Die NGOs, welche auf dem Mittelmeer Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten wollen, stehen unter Druck. In Marseille stürmten am Freitag Rechtsextreme eines ihrer Büros. Die Schiffe der Seenotretter dürfen die Häfen Italiens und Maltas nicht mehr anlaufen. Italiens Innenminister Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Lega, versucht die Seenotretter mit zahlreichen juristischen Verfahren an ihrer Tätigkeit zu hindern.
In den vergangenen Wochen machte vor allem die «Aquarius» Schlagzeilen. Panama hat angekündigt, der «Aquarius» die Flagge zu entziehen. Laut den Betreibern des Schiffs geschah dies auf Druck Italiens. Ohne Flagge kann das Schiff nicht mehr zu Rettungsaktionen auslaufen. Das Rettungsschiff wird von den Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen (MSF) und SOS Méditerrannée betrieben. Mit der «Aquarius» wurden gemäss ihren Betreibern bereits über 30'000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet.
Letzte Woche reichte die grüne Nationalrätin Aline Trede bereits einen Vorstoss zum Thema ein: Der Bundesrat solle der «Aquarius» die Schweizer Flagge geben. Zwei bürgerliche Politiker haben gemeinsam mit SP-Nationalrätin Ada Marra eine ähnlich lautende Interpellation eingereicht. Einer von ihnen ist der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri.
Herr Fluri, Sie wollen vom Bundesrat wissen, ob er bereit ist, die «Aquarius» unter Schweizer Flagge fahren zu lassen. Weshalb setzen Sie sich für die Seenotrettung von Flüchtlingen ein?
Kurt Fluri: Ich tue das aus humanitären Gründen. Es ist ganz einfach: Wir können nicht willentlich in Kauf nehmen, dass diese Menschen im Mittelmeer ertrinken. Was momentan geschieht, ist ein Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik.
Der italienische Innenminister, Matteo Salvini, wirft den NGO-Betreibern der «Aquarius» vor, mit libyschen Schleppern zu kooperieren. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Mir ist auch lieber, diese Flüchtlinge würden nicht in Booten libyscher Schlepper den Weg übers Mittelmeer auf sich nehmen. Und zum Teil spekulieren die Schlepper wohl darauf, dass ihre Boote von Rettungsschiffen aufgegriffen werden.
Weshalb dann Ihr Vorstoss?
Die Schlepper haben kein Gewissen und schicken ihre Boote auch los, wenn kein Rettungsschiff weit und breit ist. Das haben die letzten Monate gezeigt. Die Rettungsboote durften nicht mehr auslaufen, die Schlepper schickten ihre Boote trotzdem los. Mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Toten gestiegen ist. Es ist ganz simpel: Die Flüchtlinge, die sich bereits auf dem Mittelmeer befinden, haben zwei Optionen. Entweder sie schaffen es nach Europa – oder sie ertrinken.
Die Betreiber der Rettungsmissionen wurden in letzter Zeit juristisch verfolgt: In Italien, in Malta, aber auch in Deutschland. Sollte die Schweiz Angeklagte unter ihrer Flagge fahren lassen?
Es ist schäbig, wie die Behörden mit den Rettungsschiffen und ihrer Besatzung umgehen. Auch wenn sie vielleicht hier oder da gegen einzelne Verordnungen verstossen haben: Die Anklagen scheinen mir sehr formaljuristisch zu sein. Denn man darf nicht vergessen: Diese Leute retten Menschenleben. Das muss bei der Beurteilung auf jeden Fall mit einfliessen.
Gegenüber der NZZ sagten Sie, mit der Interpellation wollten Sie und Ihre Kollegen Ada Marra (SP) und Guillaume Barrazone (CVP) ein Zeichen setzen. Hat der Vorstoss auch konkrete Auswirkungen?
Es geht darum, dass der Bundesrat Wege aufzeigt, wie die Schweiz die Seenotrettung auf dem Mittelmeer unterstützen kann. Die Interpellation ist das schnellste Instrument im Parlament: Bereits in der nächsten Session muss der Bundesrat eine Antwort geben. Im Idealfall wissen wir also im November, ob die «Aquarius» unkompliziert unter Schweizer Flagge registriert werden könnte.
Sie sprechen vom Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik. Was kritisieren Sie genau?
Es muss ein Weg gefunden werden, damit die Flüchtlinge den Weg übers Mittelmeer gar nicht erst antreten. Und in Europa muss die gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die europäischen Staaten endlich besser klappen. Ich kann den Frust der Mittelmeer-Anrainerstaaten verstehen: Sie mussten jahrelang die Hauptlast tragen und wurden damit alleine gelassen. Es braucht endlich einen Verteilungsschlüssel nach der Einwohnerzahl. Bevölkerungsreiche osteuropäische Staaten wie etwa Polen nehmen kaum Flüchtlinge auf.
Was kann die Schweiz tun?
Als Mitgliedsstaat des Dublin-Abkommens sitzt sie bereits heute bei den Ministertreffen mit am Tisch. Sie setzt sich dafür ein, dass es eine europäische Lösung gibt. Die Schweiz tut heute bereits vieles: Sie kommt ihren Verpflichtungen aus dem Abkommen nach und nimmt so viele Flüchtlinge auf, dass sie bei einem Verteilschlüssel nach Bevölkerungsgrösse wohl eher entlastet würde. Wir müssen mit den osteuropäischen Staaten noch besser ins Gespräch kommen, ihre Solidarität einfordern und sie von einer europäischen Lösung überzeugen.