Der Entscheid von Mitte-Präsident Gerhard Pfister, auf eine Bundesratskandidatur zu verzichten, überrascht viele. Kaum ein Politiker hat den Machtanspruch eindeutiger formuliert und vorangetrieben: Pfister arbeitet seit Jahren daran, die Mitte-Partei als «dritten Pol» in der Parteienlandschaft zu etablieren – und die FDP an den Rand zu drängen. Diesem Ziel ordnete er auch die politische Ausrichtung der Partei unter: Inhaltlich justierte er den Kurs stets mit Blick auf den Zugewinn von Wählerprozenten.
Und jetzt scheinen endlich alle Sterne richtig zu stehen, der Zeitpunkt ist perfekt. Seinen Rücktritt als Parteipräsident erklärte er zwei Wochen vor Viola Amherds Rücktrittsankündigung. Auch wäre die Kandidatur angesichts des Machtanspruchs konsequent, der logische Karriereschritt: Die Mitte-Partei wuchs 2023 erstmals wieder – der Erfolg gibt ihm Recht.
Wieso also will Gerhard Pfister nicht Bundesrat werden? Es gibt fünf Gründe, die wahrscheinlich sind.
Gerhard Pfister bezweifelt, dass ein Mitte-Bundesrat aktuell in der Regierung viel bewirken kann, wie er im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» erklärt. Der Bundesrat setze «zu stark auf die Macht des Viererblocks aus SVP und FDP». Das sei problematisch, weil das weder den Mehrheitsverhältnissen im Parlament noch dem Willen der Stimmbevölkerung entspreche.
Wäre es aber nicht genau darum wichtig, dem Quartett Paroli zu bieten? Ihnen eine politisch gefestigte und argumentativ starke Stimme entgegenzuhalten? Als Nationalrat könne er mehr bewirken, behauptet Pfister.
Diesen Beweis müsste er allerdings zuerst noch antreten. Die Behauptung ist haltlos genauso wie jene, dass im Bundesrat zu wenig diskutiert werde. Klar ist hingegen, dass die Mitte bei nächster Gelegenheit den zweiten Bundesratssitz der FDP angreifen will. Das bekräftigt Fraktionschef Philipp Bregy gegenüber der NZZ am Sonntag.
Geht der Plan der Mitte auf, stellt sie plötzlich die mächtigste Person in der Regierung: Das Zünglein an der Waage zwischen rechts und links.
Die Vorwürfe gegen Generalsekretärin Gianna Luzio werden seit Dezember neu befeuert: Seit 2023 sechs ehemalige Mitarbeitende anonym Kritik an ihrem Führungsstil erhoben, steht die 45-jährige Luzio unter verschärfter Beobachtung. Einzelne Fraktionsmitglieder bemängeln, die Vorwürfe seien zu wenig aufgearbeitet. Mitte-Ständerätin Andrea Gmür verlangt gar eine externe Untersuchung.
Allerdings zeigen die Berichte der externen Ombudsstelle der Mitte-Partei, dass es auf dem Generalsekretariat unter der Leitung von Luzio keine Führungsprobleme gibt. Pfister ist darum überzeugt, dass die Anfeindungen eigentlich seiner Person gelten. Und er sagt mit Nachdruck, dass die Vorwürfe seinen Entscheid nicht beeinflussten.
Wer Bundesrat werden will, braucht die Unterstützung des Parlaments. Denn die Vereinigte Bundesversammlung ist das Wahlgremium der Schweizer Regierung. Als gewiefter Stratege hat sich Pfister seine Gedanken gemacht, er spricht im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» von der Bedeutung des «Gmögigkeitsfaktors». Und seiner sei ziemlich klein. Nachdem Pfister seit langem mit dem Bundesratsamt kokettiert hatte und als Favorit gehandelt wurde, wird jetzt zunehmend deutlich, dass seine Wahl alles andere als gesichert wäre.
So hat er bei den natürlichen Verbündeten viel Goodwill verloren: Die FDP drangsaliert er seit Jahren. Bei der SVP gewinnt er auch keinen Beliebtheitspreis. Und obwohl er ein gutes Verhältnis zu Cédric Wermuth pflegt, sind ihm die Stimmen von links alles andere als gewiss.
Vor allem aber fehlt ihm der Sukkurs der eigenen Fraktion. Vielen Ständeräten missfällt, wie er den Takt vorgibt, wie er politisch immer häufiger nach links neigt. Parlamentarier bezweifeln darum, dass die eigene Fraktion Gerhard Pfister für das Bundesratsticket nominieren würde.
Pfister sagt selbst, er könne sich für eine Kandidatur nicht verbiegen. Vielleicht hat er einfach die Rechnung schon gemacht.
Wobei er an seinen Kompetenzen nicht im Geringsten zweifelt, wie er dem «Tages-Anzeiger» sagt. «Ich habe mich natürlich gefragt, ob ich das könnte. Und bei aller Bescheidenheit: Ich würde mir das Amt zutrauen.» Und das würden auch viele andere – sonst wäre das Geraune nach seiner Verzichtserklärung nicht so laut.
Er habe sich aber auch gefragt, ob das Amt zu ihm passe. Die Antwort ist: Nein. «Wer mich etwas näher kennt, weiss, dass ich kein glücklicher Bundesrat wäre.»
Pfister ist damit nicht der erste Top-Kandidat, der sich das Amt nicht antun will. Bereits Mitte-Ständerätin Isabelle Chassot erklärte, es fehle ihr für die Kandidatur die Lust, Lust darauf zu haben. Ständeratskollege Benedikt Würth erklärt, aus persönlichen Gründen auf die Kandidatur zu verzichten. Und auch Fraktionschef Philipp Bregy sagt ab, weil er weiterhin gerne auch Zeit mit seinen noch kleinen Kindern verbringen wolle.
Entgegen allen Erwartungen kandidiert Pfister nicht. Dieses Überraschungsmoment scheint er zu geniessen. Wobei er selbst von einem «grossen Missverständnis» spricht. In der Öffentlichkeit werde die Stereotype verbreitet, er habe strategisch und taktisch stets auf das Amt hingearbeitet. Dem sei nicht so.
Wer glaubt, es sei reine Koketterie, könnte sich täuschen: Jedenfalls empfiehlt er, den Parlamentsmitgliedern den Namen Gerhard Pfister nicht auf den Wahlzettel zu schreiben. Er würde die Wahl nicht annehmen. (aargauerzeitung.ch)
Es muss nicht jeder Politiker das Ziel haben, Bundesrat zu werden. Natürlich ist es eine Ehre, aber es ist auch mit sehr viel Arbeit verbunden. Ich verstehe, dass man sich das nach einer erfolgreichen Karriere mit 62 nicht mehr antun will.
Und besser, er sagt, wie es ist, als wie Blocher eine Show abzuziehen mit "ich will nicht, ich muss, um das Land zu retten".