Schweiz
Graubünden

«Ich wollte noch Abschied nehmen»: Brienzer verabschieden sich

«Ich wollte noch einmal hochkommen»: Brienzerinnen und Brienzer verabschieden sich

10.05.2023, 16:1010.05.2023, 16:14
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View of the village and the "Brienzer Rutsch", taken on Tuesday, 9 May 2023, in Brienz-Brinzauls, Switzerland. Authorities in eastern Switzerland have ordered residents of the tiny village o ...
Bedroht: BrienzBild: keystone

Im von Felsstürzen bedrohten Bergdorf Brienz in Graubünden ist die Evakuierung am Mittwoch in vollem Gang gewesen. Bis Freitagabend 18.00 Uhr müssen alle 85 Bewohnerinnen und Bewohner ihre Häuser verlassen. Die Brienzerinnen und Brienzer begannen mit dem Abschied.

«Ich wollte noch einmal hochkommen und Abschied nehmen von meinem Elternhaus. Wir wissen ja nicht, ob es unser Brienz in 14 Tagen noch gibt», sagte Anna Bergamin am Mittwoch im Gespräch mit einer Videojournalistin der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Die Brienzerin wuchs im Bergdorf auf, wohnt jedoch mittlerweile im Tal. Der Abschied falle ihr sehr schwer, erklärte sie mit Tränen in den Augen. Lange habe sie nicht daran geglaubt, dass man das Dorf wirklich evakuieren muss.

Oberhalb des Dorfes lagen am Mittwochnachmittag unzählige Felsbrocken in der Grösse von Gartenhäuschen auf der Wiese verteilt. Während des Rundgangs im Dorf donnerte es deutlich hörbar vom absturzgefährdeten Berg her. Alle zehn Minuten kamen Steine und kleinere Felsbrocken herunter.

Die Blockschläge seien in den letzten Wochen sehr viel intensiver geworden, sagte der Kommunikationsverantwortliche der Gemeinde Christian Gartmann gegenüber Keystone-SDA. Das aktuelle Wetter beschleunige die Rutschung am Berg weiter. Die Behörden gehen derzeit davon aus, dass die Einwohnenden mehrere Wochen oder Monate nicht in ihre Wohnungen und Häuser können. Erst wenn die Geologen Entwarnung geben und sich der Berg «entladen» habe, können die Menschen wieder nach Hause.

Zwei Millionen Kubikmeter

Rund zwei Millionen Kubikmeter Felsmassen drohen in den kommenden sieben bis 24 Tagen abzubrechen. Wie, ist schwer vorauszusagen. Möglich sind drei Szenarien.

epa10619129 Residents of Brienz-Brinzauls attend an information meeting on the imminent evacuation of their village, in Tiefencastel, Switzerland, Tuesday 09 May 2023. The municipality has closed the  ...
Einwohner von Brienz bei der Information der Behörden in Tiefencastel.Bild: keystone

Am wahrscheinlichsten seien zahlreiche Felsstürze von einigen Tausend bis mehreren Hunderttausend Kubikmetern, teilte die Gemeinde vergangene Woche mit. Diese wären für das Dorf am harmlosesten.

Halb so wahrscheinlich sei ein langsames, aber lange andauerndes Abrutschen als Schuttstrom, der Brienz erreichen und beschädigen könnte. Ein grosser, schneller und weitreichender Bergsturz mit mehr als 500'000 Kubikmetern und verheerenden Folgen sei weniger wahrscheinlich, könne aber nicht ausgeschlossen werden.

Vier Überwachungssysteme liefern andauernd Daten der absturzgefährdeten Hangfläche. Sollte es plötzlich schneller gehen als vorausgesagt, würde eine Sirene im Dorf die Bewohnerinnen und Bewohner dazu auffordern, innert Minuten zu fliehen, erklärte der Geologe und Leiter des Frühwarndienstes, Stefan Schneider, am Mittwoch vor den Medien in Brienz.

epa10619128 Residents of Brienz-Brinzauls attend an information meeting on the imminent evacuation of their village, in Tiefencastel, Switzerland, Tuesday 09 May 2023. The municipality has closed the  ...
Bild: keystone

Aktuell gilt die Gefahrenstufe Orange. Sobald ein Abbrechen der Felsmassen noch drei bis zehn Tage bevorsteht, wird der Gemeindeführungsstab die Phase Rot verfügen. Das Betreten von Brienz ist dann auch tagsüber verboten, und das Grossvieh, das derzeit noch im Dorf bleibt, wird weggebracht. Die Kantonsstrasse Tiefencastel-Filisur, die Albulalinie der Rhätischen Bahn und die Passstrasse Tiefencastel-Lenzerheide bleiben vorerst geöffnet.

Unmittelbar vor einem Abbrechen verfügt die Behörde die Phase Blau und evakuiert die beiden westlichsten Häuser von Surava im Talgrund. Mehrere Strassen und die Albula-Bahnlinie werden dann gesperrt. (aeg/sda)

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8 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Aspirin
10.05.2023 16:49registriert Januar 2015
Ich hoffe für die Bewohner auf die harmloseste Variante. Schwer vorzustellen, dass mein Heimatort, Elternhaus, Haus, etc. einfach plötzlich weg wäre.
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Ichsagstrotzdem
10.05.2023 21:27registriert Juni 2016
Erstaunlich, dass heutzutage so genaue Prognosen zum Zeitpunkt des Eintretens möglich sind. Technologie für einmal sinnvoll und mit Mehrwert eingesetzt.
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