-«das ist jetzt aber stark»-Gesicht. Wenn du aber einmal echten Schnaps trinkst, siehst du gleich, wie es dich überall mit Gänsehaut überzieht.
Bei der Partyszene habt ihr ein paar Statisten erschreckt, weil die meinten, die Drogen und Schlägereien seien echt. Dresen: Ach, wir wollten die doch gar nicht erschrecken, wir haben die auch stundenlang vorbereitet, haben ihnen alte Techno-Videos gezeigt und so. Dann haben wir sie in den Club runtergebracht, wo ein echter DJ auflegte, zuerst war da so ein Bass-Ton, wie so ein Formel-1-Wagen, der vorglüht, das fand ich geil. Und dann haben wir immer 15- bis 20-Minuten-Takes gedreht, wo die einfach abgefeiert und gemacht haben. Das war schon sehr überzeugend. Man konnte schon vergessen, dass das ein Filmdreh ist.
Wurden Sie zum Techno-Fan? Dresen: Ich bin mehr so Drum’n’Bass und Triphop, aber das fand ich geil. Wir haben ja nicht nur historischen Techno eingespielt, sondern auch neueren. Dieser Original-Techno vom Anfang der 90er ist ja schon echt krass. Und ein bisschen stumpfsinnig.
Joel Basman hat das deutsche Kino im Griff.Bild: gina schuler
Joel Basman, Anfang der 90er waren Sie noch zu jung für die Clubs. War Techno ein Hintergrundgeräusch ihrer Kindheit? Basman: Ja, eh. Spätestens als ich nach Berlin gezogen bin, hab ich mich richtig damit auseinandergesetzt und bin dann sozusagen zurück in die 90er. Und gerne. Ich kann das nicht jeden Tag so Stunde um Stunde hören, aber ich glaube, dass Techno etwas sehr Ursprüngliches hat für den Menschen. So wie früher dieses Getrommel und dieses «Ouououhhh». Mit Techno erreicht man enorm schnell einen Level der Euphorie, ohne dass man etwas nehmen muss.
Sie sind jetzt nicht mehr nur der Spezialist für gefährdete Jugendliche im «Tatort» oder in deutschen TV-Filmen. Mit «Als wir träumten» und «Wir sind jung, wir sind stark» sind sie jetzt auch der Spezialist für ostdeutsche Problemjugendliche Anfang der 90er-Jahre im Kino. Dresen: Ja, ja, immer mehr in Richtung Nische spezialisieren...
«Mit Techno erreicht man enorm schnell einen Level der Euphorie, ohne dass man etwas nehmen muss.»
Joel basman
«Als wir träumten» spielt in Leipzig, «Wir sind jung, wir sind stark» erzählt von den Anschlägen auf Ausländer in Rostock-Lichtenhagen 1992. Was haben Sie Neues gelernt über Ihre Wahlheimat? Basman: Ich weiss inzwischen extrem viel über den Osten, ich glaube, ich könnte auch die Landesgrenzen einzeichnen. Letztens bei Stefan Raab haben sie das komplett verkackt! Hamburg war im Osten! Die beiden Filme waren recherchemässig zwei verschiedene Sachen, das spielt zwar beides in der gleichen Zeit, ist politisch aber ganz anders.
Wie sieht denn dieses Recherchieren für eine Rolle wie in «Als wir träumten» aus? Basman: Zuerst kuckst du dir an, was eigentlich neu auf dem Markt war. Die Jungen sind ja immer so auf «Was ist neu, was ist geil, was ist das Beste?» aus. Das Ziel von meiner Figur Mark ist, richtig gute Technics-Plattenspieler zu haben, und die waren damals unbezahlbar. Was gab es für ihn also für Alternativen? Oder wie ist eigentlich dein Schulalltag, wenn du aus dem Osten kommst, mit den Liedern, die du den ganzen Tag runtersingst, der Nationalhymne, etc.? Es war auch spannend, als wir erst im Osten die Premieren hatten und dann im Westen: Schon nur ein rotes Halstuch löst im Osten enorm viel aus, im Westen denken die Leute einfach an Pfadfinder.
Die Leipziger Clique in «Als wir träumten».Bild: Filmcoopi
Dresen: Gerade gestern an einer Party sang jemand: «Meine Mutti ist Abteilungsleiter, alle Tage, alle Tage steht sie ihren Mann. Nur zuhause kommt sie gar nicht weiter, packe ich im Haushalt nicht mit an.» Das ist so’n Scheiss! Dass Frauen im Osten auf eine selbstverständliche Art berufstätig waren, ist ja interessant. Aber die Gleichberechtigung war keineswegs so, dass die Männer dann bei der Hausarbeit ebenso selbstverständlich mitgeholfen hätten. Das heisst, die Frau konnte dann alles machen.
