Ein Marathon nähert sich der Ziellinie. Die Verhandlungen der Schweiz mit der Europäischen Union (EU) über ein neues Vertragspaket, auch Bilaterale III genannt, stehen kurz vor dem Abschluss. EU-Botschafter Petros Mavromichalis sprach am Empfang zum Jahresende am Donnerstag in seiner Residenz in Bern sogar von einem 100-Kilometer-Lauf.
Nun sei man «bei Kilometer 99,5», sagte der Grieche. Die Stimmung am informellen Anlass reflektierte die Gemütslage. Vor zwei Jahren war sie gedämpft, niemand wusste so recht, wie es im bilateralen Verhältnis weitergeht. Jetzt war sie gelöst. Auch der Schweizer Chefunterhändler Patric Franzen wirkte bei seiner kurzen Visite bestens gelaunt.
Das erstaunt nicht. Die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten diese Woche informiert, dass auf technischer Ebene alle wesentlichen Probleme gelöst seien, zeigen Recherchen des CH-Media-Korrespondenten in Brüssel. Konkret heisst das, dass man sich bei heiklen Punkten wie dem Mechanismus zur Streitbeilegung oder einer Schutzklausel bei der Zuwanderung geeinigt hat.
Jetzt ist die Politik am Zug. Der Bundesrat wollte sich am Freitag gemäss CH Media erstmals mit dem Vertragspaket beschäftigen. Doch das letzte Stück vor dem Ziel ist oft das Schwierigste. Denn ein Punkt bleibt ungeklärt: Wie viel bezahlt die Schweiz für den Zugang zum EU-Binnenmarkt mit seinen 450 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten?
Bislang hat die Schweiz diesen Beitrag eigenständig festgelegt. Er belief sich auf rund 130 Millionen Franken pro Jahr. Die EU beharrt auf einem festen jährlichen Betrag. Verschiedene Medien beziffern ihn auf 350 Millionen. Geklärt werden soll die Frage in einem Gespräch zwischen Aussenminister Ignazio Cassis und seinem EU-Gegenüber Maros Sefcovic.
Ein Stolperer vor der Ziellinie ist immer noch möglich. Vertreter der EU-Botschaft in Bern betonten, sie seien über den Stand der Verhandlungen selbst nicht informiert. Alles laufe über die Kommission in Brüssel. Dennoch spricht sehr viel dafür, dass der Bundesrat am nächsten Freitag einen erfolgreichen Abschluss der Gespräche verkünden wird.
Noch vor Weihnachten ist ein Treffen von Bundespräsidentin Viola Amherd mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geplant, an dem die Einigung besiegelt wird. Im Gespräch ist der 21. Dezember. Danach beginnt der nächste Marathon: Auf Seiten der EU müssen die 27 Mitgliedsstaaten zustimmen, was in der Regel Formsache ist.
Deutlich aufwendiger dürfte der Prozess auf Schweizer Seite werden. Zwar gilt es als ausgemacht, dass der Bundesrat das Vertragspaket nach der Unterzeichnung, die im nächsten Jahr erfolgen dürfte, ans Parlament weiterleiten wird. Er wird es nicht wie 2021 das gescheiterte Rahmenabkommen von sich aus versenken, aus Gründen der Glaubwürdigkeit.
Die letzte und grösste Hürde ist die Volksabstimmung. Gespräche am Donnerstag zeigten, dass unterschiedliche Erwartungen bestehen. Die EU hofft auf eine Abstimmung bis in zwei Jahren, was dem Ablauf bei den Bilateralen I und II entsprechen würde. Auf der Schweizer Seite ist man skeptischer. Ein Volksentscheid vor den Wahlen 2027 gilt als unrealistisch.
Ein mit dem EU-Dossier vertrauter Nationalrat skizzierte einen Fahrplan. Demnach wird das Parlament die Verträge noch in dieser Legislatur verabschieden, die Abstimmung aber erst 2028 stattfinden. Er zeigte sich überzeugt, dass eine Mehrheit von FDP und Mitte dafür sein werde und auch die Gewerkschaften einen Deal mit den Arbeitgebern vereinbaren würden.
Damit wäre die «klassische» Europaallianz zurück. Entscheidend für die Position des Freisinns dürfte sein, dass die als EU-skeptisch geltende Finanzministerin Karin Keller-Sutter ins Lager der Befürworter gewechselt hat, was der Nationalrat bestätigt. Sind beide FDP-Bundesräte für die Verträge, haben es Kritiker wie Präsident Thierry Burkart schwer.
Das Rahmenabkommen scheiterte nicht zuletzt daran, dass es im Bundesrat von Anfang an auf Skepsis stiess und von einer 2:5-Mehrheit abgelehnt wurde. Dafür waren einzig Ignazio Cassis und die damalige CVP-Bundesrätin Doris Leuthard, nicht aber die SP-Mitglieder Alain Berset und Simonetta Sommaruga. Jetzt sollen die Mehrheitsverhältnisse genau umgekehrt sein.
Dagegen sind einzig die SVP-Bundesräte Guy Parmelin und Albert Rösti, während die SP mit Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans «an Bord» sein soll. Was sicher auch daran liegt, dass sie anders als Berset und Sommaruga aus Grenzkantonen stammen. Der Basler Jans ist ohnehin als «europhil» bekannt. Besonders wichtig aber wäre der «Wechsel» von Keller-Sutter.
Offen bleibt, ob die neuen Verträge auch vor dem Stimmvolk bestehen können. Diverse Umfragen zeigen trotz EU-Skepsis eine grundsätzliche Offenheit. Auch deshalb verlangen die Gegner vehement, dass das Paket dem Ständemehr unterstellt wird. Sie gehen sicher nicht zu Unrecht davon aus, es auf diese Weise leichter zu Fall bringen zu können.
Für besagten Nationalrat gibt es zwei Optionen: Das Parlament behandelt die Verträge als Gesamtpaket, oder es spaltet sie auf in den institutionellen Teil – mit der kontroversen Rolle des Europäischen Gerichtshofs – und die sektoriellen Abkommen zu Strom, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Darüber könnte wie bisher ohne Ständemehr abgestimmt werden.
Es fragt sich, wie die EU dieses Vorgehen beurteilen würde. Schliesslich waren die institutionellen Fragen der eigentliche Grund für die Aufnahme der Verhandlungen 2013. Einem Abschluss vor Weihnachten scheint kaum noch etwas im Wege zu stehen. Aber neue Konflikte zwischen Bern und Brüssel sind absehbar.
Wohl eher:
Die Verhandlungen des Chefunterhändlers mit der Europäischen Union (EU) über ein neues Vertragspaket, auch Bilaterale III genannt, stehen kurz vor dem Abschluss.
Nebenbei muss jetzt noch kurz der
BR, SR, NR und das Volch dem Vertragswerk wohlgesinnt sein.
Kurz vor dem Ziel?
Naja..
Dass wir einen Preis für den Zugang zum EU-Binnenmarkt „zahlen müssen“, das ist gerechtfertigt. Aber in diesem Fall sollte die Schweiz auch selbst entscheiden können, welche Gesetze sie übernehmen möchte und wie sie die Zuwanderung eigenständig steuern will. Ich denke, das wäre für beide Seiten zufriedenstellend.