Ein Schreckgespenst geistert durch die Schweizer Medienlandschaft: Markus Somm, Verleger und Chefredaktor der «Basler Zeitung» (BaZ), bekannt für eine grosse Nähe zu Christoph Blocher und eine stramm rechte Gesinnung. Eine Mehrheit des Verwaltungsrats der «Neuen Zürcher Zeitung» wollte ihn laut Medienberichten zum Chefredaktor des 234 Jahre alten Traditionsblatts ernennen, als Nachfolger des letzte Woche abgesetzten Markus Spillmann.
Unter seiner Leitung sei die FDP-nahe NZZ zu oft nach links abgedriftet, wurde ihm vorgeworfen. Markus Somm sollte sie zurück auf den Pfad der rechten Tugend führen, hiess es. Diese Perspektive sorgte für einen Aufschrei in der Medienbranche. Kadermitarbeiter und Redaktoren drohten mit Kündigung. Nun hat Somm abgesagt. Er sei für den Posten angefragt worden, habe sich aber dagegen entschieden, teilte er mit.
Damit dürfte eine Variante Auftrieb erhalten, die ein ganz anderes Bild der Machtspiele bei der «alten Tante von der Falkenstrasse» zeichnet. Sie stammt von einem Kenner des NZZ-Innenlebens. Die Schlüsselfigur ist demnach nicht Somm und auch nicht Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod, sondern Veit Dengler, seit Oktober 2013 CEO der NZZ-Mediengruppe. Er soll die Absetzung von Markus Spillmann gezielt vorangetrieben haben, um die uneingeschränkte Macht im Konzern zu erlangen.
Der 46-jährige Österreicher ist ein Quereinsteiger, er arbeitete zuvor unter anderem für den Unternehmensberater McKinsey und das Onlineportal Groupon. Der mit einem gesunden Selbstbewusstsein ausgestattete Dengler wurde verpflichtet, um die angestaubte NZZ in die digitale Zukunft zu führen. Sein erster Coup allerdings war die vollständige Übernahme der beiden Regionalzeitungen «Neue Luzerner Zeitung» und «St.Galler Tagblatt». Ein lukratives Geschäft: Allein die Neue LZ liefert jährlich Gewinne in zweistelliger Millionenhöhe nach Zürich ab.
Eigentlich aber hält der CEO Papiermedien für ein Auslaufmodell, so der Gewährsmann. «Denglers Zukunft ist digital, mobil, schnell, aktuell», heisst es in einem Porträt des Wirtschaftsmagazins «Bilanz». Für diese Strategie steht die kürzlich angekündigte Schliessung des NZZ-Druckzentrums in Schlieren, die auch in der Redaktion kritisiert wird. Markus Spillmann dagegen ist ein Zeitungsmann und NZZ-Traditionalist. Ein Machtkampf war unausweichlich, denn CEO und Chefredaktor agierten bislang auf Augenhöhe, beide sind Mitglied der Geschäftsleitung.
Letzte Woche muss es zum Knall gekommen sein. Die Redaktion jedenfalls war vollkommen überrumpelt von Spillmanns Absetzung, so der Insider. VR-Präsident Jornod musste sie der Belegschaft kommunizieren, er verfasste auch eine Laudatio auf den ersten Chefredaktor in der NZZ-Geschichte, der seinen Sessel nicht freiwillig räumte. Veit Dengler, der in der Redaktion für seinen rüden Umgangston berüchtigt ist, hielt sich im Hintergrund.
Dort soll er den Umbau der NZZ zielstrebig vorantreiben. Der Chefredaktor soll künftig nicht mehr der Geschäftsleitung angehören, sondern dem CEO unterstellt sein. «Dengler will einen Grüssaugust», sagt der Gewährsmann. Der machtbewusste Markus Somm eignet sich dafür in keinster Weise. Auch er ist ein Zeitungsmensch und weder auf Facebook noch auf Twitter aktiv. Selbst Spillmann war in dieser Hinsicht fortschrittlicher.
Hat Somm den Chefposten abgelehnt, weil er nicht unter Veit Dengler arbeiten wollte? Noch ist offen, ob sich die politische Linie durchsetzen wird oder die betriebswirtschaftliche von Dengler. In diesem Fall dürfte es in der NZZ drunter und drüber gehen. Der CEO hat Berater seines ehemaligen Arbeitgebers McKinsey angeheuert. Bei der Suche nach Einsparungen dürften sie rasch fündig werden. Unter Spillmanns Ägide haben sich quasi-feudale Strukturen erhalten, die anderswo längst undenkbar sind, mit Redaktoren, die mehr oder weniger ein Eigenleben führen.
Dabei bleibt Denglers Strategie hoch riskant. Der Erfolg des Bezahlmodells für die NZZ-Digitalangebote ist überschaubar, ein grosser Teil der Abos entfällt auf Schnupperangebote. Ein Problem sind auch die NZZ-Leser, die keine gedruckte Ausgabe mehr wollen, sondern auf ein günstigeres Digitalabo umsteigen. Es sind die gleichen Leute, nur bezahlen sie weniger. Unklar sind auch die Erfolgschancen seines Prestigeprojekts NZZ.at, das erst in einer Betaversion existiert. Für Gesprächsstoff sorgen die miesen Löhne, die in Österreich bezahlt werden. Redaktoren verdienen laut Stellenausschreibung ganze 2500 Euro im Monat.
Veit Dengler hat allerdings einen grossen Vorteil: Er hat einen Plan B. Falls es in Zürich nicht klappt, kann er jederzeit in seine Heimat zurückkehren und seine politische Karriere wieder aufnehmen, die er für das NZZ-Engagement auf Eis gelegt hat. Er ist Mitbegründer der liberalen Partei «Das Neue Österreich und Liberales Forum» (Neos), die letztes Jahr auf Anhieb ins Parlament eingezogen ist. Die Türen für eine Rückkehr stehen weit offen.
Selbst wenn er sich im Machtkampf durchsetzt, wird er in einigen Jahren Richtung Osten entschwinden, ist der NZZ-Insider überzeugt. Bis dann könnte der CEO die NZZ umgekrempelt haben. «Das Geschoss Dengler hinterlässt nicht selten verbrannte Erde», schreibt die «Bilanz» in ihrem Porträt.
Vielleicht schlägt dann ja die Stunde von Christoph Blocher und Markus Somm.