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Amherd-Nachfolge: Wer kommt nach dem «Favoritensterben» infrage?

Nationalrat und Parteipraesident Gerhard Pfister, Mitte-ZG, rechts, und Nationalrat und Freaktionschef Philipp Matthias Bregy, Mitte-VS, sprechen an einer Medienkonferenz zur Nachfolge von Bundesraeti ...
Sie erklärten via Sonntagspresse ihren Verzicht: Philipp Matthias Bregy und Gerhard Pfister am Montag vor den Medien.Bild: keystone
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Favoriten sagen reihenweise ab: Wer kommt überhaupt noch infrage?

Mit Gerhard Pfister und Martin Candinas wollen die meistgenannten Favoriten auf die Amherd-Nachfolge nicht antreten. Das könnte für die Mitte-Partei auch eine Chance sein.
20.01.2025, 18:3721.01.2025, 08:24
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Die Nachricht platzte am Samstagabend in den Fondueplausch auf dem Grotzenbüel. Im Bergrestaurant oberhalb des Glarner Ferienorts Braunwald versammelten sich wie jedes Jahr die Europa-Freunde, darunter bekannte Namen aus der Politik. Hauptthema war das neue Vertragspaket mit der EU (Tendenz: verhaltener Optimismus).

Doch dann diese Breaking News: Gerhard Pfister will nicht Nachfolger von Viola Amherd im Bundesrat werden. Der Noch-Präsident der Mitte-Partei und in den Medien meistgenannte Favorit nahm sich in der «Sonntagszeitung» aus dem Rennen. Von da an gab es am sogenannten «Braunwald-Inferno» eigentlich nur ein Gesprächsthema.

Welche Mitte-Favoriten abgesagt haben – und welche nicht

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Welche Mitte-Favoriten abgesagt haben – und welche nicht
Will kein Bundesrat sein: Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister verzichtet auf eine Kandidatur. Er wäre «kein glücklicher Bundesrat», sagte er in einem Interview. Zudem schätze er seinen «Gmögigkeitsfaktor», der für eine Wahl wichtig sei, als gering ein.
quelle: keystone / peter schneider
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Pfisters Verzicht wirkte überraschend. Über seine Bundesratsambitionen wurde seit Jahren spekuliert. In der SRF-«Tagesschau» vom Sonntag aber wirkte der 62-jährige Zuger gelöst, wie man ihn selten erlebt. Als wäre ihm eine schwere Last von der Schulter gefallen. Die Gründe, die er für seine Nicht-Kandidatur anführte, wirken plausibel.

Der «Anti-Pfister»

Er wäre «kein glücklicher Bundesrat», meinte Pfister. In diesem Amt muss man ein Teamplayer sein, im Gremium und als Departementschef. Gerhard Pfister aber hat sich mit seinem Intellekt und seiner Streitlust im Parlament und in der eigenen Partei nicht nur beliebt gemacht. Eine Abstrafung bei der Bundesratswahl war ein realistisches Szenario.

Damit rückte für die Amherd-Nachfolge der «andere» Favorit neben Pfister in den Vordergrund: der Bündner Nationalrat Martin Candinas. Der 44-Jährige ist die Jovialität in Person und damit ein «Anti-Pfister». Er hat einige Vorzüge, aber auch Schwachpunkte, etwa ein unscharfes Profil bei wichtigen Themen oder die fehlende Führungserfahrung.

Rücksicht auf die Familie

Am Montag aber erledigten sich diese Spekulationen. Noch bevor die Parteispitze den Fahrplan für die Bundesratswahl kommunizierte, erklärte Candinas den Verzicht auf eine Kandidatur. Die Aussicht auf das Bundesratsamt entfache «aktuell kein inneres Feuer in mir», teilte er mit. Auch verwies der Vater dreier schulpflichtiger Kinder auf seine Familie.

