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Es geht auch anders: Sufis praktizieren den Islam des Herzens 

Sheik Hassan lehrt die Sufis üblicherweise in der «Osmanischen Herberge» in Deutschland. Der Muslim glaubt zu wissen, was es braucht, damit die Menschen in Frieden zusammenleben können. 
Sheik Hassan lehrt die Sufis üblicherweise in der «Osmanischen Herberge» in Deutschland. Der Muslim glaubt zu wissen, was es braucht, damit die Menschen in Frieden zusammenleben können. Bild: Chris Iseli / Aargauer Zeitung
Nicht alle sind Extremisten

Es geht auch anders: Sufis praktizieren den Islam des Herzens 

Die Mitglieder des islamischen Zentralrats um Nicolas Blancho sorgen mit ihren extremen Ansichten für Kopfschütteln. Auch bei den Sufis, die sich für vier Tage in einem Aargauer Ferienheim trafen. Zu Besuch bei diesen unbekannten Muslimen.
16.10.2014, 06:0120.11.2014, 18:17
Aline Wüst / Aargauer Zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Der Heilpädagoge Stefan Burger öffnet die Tür. Er ruft auf Arabisch hinunter ins Tal: «Allah u Akbar, ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt ausser Gott. Ich bezeuge, dass Mohammed Gottes Gesandter ist. Eilt zum Gebet. Kommt zu den guten Dingen. Gott ist grösser.» Dann schliesst Burger die Tür wieder. Durchs offene Fenster zwitschern die Vögel. Niemand eilt zum Gebet. Alle sind schon da. 

In Reihen stehen die Muslime auf den Teppichen, einige barfuss. Im Ferienheim Beguttenalp oberhalb von Aarau beginnen rund 50 Schweizer, Deutsche und Österreicher zu beten. Männer und Frauen getrennt. Fast alle sind Konvertiten – «grässliches Wort», finden sie. Lieber sprechen sie davon, «den Islam angenommen zu haben». 

Mit den landesweit bekannten Konvertiten vom islamischen Zentralrat wollen sie nichts zu tun haben. Irre, verdunkelte Knallköpfe seien das. Die Muslime auf der Beguttenalp sind Sufis. Sie leben einen Islam des Herzens, arbeiten daran, Ego und Stolz abzulegen. Sie suchen die Gotteserfahrung im Augenblick. Burger sagt: «Gott ist schön und er liebt das Schöne.» Sonst hätte er die Welt einfarbig erschaffen. 

«Der Sufismus ist das Fruchtfleisch und der Islam die Schale der Kokosnuss. Das eine geht ohne das andere nicht.»

Beim Brot-Käse-Oliven-Frühstück schmunzeln die Frauen über die Frage, was Sufismus ist. Die Frage sei zu gross, um nebenbei beantwortet werden zu können, sagen sie. Stefan Burger versucht es mit einem Sinnbild: «Der Sufismus ist das Fruchtfleisch und der Islam die Schale der Kokosnuss. Das eine geht ohne das andere nicht.» 

Für die Salafisten vom islamischen Zentralrat sind die Sufis auch irre verdunkelte Knallköpfe. Präsident Nicolas Blancho bezeichnet sie gar als «haram» – unrein. Auch Schweinefleisch ist haram. 

Der Teufel 

Auf der Beguttenalp ist Ferienlager-Stimmung. Auf einem Tisch liegt eine Zahnbürste, wer müde ist, legt sich auch nachmittags kurz ins Bett. Und als ein Sufi von seinem günstigen Handy-Abo erzählt, ist er schnell umkreist von anderen in Pluderhose und mit langem Bart. Fremd sehen sie aus, die Sufis – obwohl ihre Wurzeln im Aargau, in Vorarlberg oder Köln sind. 

Der Aargauer Stefan Burger kam vor 30 Jahren als Tankwart an der Raststätte Spreitenbach mit einem Sufi-Meister in Kontakt. Der Sufi habe ihm Wärme ins Herz gegeben, Antwort auf alle seine dringenden Fragen gehabt. Burger nahm den Islam an. Seine Frau ist Christin – leicht sei das nicht immer. 

