Das Brienzer Zimmer im Bundeshaus ist berühmt für seine Schnitzereien mit Vögelchen, Eichhörnchen und Trauben. Es erinnert ein wenig an ein Berner Oberländer Chalet. Hier steht der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer am Donnerstag vor einem Pulk von Kameras und Mikrofonen. An seiner Seite die Co-Präsidenten seiner Kantonalpartei sowie alt Nationalrat Peter Vollmer und alt Regierungsrätin Dori Schaer-Born. Sie kennt Matthias schon, seit er «ein kleines Bübchen» war, wie sie sagt.
Aus dem Bübchen ist ein 55-jähriger Mann geworden, der Schaer-Born um zwei Köpfe überragt - und der jetzt Bundesrat werden will. Darum hat er zum Point-de-Presse geladen.
Aebischer sagt jene Sätze, die man im Bausatz für die Ankündigung von Bundesratskandidaturen findet: «Ein solcher Entscheid muss überlegt sein», «ich habe grossen Respekt vor dieser Aufgabe, es ist eine grosse Verantwortung». Doch nach einer eingehenden Selbstbefragung («Kann ich das? Will ich das?») kommt er zum Schluss: «Ich traue mir dieses Amt zu.» Und nicht nur er: «Meine Familie, meine Frau Tiana Moser, mein Umfeld unterstützen mich zu hundert Prozent.»
Der Auftritt ist kurz, aber sorgfältig orchestriert. Aebischer lässt seine Begleiter für sich sprechen. Sie zeichnen das Bild des kleinen Buben aus dem ländlichen Schwarzenburg, der in die Stadt gezogen ist, beim Radio und Fernsehen in Zürich Karriere gemacht hat und vor 12 Jahren in den Nationalrat einzog. Ein Brückenbauer zwischen Stadt und Land, der heute «als engagierter Vater» einer Patchworkfamilie jenes Leben führt, das gerne als urban bezeichnet wird. Er streicht der Jüngsten das Pausenbrot und bringt sie in den Kindergarten, «sogar an einem Morgen wie heute», sagt der stolze Papi.
Die Checkliste für einen modernen SP-Mann wird Punkt für Punkt abgearbeitet - und mit einem «Erfüllt» abgeschlossen.
Bleiben die kritischen Fragen: Verfügt er als Primarlehrer nicht über zu wenig Führungserfahrung? Der Ex-Journalist hat die Frage kommen sehen: Im Lebenslauf findet sich die Zeile: «1996 SRF-Olympia-Chef» bei den Sommerspielen in Atlanta. Für rund 100 Leute sei er da als 29-Jähriger mitverantwortlich gewesen, sagt er. Hinzu käme die Erfahrung als Präsident von sechs Organisationen aus Politik, Sport und Kultur, darunter auch grössere wie Pro Velo Schweiz oder Cinésuisse.
Eine andere heikle Frage ist die nach der Rollenteilung mit seiner Frau. Es geht nicht nur um das Butterbrot der vierjährigen Tochter. Sondern um politische Abgrenzung: Tiana Moser ist Zürcher GLP-Nationalrätin, Fraktionschefin und kandidiert für den Ständerat. Sie gilt als potenzielle Kandidatin, sollte die GLP im Herbst Anspruch auf einen Bundesratssitz erheben. Er habe mit seiner Frau einen Deal, sagt Aebischer freimütig: Wer zuerst die Chance auf ein Exekutivamt habe, dürfe kandidieren. Und das sei nach dem Rücktritt von Alain Berset nun eben er.
Auf Nachfrage bestätigt das Moser am Telefon. «Ich unterstütze seine Kandidatur zu 100 Prozent.» Und zu einer eigenen Kandidatur sagt die Zürcherin: «Ich will Ständerätin werden, eine Bundesratskandidatur im Dezember ist keine Option.»
Alles kein Problem also: Aebischer, der ideale SP-Mann, steht bereit. Und doch ist er alles andere als Favorit.
Da ist zunächst seine Herkunft. Ihm könnte zum Verhängnis werden, dass er wie Bundesrat Albert Rösti aus dem Kanton Bern kommt. Aebischer kontert trocken mit Artikel 175 der Bundesverfassung. Dieser besagt, dass die Regionen angemessen vertreten sein müssen. Wie das auszusehen habe, «werden am 25. November die SP-Fraktion und am 13. Dezember die Bundesversammlung entscheiden», sagt er.
Was sich sagen lässt: Dass er Berner ist, spielt Aebischer zumindest nicht in die Karten. «Zürich als bevölkerungsreichster Kanton ist nicht mehr im Bundesrat vertreten», sagt Nationalrätin Priska Seiler, Co-Präsidentin der SP des Kantons Zürich. «Es ist Zeit, das wieder zu ändern, vor allem, da wir einen sehr guten Kandidaten haben.» Nämlich Ständerat Daniel Jositsch.
Noch deutlicher wird Lisa Mathys, Präsidentin der SP Basel-Stadt. «Wir hatten seit 50 Jahren keinen Bundesrat mehr. Natürlich würden wir uns deshalb eine Vertretung aus Basel wünschen», betont sie. «Wir fänden es für das Gleichgewicht unter den Regionen besser, wenn einzelne Kantone nicht mehrere Bundesratsmitglieder gleichzeitig haben.»
Noch ein weiteres Kriterium ist in der SP zentral: «Urbanität ist extrem wichtig», sagt etwa die Basler Ständerätin Eva Herzog, die eine Kandidatur in Erwägung zieht. Das sieht Lisa Mathys ebenso: «Sonst haben wir in der Regierung ein Ungleichgewicht in Bezug auf die Gesellschaft.» Derzeit hat kein Bundesratsmitglied städtische Wurzeln. Mathys verweist «sehr stolz» darauf, dass die Basler SP mehrere mögliche Kandidaturen habe: Nationalrat Mustafa Atici ist bereits Kandidat, Ständerätin Eva Herzog und Regierungsrat Beat Jans überlegen noch.
Das Alter war bisher kein Thema in der öffentlichen Diskussion. Innerhalb der SP ist es allerdings auf dem Tisch. Der aktuelle Bundesrat hat – ohne Alain Berset (51) als jüngstes Mitglied - ein Durchschnittsalter von 60 Jahren. Das sei deutlich zu hoch, finden viele in der Partei. Sie vermissen die Diversität - gerade auch, weil die Altersbandbreite mit 57 (Albert Rösti) bis 63 Jahren (Guy Parmelin) sehr schmal sei. Mit 55 Jahren läge Matthias Aebischer nur wenig darunter. Jüngere Kandidaten hätten einen Vorteil. (aargauerzeitung.ch)