Nach dem Interview in Quiberon wird Romy Schneider noch vierzehn Monate leben. Nach dem Interview in Quiberon wird sie schon bald ihren vierzehnjährigen Sohn David verlieren: Er wird aufgespiesst, als er versucht, über den scharf zugespitzten Zaun seiner Grosseltern zu klettern. In Quiberon hegt sie noch die Hoffnung, dass er nach ihrer Scheidung von seinem Vater bei ihr bleiben will. David entscheidet sich für den Vater.
Im bretonischen Quiberon gibt Romy Schneider ihr letztes Interview. Sie hat eingewilligt, im März 1981 mit dem «Stern» zu sprechen und zwar nicht irgendwo, sondern in der Rehab. Sie soll da von ihrer Alkohol- und Tablettensucht runterkommen. Oder diese wenigstens mal unterbrechen. Ihre Diät ist streng: kein Öl, Salz, Zucker, Brot, Fruchtsaft, keine Sahne. Eigentlich darf sie sich nur von Quark und Wasser ernähren. Sie macht den Entzug für David.
Sie lebt damals – kurz unterbrochen von einem Eheversuch in Deutschland – seit gut 20 Jahren in Frankreich, sie brannte als 21-Jährige mit Alain Delon durch, und Coco Chanel höchstselbst nahm den «kleinen Pummel» (Chanel) unter ihre Fittiche und verwandelte Romy in eine elegante Pariserin. Sie baute sich ein neues Leben und eine neue Karriere fern von «Sissi» auf, als scheinbar selbstbestimmter, sinnlicher Superstar. Deutschland und Österreich verziehen ihr dies nicht, sie wurde als «Franzosenflittchen» abgestempelt.
«Ich bin eine unglückliche Frau von 42 Jahren und ich heisse Romy Schneider», wird sie der «Stern» zitieren. Der Mann, der Antworten wie diese aus der Schauspielerin herausbricht, ist Michael Jürgs, wird später Chefredaktor des «Stern», aber kurz nach der Wende wieder entlassen, weil er schreibt, es wäre besser gewesen, die «Zonis» hinter der Mauer zu lassen. Später ist er bei «Tempo».
Er lässt Champagner in den Interviewraum bringen, weil er weiss, dass Romy unter Alkohol freigebiger wird. Am Ende des Gesprächs wird sie betrunken auf dem Teppichboden einschlafen, schliesslich hilft ihr ein Zimmermädchen.
Der Fotograf Robert Lebeck, ein Freund von Romy Schneider, macht 600 Fotos von Glanz und Elend in Quiberon. Als er Romy 1976 auf einem Dreh kennen lernte, steckte sie ihm einen Zettel unter seiner Zimmertür durch, auf dem stand: «Du machst mir Angst und ich mach mir Angst, vergiss mich schnell, aber bitte sag mir gute Nacht.» Und so verbrachten der Star und der Fotograf ihre erste gemeinsame Nacht, ohne Sex, wie die Legende geht, ihre zweite verbringen sie in Quiberon.
Rund 600 Fotos schiesst Lebeck von den drei Tagen, die er mit Romys bester Freundin Hilde Fritsch und Michael Jürgs bei Romy verbringt. Nur 20 davon gelangen an die Öffentlichkeit. Die restlichen hat der 2014 verstorbene Lebeck der Filmemacherin Emily Atef zur Verfügung gestellt. Er und Fritsch haben viele Gespräche mit Atef geführt, gemeinsam rekonstruierten sie die Tage des Interviews. Das Ergebnis: «3 Tage in Quiberon». Ein Film, so schwarz-weiss wie die Bilder und bis ins kleinste Detail exakt. Jedenfalls so exakt, wie 600 Fotos und zwei Freunde dies zu sein vermögen.
Der Film ist stylish – das schicke 70er-Jahre Hotel, in dem Romy gastierte, steht noch genau so, die Felsen am Meer, auf denen sie für Lebeck herumturnte und sich schliesslich einen Knöchel brach, sind ebenfalls unverändert. Marie Bäumer, die immer schon ausgesehen hat wie Romy, hat sich jetzt endlich breitschlagen lassen, die Ikone zu spielen und sie macht das so grosszügig offen, verletzlich und auf anstrengende Art bedürftig, wie Romy selbst gewesen sein soll. Man möchte sie gleichzeitig beschützen und zum Mond schiessen.
Vor allem aber ist der Film medienhistorisch bedeutsam: Wahnsinn, wie höflich die Journalisten seit damals geworden sind! Jürgs Interviewtaktik war brutal, sexistisch und manipulativ. Er erfand frühere Begegnungen mit Romy Schneider, um sie offener zu machen. Er erniedrigte und beleidigte sie, und sie liess es geschehen, denn sie war eine Frau und er war ein Mann und so war das nun mal zu jener Zeit.
Als Jürgs den Film schliesslich Anfang Jahr an der Berlinale sah, musste er sich gleich mit drei Seiten in der «Süddeutschen Zeitung» rechtfertigen. Sich als Unterstützer und Befreier einer Frau feiern, die doch enorm viel grösser als er selbst gewesen war. Oder, um es in seinen eigenen Worten zu sagen: «Der grösste weibliche Star Europas.»
Am 29. Mai 1982 wird Romy Schneider, eine unglückliche Frau von 43 Jahren, tot an ihrem Schreibtisch gefunden. Unter den trauernden Freunden sind auch Alain Delon, Michel Piccoli und Gérard Depardieu. Delon legt einen letzten Brief auf ihr Grab: «Tu n’as jamais été aussi belle, tu vois j’ai appris quelques mots d’allemand pour toi: Ich liebe dich meine Liebe.»
«3 Tage in Quiberon» läuft jetzt im Kino.