Mit dem gleichen Argument sagte Fraktionschef Philipp Matthias Bregy in der «NZZ am Sonntag» für die Amherd-Nachfolge ab. Es ist ehrenwert, gerade für eine «Familienpartei» wie die Mitte. Und vielleicht ist der Bundesratsjob gar nicht so beliebt. Man muss eine Arbeitslast schultern und ist heftigen Anfeindungen etwa aus der SVP ausgesetzt.

Eigensinnige Ständeräte

Irritierend wirken die Absagen trotzdem, auch weil die Mitte drei Spitzenpositionen neu besetzen muss: Bundesratsamt, Parteipräsidium und wohl auch das Generalsekretariat. Hinzu kommt, dass Amherd und Pfister ihre Rücktritte offenbar nicht abgesprochen hatten. Die Mitte-Partei gebe «ein chaotisches Bild ab», schnödete die «Sonntagszeitung».

Unter Präsident Pfister und Generalsekretärin Gianna Luzio hat sich die Partei mit einigem Erfolg neu erfunden. Doch das Spektrum war und ist breit. Es reicht von den «schwarzen» CVP-Stammlanden bis zu einem urbaneren, sozialliberalen Milieu. Besonders die eigensinnigen Ständeräte legen sich zu Gerhard Pfisters Leidwesen öfters quer.

Erster Bundesrat im Rollstuhl?

Das «Favoritensterben» bei der Amherd-Nachfolge eröffnet der Mitte aber auch Chancen. Das Feld öffnet sich für Kandidaturen, die bislang nicht im Vordergrund standen. Eher nicht dazu gehört Markus Ritter, und das nicht nur, weil er wie Karin Keller-Sutter aus St.Gallen stammt. Als Bauernpräsident ist er schon heute einer der mächtigsten Männer des Landes – nicht nur politisch.

Isabelle Chassot, Mitte-FR, links, spricht mit Andrea Gmuer, Mitte-LU, rechts, waehrend der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 10. Dezember 2024 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/An ...
Isabelle Chassot (l.) verzichtet, dafür könnte Andrea Gmür zum Thema werden.Bild: keystone

Dafür könnte der Zürcher Nationalrat Philipp Kutter ins Rennen einsteigen. Er wäre der erste Bundesrat im Rollstuhl. Doch in seinem Fall stellen sich gesundheitliche Fragen: Kutter ist Tetraplegiker, und als Bundesrat ist man praktisch rund um die Uhr gefordert. Viola Amherds Vorgängerin Doris Leuthard sprach einst von einer 90-Stunden-Woche.

Aufwind für Frauen?

Hoffnung könnten auch die Frauen schöpfen. Drei der vier letzten Bundesratsmitglieder von CVP/Mitte waren weiblich (Amherd, Leuthard, Metzler). Nun sei wieder ein Mann an der Reihe, hiess es da und dort. Diese Position könnte sich aufweichen, auch wenn die Freiburger Ständerätin Isabelle Chassot als Mitglied der Findungskommission definitiv nicht kandidiert.

Zum Thema werden könnten Frauen, gegen die es gewisse Vorbehalte gibt, etwa die proeuropäische Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter oder die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür, der ihr Rückzug als Fraktionschefin nach etwas mehr als einem Jahr angekreidet wird. Abgesagt hat hingegen die Urner Ständerätin Heidi Z’graggen.

Ettlin als «Dark Horse»

Sie stand 2018 mit Viola Amherd auf dem Ticket, doch damals war sie als Regierungsrätin in Bern zu wenig bekannt. Das gleiche Handicap hat ein Name, der am Samstag in Braunwald aufploppte: der Aargauer Finanzdirektor Markus Dieth. Er präsidiert derzeit die Konferenz der Kantonsregierungen, doch Kantonspolitiker haben es in der Bundesversammlung schwer.

