Den Appenzellern sollte der Bundesrat ein Kränzlein winden. Zumindest auf dem Papier hat der Kanton die meisten vorläufig aufgenommenen Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt integrieren können. Gemäss aktuellen Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) arbeiteten 100 Prozent aller erwerbsfähigen Personen aus dem Asylbereich. Allerdings wohnt nur eine einzige davon in Innerrhoden. Und die hat Arbeit gefunden.
Der Vergleich zwischen Kantonen hat seine Tücken. Kleinere Kantone mit wenigen Flüchtlingen leisten bessere Integrationsarbeit. Ob- und Nidwalden, Schwyz, Glarus und die beiden Appenzell erreichen eine Erwerbsquote deutlich über dem Schweizer Durchschnitt. Dieser liegt bei Flüchtlingen bei 30.8 und bei vorläufig Aufgenommenen bei 46.4 Prozent.
Die grossen Kantone unterscheiden sich stark. In Genf arbeitet nach sechs Jahren Aufenthalt in der Schweiz knapp jeder siebte anerkannte Flüchtling. Kaum besser funktioniert die Integration in der Waadt, im Tessin und in Neuenburg, wo die Erwerbsquote überall klar unter 20 Prozent liegt. Im Baselbiet und im Aargau funktioniert die Integration besser, in Basel, Solothurn und Zürich sogar überdurchschnittlich gut.
Laut SEM tragen verschiedene Faktoren zu den Unterschieden bei: die Struktur des Arbeitsmarktes, der Urbanisierungsgrad, die Organisation der Sozialhilfe sowie der Integration. Thomas Kessler, früherer Basler Integrationsbeauftragter, sagt, auf dem Land gebe es vor allem das bessere Jobangebot, es sei vielfältig und niederschwellig. Den offensichtlichen Röstigraben erklärt er zudem mit einem unterschiedlichen Staatsverständnis, wonach der Staat in der Romandie verstärkt für die seinen sorgt.
So soll die am Montag verkündete Integrationsoffensive die Welt nicht neu erfinden, sondern die Unterschiede nach oben angleichen. Als positives Beispiel nennt das SEM Graubünden, wo nebst einem günstigen Wirtschaftsumfeld (niederschwellige und saisonale Berufe in Gastronomie und Bau) auch eine intensive individuelle Betreuung stattfindet. Die Pauschale à 18 000 Franken, die der Bund um 12 000 Franken erhöht hat, ist nicht nur Geldsegen. Die Kantone sind verpflichtet, die geforderte Leistung zu erbringen – sonst müssen sie das Geld retour geben.
Um Fehlanreize zu tilgen, ändert auch das Zahlungsregime: Der Bund deckt nicht mehr einfach steigende Sozialhilfekosten, sondern investiert in Bildung und Betreuung. Das Ziel, dass nach sieben Jahren Aufenthalt 70 Prozent aller anerkannten Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen einen Job haben, nannte Bundesrätin Simonetta Sommaruga am Montag vor den Medien «ehrgeizig». Die Kantonsvertreter zeigten sich motiviert, haben sie doch erkannt, dass sie zunehmend das «Risiko der Nichtintegration» tragen, wie der St. Galler CVP-Regierungsrat Benedikt Würth sagte.
Auch Kessler begrüsst die Investitionen als notwendigen ersten Schritt. Allerdings hält er es falsch, Integration nur an der Sprache festzumachen. Das Niveau sei nicht entscheidend. «Wenn einer ein Handwerk gut beherrscht, reicht es, wenn er gebrochen Deutsch spricht.» Die Arbeit sei die wesentliche Hürde für die Integration in die Schweizer Gesellschaft. «Wer sich ans Gesetz hält und arbeitet, ist akzeptiert und integriert. Punkt.» Für Kessler ist die politische Arbeit deshalb nicht abgeschlossen. Er fordert schon lange, die jungen Männer im Asylbereich zu beschäftigen, damit sie nicht «auf andere Ideen kommen».
Eine Tagesstruktur zu haben, sei entscheidend. Die grösste Schwierigkeit wird in Zukunft sein, geeignete Stellen zu vermitteln. «Im Berner Oberland sind 90 Prozent der Metzger-Stellen nicht besetzt.» Doch der Verteilschlüssel von anerkannten Flüchtlingen richtet sich nach der Bevölkerungszahl des Kantons anstatt nach dem Arbeitsangebot. Dafür müsse aber ein Umdenken stattfinden, so Kessler. «Ein Flüchtling ist nicht per se eine Last. Er kann der Gesellschaft und der Wirtschaft etwas geben.»