Ist Joel Basman ein guter Ostler? Dresen: Auf jeden Fall, ganz klar! Es war ja klar, dass ich nur mit Jungs – und dem einen Mädel – arbeiten konnte, die die DDR vom Alter her gar nicht kannten und sich das aneignen mussten. Die Grundvoraussetzung war, dass sie neugierig genug waren.
«Joel brennt. Man vergisst, dass er spielt. Man glaubt.»
andreas dresen
Wie neugierig ist Joel Basman? Ich habe gelesen, er gehöre jetzt in Deutschland zu den Besten seiner Generation. Basman: Ich geh dann jetzt mal...
Dresen: Das kann man so unterstreichen. Joel hat eine super Energie, das ist nie ohne Spannung, selbst wenn seine Figur erschöpft oder müde oder kaputt ist. Das hat mit Neugierde, mit Wachheit, mit einer Intensität zu leben zu tun. Joel brennt. Man vergisst als Zuschauer, dass er spielt. Man glaubt.
Bild: gina schuler
Sie sagen öfter, dass die Jugend von heute zu wenig brenne. Dass sie wieder wilder, anarchischer sein müssten. Dresen: Hm, das klingt mir dann aber selbst immer zu altväterisch. Und ich kenn ja auch eine ganze Reihe junger Leute, die richtig dabei sind. Unser Hauptdarsteller, der Merlin, macht zum Beispiel Demos, kennt sich politisch total gut aus, liest viel, mit dem kann ich mich auch über Marx unterhalten. Aber es ist heute sehr viel schwerer, eine Art Rebellion zu starten, weil die Welt so vernetzt ist und unser Leben so saturiert. Es gibt weniger Räume zu besetzen als noch Anfang der 90er.
Joel Basman, schliessen Sie sich dem an? Basman: Das Hauptproblem ist doch, dass uns Jungen immer gesagt wird, wir hätten keinen Grund zu motzen, wir dürften nicht, wir hätten ja jetzt alles, und politisch sei auch alles gut. Und viele von uns machen es sich ja auch einfach, die wollen dann nur Auto, Haus, Frau, Hund. Das würde mir persönlich nicht reichen. Aber es ist schon so: Sobald man ein bisschen zur Anarchie neigt, wird man runtergebuttert, von wegen, komm mal runter, geh mal nach Indien, denen geht’s schlecht.
Dresen: Wir haben euch doch ne tolle Welt hingestellt ...
Basman: Und wenns dann extrem wird, drehst du halt ab und wirst fanatisch, in welche Richtung auch immer. Aber Junge müssen das ja auch, die kriegen doch nur so Bestätigung, wenn sie rausgehen und mal ihre Meinung sagen. Dann geht so ein Paul aus Zürich plötzlich nach Syrien in den Dschihad. Zuhause hat er vielleicht noch drei Geschwister, kriegt weder in der Familie noch in der Schule wirklich Aufmerksamkeit. Und plötzlich ist da ein Foto von ihm im Internet mit einer Kalaschnikow in der Hand, und alle 50'000 Menschen, die er auf Facebook oder von irgendwoher kennt, sind daran interessiert, dass Paul jetzt plötzlich in Syrien unten ist. Das ist geil. Für mich ist das fehlgeleitete Energie.
Dresen: Deshalb ziehen Jugendliche in den Dschihad: Weil sie das Gefühl haben, endlich werden sie gebraucht und können gesellschaftlich was ausrichten. Obwohl sie damit in eine total destruktive Richtung gehen. Aber es hat genau damit zu tun, dass man hier, wenn man so sein sicheres, behütetes Leben führt, sehr schnell das Gefühl hat, gar nichts machen zu können und auch nicht gefragt zu sein. Die Demokratie, in der wir leben, ist halt ein mühseliger, schleichender Prozess. Sie ist das Wertvollste, was wir haben. Aber sie ist mühsam. Und dann ist man als junger Mensch, der vorpreschen will, schnell frustriert.
Und das ganze Erwachsenwerden ist sowieso nur ein Weg der Desillusionierung. Dresen: Genau, das zeigen wir in unserem Film. Da schreitet die Desillusionierung rasend schnell vorwärts.
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