Erich Ettlin, Mitte-OW, spricht waehrend der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 18. Dezember 2024 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Der Obwaldner Ständerat Erich Ettlin ist kein Blender, doch er gilt als einflussreich.Bild: keystone

Der frühere Parteichef Christophe Darbellay überlegt es sich, doch er kandidiert am 2. März für eine dritte Amtszeit als Walliser Staatsrat, mitten in der heissen Phase der Bundesratswahl. Auftrieb könnte ein Name erhalten, der bislang kaum genannt wurde: Erich Ettlin, Ständerat aus Obwalden. Gerhard Pfister verwies in der «Sonntagszeitung» auf seinen Einfluss im Parlament.

Kein Angriff zu befürchten

Ettlin ist ein unterschätzter Dealmaker. Er ist konservativ, aber kein Hardliner wie der Oberwalliser Beat Rieder oder der Innerrhoder Daniel Fässler. Ein Nachteil mag sein Alter sein: Ettlin wird im Mai 63. Doch dieser Vorbehalt kann relativiert werden: Friedrich Merz, Chef der «Schwesterpartei» CDU, dürfte nächster deutscher Bundeskanzler werden – mit 69.

Die Mitte-Partei hat das Glück, dass niemand ihren Bundesratssitz angreift, auch nicht die Grünen. Sie ist für Linke und Rechte als Mehrheitsbeschafferin unverzichtbar. Wer es aber aufs Ticket schafft, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, nur zweite Wahl zu sein. Er könnte sich auch auf den Anspruch auswirken, einen zweiten Sitz auf Kosten der FDP zu erringen.

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Ein Rückblick auf Viola Amherds Karriere
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Ein Rückblick auf Viola Amherds Karriere
2003: Von 2000 bis 2012 war Viola Amherd Stadtpräsidentin von Brig-Glis.
quelle: ti-press / ely riva
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Mitte-Präsident Gerhard Pfister gibt sein Amt im Sommer ab
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53 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Human ist
20.01.2025 19:39registriert Oktober 2018
Das Bundesratsamt verliert an Status. Während im Gegenzug der Pöbel aus dem Parlament als Hauptverursacher ungeschoren davon kommt.
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Decepticon
20.01.2025 20:00registriert April 2022
Lustig, Die Mitte jammert dauernd rum, sie hätten einen zweiten Bundesrat verdien, schaffen es aber kaum nur den einen Posten zu besetzen…
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    Reparaturen von Uhren werden zur Kostenfalle – weil Uhrmacher keine Ersatzteile erhalten
    Eine Reparatur kostet Hunderte Franken und dauert viele Wochen. Grund dafür ist, dass Uhrenhersteller unabhängige Uhrmacher nicht immer beliefern. Das ärgert Letztere und ist immer wieder Thema bei der Wettbewerbskommission.

    Eigentlich sollte es nur eine kleine Reparatur sein, dachte sich ein Leser unserer Zeitung. Seine Uhr der Marke Omega, die er einst günstig aus zweiter Hand erstanden hatte, wies einen Defekt auf. «Keinen schlimmen, die Uhr funktionierte schliesslich noch», sagt der Leser. Doch um die Uhr vor Folgeschäden zu bewahren, suchte er einen Uhrmacher auf. Dieser sagte ihm: Klar, die Uhr könne man reparieren, aber nicht hier. Die Uhr müsse eingeschickt werden, zu Omega, dort werde wahrscheinlich ein Vollservice fällig, da die Uhr ja schon relativ alt sei. Nur: Bei Omega summierte sich der Vollservice bei dieser Uhr auf 800 Franken. «Das war doch sehr überraschend für mich», meint der Leser, «die Uhr hat damals viel weniger gekostet.» Doch der Uhrmacher konnte im Geschäft nichts reparieren, und die Preise von Omega seien fix. Faktisch könnte eine kleine Reparatur von jedem gelernten Uhrmacher durchgeführt werden, ist sich der Leser sicher. Wieso machen sie es dann nicht?

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