Eigentlich hat Papst Johannes Paul II. seine eigene Heiligsprechung wesentlich erleichtert. 1983 änderte der erste Papst aus Polen nämlich die Regeln, nach denen die katholische Kirche bisher verdiente «Diener Gottes» in den Stand der Heiligkeit beförderte. Waren zuvor nicht weniger als vier Wunder vonnöten, genügte fortan auch ein einziges Mirakel.
Es ist kein Wunder, wenn das Wort in diesem Zusammenhang erlaubt sein soll, dass ausgerechnet Johannes Paul II. den Prozess der Heiligsprechung vereinfachte. Denn der Turbo-Papst, der in seiner enorm langen Amtszeit (1978 – 2005) so viel und weit reiste wie kein Pontifex vor ihm, fabrizierte Heilige im Akkord: 482 waren es gemäss Presseamt des Vatikans. Das sind mehr als alle seine Vorgänger zusammen seit 1588 heilig sprachen, als die Kurie ein klar geregeltes Verfahren dafür einführte.
Diese Inflation der Heiligen, die frivole Geister dazu brachte, den Vatikan als «Heiligenfabrik» zu verspotten, war für den Polen auf dem Stuhl Petri Teil einer konsequenten Politik der konservativen Kursberichtigung nach den – in seinen Augen – modernistischen Verirrungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es ist kein Zufall, dass Johannes Paul II. Reaktionäre wie Josemaría Escrivá, den Gründer des ultrakonservativen Geheimbunds Opus Dei, zum Heiligen machte oder den erzkonservativen Papst Pius IX. (1792 – 1878) seligsprach, der die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma erhob.
Nun wird also der Papst, der zu Leb- und Amtszeiten ein «Meister der Selbstinszenierung» war, selbst heiliggesprochen. Am 27. April erhebt ihn sein Nach-Nachfolger Franziskus zur Ehre der Altäre – nicht ohne Ironie gleichzeitig mit einem anderen einflussreichen Papst des 20. Jahrhunderts, nämlich Johannes dem XXIII. Dieser hatte 1962 das Zweite Vatikanum eröffnet, das im Zeichen des aggiornamento stehen sollte, der Anpassung der katholischen Kirche an heutige Verhältnisse.
Wenn Franziskus am Sonntag die Kanonisation auf dem Petersplatz in Rom in einem weltweit übertragenen Zeremoniell verkündet, gesellt sich Johannes Paul II. zur Schar der bisher 81 heiliggesprochenen Päpste. Selig ist er bereits – das erfolgreich abgeschlossene kirchenrechtliche Verfahren der Seligsprechung ist Voraussetzung für den Akt der Heiligsprechung.
Dieser langwierige Prozess darf erst fünf Jahre nach dem Ableben der Kandidaten eingeleitet werden. Bei dem enorm populären Johannes Paul II. setzte sein Nachfolger Benedikt XVI. diese Regel jedoch ausser Kraft. Das Verfahren der Seligsprechung beginnt in der Diözese, in der der künftige Selige verstorben ist; der örtliche Bischof eröffnet es auf Antrag von Gläubigen und mit der Erlaubnis des Heiligen Stuhls, der das nihil obstat (etwa: «Nichts spricht dem entgegen») erteilt.
Die Ermittlungen für das Diözesantribunal führen der Postulator, der Belege für die Seligkeit des Kandidaten sammelt, und der Justizpromotor – früher advocatus diaboli genannt –, der mögliche Hindernisse für die Seligsprechung aufdecken soll. Nach dem Abschluss des Verfahrens auf Ebene der Diözese gehen die Akten nach Rom an die Selig- und Heiligsprechungskongregation. In der vatikanischen Phase des Verfahrens prüft der Glaubenspromotor mögliche Zweifel an der Seligkeit des Kandidaten.
Solche Zweifel gab es bei Johannes Paul II.: Seine freundschaftliche Beziehung zu Marcial Maciel, dem Ordensgründer der Legionäre Christi, brachte den Prozess zeitweilig ins Stocken. Der Papst soll den pädokriminellen Ordensmann noch gefördert haben, nachdem dessen sexuelle Übergriffe an minderjährigen Kindern bereits bekannt geworden waren. Dennoch fiel die Untersuchung der Kongregation letztlich positiv aus.
Wenn dies der Fall ist, präsentiert der Präfekt der Kongregation die Ergebnisse dem Papst, der dann die letztgültige Entscheidung fällt. Damit er einen Kandidaten – falls dieser nicht als Märtyrer gestorben ist – seligsprechen kann, muss der Nachweis eines Wunders vorliegen, das sich nach seinem Tod und auf seine Fürbitte hin ereignet hat. Bei Johannes Paul II. ist dies die Genesung der Nonne Marie Simon-Pierre von der Parkinson-Krankheit, die angeblich nach Bittgebeten ihrer Mitschwestern an Johannes Paul II. eintrat.
Für die Heiligsprechung wird das ganze Verfahren nicht noch einmal wiederholt, doch auch hier ist der Nachweis eines Wunders unabdingbar, das sich zudem nach der Seligsprechung ereignet haben muss. Im Fall von Johannes Paul II. handelt es sich erneut um ein Heilungswunder: Die 50-jährige Floribeth Mora Díaz aus Costa Rica soll von einem Aneurysma im Hirn geheilt worden sein, nachdem sie ein Schwarz-Weiss-Foto des verstorbenen Papstes auf der Frontseite einer Zeitung gesehen und dazu eine Stimme vernommen hatte.
Damit waren alle Voraussetzungen erfüllt, dass der Papst aus Polen nur neun Jahre nach seinem Tod heiliggesprochen werden kann – «unter Missachtung aller vorgeschriebenen Fristen», wie der Kirchenkritiker Hans Küng dem «Spiegel» sagte.