Der Aargauer Stefan Burger ist seit 30 Jahren Sufi. 
Der Aargauer Stefan Burger ist seit 30 Jahren Sufi. Bild: Chris Iseli / Aargauer Zeitung

Auch beim Wochenende auf der Beguttenalp ist ein Sufi-Lehrer der Mittelpunkt. Der 68-jährige Mann aus Deutschland heisst Sheik Hassan. Bis er morgens aus seinem Zimmer kommt, beginnt keiner mit dem Frühstück. Eine Begegnung mit ihm gebe Friede ins Herz, sagt Burger. Der Sheik lehrt die Sufis. Er sagt, der Islam sei perfekt und lasse den Menschen erst wieder los, wenn auch der Mensch perfekt ist. Er sagt auch, dass es Freiheit nur durch Dienen gebe und die Gesellschaft einer falschen Freiheit nacheifere. 

Später bei einem Spaziergang erläutert der Sheik, dass ein Muslim ein Mensch sei, vor dessen Hand man sicher ist. Der Einwand, diese Definition vertrage sich nur schwer mit den Bildern aus Syrien, dieser Einwand erregt den Sheik: «Das sind keine Muslime, überlegen Sie doch mal!» 

«Islamischer Staat? Ist mir egal, wie die sich nennen. Der Teufel nennt sich irgendwie. » 
Sheik Hassan

Erneuter Einwand, dass sich diese Leute aber doch «Islamischer Staat» nennen. Der Sheik wird wütend: «Ist mir egal, wie die sich nennen. Der Teufel nennt sich irgendwie. Es sind allein die Taten, die zählen.» Und der Sheik fügt an, dass sich das auch die Christen zu Herzen nehmen und Jesus und nicht bloss dem Weg der Geldgier nachfolgen sollten. 

Das Gottvertrauen 

Der Saal im Ferienheim mit den Teppichen am Boden ist die Moschee. In die Moschee geht nur, wer keine Schuhe trägt. Und so gibt es an der Tür immer einen Stau, weil inmitten von 100 Schuhen jeder sein Paar finden muss. 

Das Gebet am Nachmittag besteht auch aus dem Lesen von arabischen Lobesworten auf den Propheten Mohammed. Obwohl sich die Konvertiten mit Salam aleikum begrüssen – Arabisch sprechen kann kaum einer. Eine frisch konvertierte junge Schweizerin ist beeindruckt von den Ausdrücken, die Stefan Burger kennt. 

Er erklärt später, dass Arabisch die vollkommene Sprache sei. Es gehe ein Segen aus von ihr, auch für Menschen, die diese Sprache nicht verstehen. Burger versteht auch nicht, was der Imam in seiner Moschee am Freitag erzählt. Der Imam spricht Albanisch. Trotzdem ist es für Burger wichtig hinzugehen, weil der Freitag der Tag der Gemeinschaft ist. 

Jetzt auf

Nach dem Wochenende schreibt Burger in einer E-Mail, dass die Tage auf der Beguttenalp schön gewesen seien, voller Licht. Schreibt, dass die Herzen nun leuchten, wie der volle Mond und leicht seien. 

Angst braucht wohl keiner zu haben vor diesen bärtigen Muslimen. Auch wenn sie für ein ungeübtes Auge ein bisschen aussehen wie afghanische Kämpfer. Der erste Blick täuscht zwar, zu Schreckmomenten führt der Anblick der Sufis trotzdem hin und wieder. So schrie eine Frau einst laut auf, als sich die Lifttür öffnete und vor ihr der bärtige Burger stand. 

Er lacht darüber – Humor hilft in der aufgeheizten Stimmung. Darum schmunzeln die Sufis auch über den Witz, dass ein nächtlicher Angreifer wohl in die Flucht geschlagen werden könne, einzig in dem man laut ‹Islam› und ‹Scharia› schreit. 

Bleibt noch eine Frage an den Sufi-Lehrer. Eine grosse Frage: «Sheik Hassan, wie kann es Frieden auf dieser Welt geben?» Der Mann muss nicht über die Antwort nachdenken. Sie kommt sofort: «Wenn jeder Mensch versucht, ein guter, friedlicher Nachbar zu sein.» 

Da lange nicht jeder Mensch ein guter Nachbar ist, fürchtet sich der Sheik vor dem Ausbruch eines 3. Weltkriegs. Und weil der Mann mit dem Stock ein Sufi ist, übt er sich täglich darin, sich nicht zu fürchten. Übt auf Gott zu vertrauen. 

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