Er hat sechs erwachsene Kinder, ist seit 1982 mit Trudie Styler liiert, Eigentümer von sechs Luxusimmobilien und viele Millionen schwer. Dazu hat der 67-jährige Sting auch noch einen Job, der ihm selbst nach mehr als 40 Jahren unverschämt viel Freude bereitet. Nun veröffentlicht der Engländer mit «My Songs» seine grössten Hits in neuer, zeitgemässer Interpretation.
Was war der Grund, Ihre besten Songs neu zu interpretieren?
Sting: Zweifelsohne klingt meine Stimme heute anders als vor 20, 30 Jahren, sie ist geschmeidiger und reicher strukturiert, hat eine tiefere und facettenreichere Qualität. Auch Aufnahmetechniken haben sich verändert Mein musikalisches Gefühl ist heute ebenfalls ein anderes. Ich sage nicht, die neuen Versionen sind besser oder schlechter als die anderen, ich sage nur, sie sind anders.
Sind Ihre Songs Ihre Freunde?
Mir sind sie jedenfalls alle sehr sympathisch (lacht). Wenn du einen neuen Song aufnimmst, ist das der Beginn einer Beziehung, das ist aufregend, aber du weisst noch nicht, wie sich diese Beziehung mit der Zeit entwickeln wird. Eine Beziehung, die über viele Jahre besteht, ist etwas ganz anderes. Da ist mehr Wissen, tatsächlich auch mehr Liebe, aufrichtige, tiefe Liebe. Und nicht mehr nur ein Hingerissensein.
Sie würden also die Zuneigung zu Ihrer Musik mit der Liebe zu Ihrer Frau gleichsetzen?
Ich will den Vergleich nicht überstrapazieren, aber es gibt durchaus manche Parallelen. Ich nehme meine Songs sehr ernst, ich behandele sie gut und beschäftige mich intensiv mit ihnen. Ich mag die. Meine Frau ist natürlich ein lebender, atmender Organismus, von daher: Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen meinen Liedern und meiner Frau, würde ich immer Trudie wählen. Ich liebe sie immer noch sehr und bin stolz auf unsere lange Ehe.
Um im Bild zu bleiben: Ist Ihre Liebe auch mit den Jahren gewachsen und intensiver geworden?
Kann Liebe wachsen? Ich glaube, sie reift und wird dadurch in gewissem Sinne stabiler. Aber auch durch eine schon seit langem funktionierende Beziehung kannst du nicht einfach gedankenlos hindurchnavigieren. Jeder Tag in einer Ehe bringt neue Verhandlungen mit sich. Das Fundament einer Ehe sind Kompromisse. Manchmal sind diese schwer zu finden, aber ich finde, die Anstrengung, sich immer wieder in der Mitte zu treffen, ist eine lohnende.
Haben Sie eigentlich ständig neue Songideen im Kopf?
Oh nein, das wäre schön. Das mit den Songs ist wie Angeln. Manchmal beisst einer an, manchmal nicht. Wichtig ist nur, dass du immer schön nah am Fluss sitzen bleibst, also offen und bereit bist, wenn dir die Inspiration begegnet. Meist schreibe ich einfach über das, was mir gerade passiert oder was ich sehe. Ich wünschte, es gäbe irgendwo einen Knopf, den ich drücken könnte, damit die Ideen strömen. Aber der Knopf verändert ständig Form und Farbe, ich finde ihn nur selten. Jedes Mal, wenn ich einen Song fertiggestellt habe, frage ich mich, ob es wohl der letzte war. Denn es könnte ja wirklich sein.
Im Ernst?
Ja, natürlich (lacht). So ticke ich aber ohnehin. Ich frage mich auch bei jeder Mahlzeit, ob es wohl die letzte sein könnte. Das Zusammenspiel von Leben und Tod fasziniert mich. Und daraus folgt: Geniesse, was du hast. Solange du es hast.
Eine gute Philosophie, um durchs Leben zu kommen?
Aus meiner Erfahrung ja. Aber ich habe dieses Konzept natürlich nicht erfunden. Das waren die Stoiker aus dem alten Griechenland.
Sie identifizieren sich mit dem Stoizismus?
Schon, ja. Ich habe die «Meditationen» von Marcus Aurelius gelesen. Er plädiert darin für ein einfaches Leben und für die Akzeptanz der guten wie der schlechten Zeiten. Mein eigenes Leben hatte früher einige extreme Höhen und Tiefen zu bieten – es war bisweilen sehr dramatisch. Heute begnüge ich mich gern mit einem langsamen, sanften Anstieg. Ich bin glücklich und zufrieden, solange mich das Leben nicht an eine steile Klippe führt.
Aber aufwärts soll es schon gehen?
Ja, ich möchte mich weiterentwickeln. Worauf ich verzichten möchte, sind krasse Veränderungen oder Disruptionen. Mit dem Alter habe ich festgestellt, dass ich eine grössere Gelassenheit bekommen habe. Ich bin irgendwie, sagen wir, weiser und akzeptiere die meisten Dinge leichter als früher.
Sind Sie denn selbst ein Stoiker?
Definitiv. In meinem Beruf kannst du leicht süchtig werden nach den Extremen. So viele meiner Kollegen haben nicht überlebt, weil sie das Drama in ihrem Leben nicht mehr ausgehalten haben. Ich bevorzuge – innerhalb meiner anspruchsvollen, häufig hektischen Arbeit – ein ruhiges, gemächliches Leben.
Bringt Sie überhaupt noch etwas aus der Ruhe?
Ich mache gern den Eindruck, ein Fels in der Brandung zu sein. Wenn mich etwas aufregt, neige ich dazu, mir den Ärger nicht anmerken zu lassen. Ich versuche, eine grundsätzliche Entspanntheit auszustrahlen.
Haben Sie vor irgendetwas Angst?
Ja, eindeutig. Ich bin mutig, aber ich fürchte mich vor Bären und Drachen (lacht). Obwohl ich weder das eine noch das andere bisher gesehen habe.
Und im Ernst?
Vor dem Klimawandel. Der ist gefährlicher als alle Bären zusammen. Die Jugend macht was, aber die Politiker nicht. Die scheinen sich alle mehr darum zu sorgen, an der Macht zu bleiben, als etwas gegen die grösste existenzielle Krise zu unternehmen, die wir auf diesem Planeten jemals hatten. Solange die Politiker das alles ignorieren und aussitzen, können wir wenig tun. Ich kann letztlich nur an die Menschen appellieren, für jene Politiker zu stimmen, die das Problem angehen, anstatt bloss dummes Zeug zu reden.
Haben Sie bei den Europawahlen gewählt?
Ja, ich wähle immer. Ich habe vor drei Jahren für den Verbleib in der EU gewählt, und irgendwie hoffe ich immer noch, dass wir irgendwie in der Gemeinschaft bleiben. Ich sehe einfach keinen Grund, die EU zu verlassen.
Die Mehrheit war anderer Ansicht.
Gut möglich, dass wir inzwischen in der Mehrheit sind. Ich finde, es muss ein zweites Referendum geben, jetzt, wo die Informationen und die Nachteile offen auf dem Tisch liegen. Ich denke, jetzt würden die Menschen klüger abstimmen.
Was sind Sie? Brite? Europäer? Weltbürger?
Ich bin ein Brite, der für Europa einsteht.
Bevor Sie Musiker wurden, waren Sie Lehrer. Was ist heutzutage das Wichtigste, das Sie Kindern beibringen würden?
Mein Job war es, Enthusiasmus zu wecken – für ein Buch, für ein Gedicht, für ein Gemälde. Man kann niemandem etwas beibringen, was den gar nicht interessiert. Es geht darum, Begeisterung zu entfachen. Lehren gibt es nicht.
Warum nicht?
Weil Menschen nur das lernen, was sie lernen möchten.
Also waren Sie als Lehrer eigentlich mehr ein Inspirateur?
Lehrer und Unterhaltungskünstler sind für mich tatsächlich zwei sehr eng miteinander verwandte Berufe. Auch als Entertainer musst du die Begeisterung vorleben, die Energie rüberbringen, auf der Bühne den Funken entzünden, der alles zum Leuchten bringt. Ein Lehrer, der vor seiner Klasse steht, hat eine ganz ähnliche Aufgabe.
Sie werden äusserlich nicht älter. Wie machen Sie das?
Ich bin sehr fit, fühle mich ausgesprochen lebendig und ich bin neugierig auf das, was das Leben bietet. Ich bin glücklich. Ich bin gerne 67 Jahre alt, das ist ein gutes Alter. Du hast die Weisheit, aber immer noch auch die Wildheit. Ich kenne einige sehr, sehr lebendige und aufgeschlossene 95-Jährige. So jemand möchte ich später auch sein.
Haben Sie Sympathie für die Gelbwesten? Braucht Europa so etwas wie eine Revolution?
Ich kann nachvollziehen, worum es den Demonstranten geht. Aber ich teile ihre Ansichten und ihr Vorgehen nicht.
Gerade haben Sie ein festes Engagement im «Caesars Palace» in Las Vegas verkündet. Sind Sie für Vegas nicht noch zu jung?
Das habe ich auch immer geglaubt. Aber ich probiere das jetzt aus. Das Schöne ist: Ich habe dort meinen eigenen Konzertsaal. Ich kann dort eine Umgebung und Atmosphäre schaffen, die besonders ist und die zu hundert Prozent meinen Vorstellungen entspricht. Meiner Fantasie sind keine hier Grenzen gesetzt. So etwas geht auf einer herkömmlichen Tournee nicht.
Ist Las Vegas der Schlusspunkt Ihrer Karriere?
Auf keinen Fall. Oder glauben Sie, Lady Gaga wird in Kürze aufhören? Ich habe das Glück, einen Job gefunden zu haben, den ich liebe und der meinem Leben einen Sinn gibt. Ich bin privilegiert. Mein Leben ist wirklich ein grosses Glück.
Kann man Ihre Sommertournee als «Greatest Hits»-Tour bezeichnen?
Och, warum nicht? Ich kann mich doch glücklich schätzen, überhaupt so viele Hits zu haben. Deutlich mehr als einen. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Viele Musiker haben ja nur einen einzigen Hit. Oder sogar gar keinen (lacht).
THANKS, Sting.
Sting ist für mich einer der besten Musiker.