Im Juni kommt die Initiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» (BGE) vors Volk. Jetzt streiten sich die Initianten angeblich darüber, wie das BGE finanziert würde.
Oswald Sigg: Streit würde ich das nicht nennen. Es gibt verschiedene Ansichten darüber, wie ein Grundeinkommen finanziert werden könnte und sollte. Und was politisch machbar und gleichzeitig auch noch gerecht wäre.
Die Mehrheit der Initianten will zur Finanzierung unter anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 8 Prozent.
Und noch Erwerbseinkommen, Sozialleistungen und Subventionen etwas umlenken. Das funktioniert schon deshalb nicht, weil eine drastische Erhöhung der unsozialen Mehrwertsteuer nicht mehrheitsfähig ist. Das BGE wird nur dann unser Sozialwerk der Zukunft, wenn es solidarisch finanziert wird.
Was schlagen Sie denn vor?
Das BGE liesse sich mit einer neuartigen Mikrosteuer finanzieren, ohne dass es jemandem wehtut. Erfunden hat sie Finanzunternehmer Felix Bolliger. Er, die Professoren Marc Chesney und Anton Gunzinger und ich sind seit anderthalb Jahren daran, die Automatische Mikrosteuer auf dem Gesamtzahlungsverkehr (AMTD) als Alternative zum heutigen komplexen Steuersystem zu entwickeln.
Wie funktioniert das?
Der gesamte digitale Zahlungsverkehr ist 300-mal so gross wie das Bruttoinlandprodukt. Über 90 Prozent des Volumens stammen aus der Finanzwirtschaft, insbesondere aus dem Hochfrequenzhandel. Die AMTD könnte versuchsweise eingeführt werden mit einer Belastung des Geldverkehrs von 0,05 Prozent, und das BGE wäre damit finanziert. Nach dem Prinzip: Wer mehr Geld bewegt, bezahlt mehr. Also solidarisch.
Müssen wir künftig keine Steuern mehr zahlen?
Doch. Aber nur noch 1 oder 2 Promille von jedem Zahlungsbetrag.
Alt-Bundesrat Deiss soll Sie Verkünder des Schlaraffenlands genannt haben ...
Er ist halt ein bisschen neidisch. Grundeinkommen und Mikrosteuer – beide sind konkrete Utopien. Ernst Bloch hat diesen Begriff geprägt. Es geht um die experimentierende Gestaltung der Zukunft. Mit der Volksinitiative haben wir das Werkzeug dazu.
Aber sie stösst auf viel Ablehnung.
Auch die AHV war eine konkrete Utopie. Aber SP und Gewerkschaften sind empfindlich gegenüber allem, das nicht auf ihrem Mist gewachsen ist. Es gibt trotzdem viele Linke, die uns wohl gesonnen sind – unter ihnen Nationalrätin Silvia Schenker, der Soziologe Ueli Mäder oder der Schriftsteller Adolf Muschg. Judith Giovanelli-Blocher argumentiert ganz ähnlich für das BGE wie ich: Es wird ein Sozialwerk.
Ein Sozialwerk?
Genau. Das BGE ist das kommende Sozialwerk in der Tradition der AHV. Auch sie war Ende des 19. Jahrhunderts höchstens eine gewerkschaftliche Forderung. Heute ist die AHV ein Fundament unserer solidarischen Gesellschaft. Sie ermöglicht das Leben im Alter ohne materielle Existenzängste. Das BGE soll aber das ganze Leben ohne solche Existenzängste möglich machen. Sie werden sehen: Es gibt keine Alternative zum BGE.
Das müssen Sie erklären.
Erstens: Wir müssen wegkommen von der Zwangsarbeit. Jede und jeder ist gezwungen – im Prinzip – sein eigenes und oft auch das Überleben der Familie über Lohnarbeit zu «verdienen». Das ist ein Ausdruck der Sklavenhaltergesellschaft.
Das klingt jetzt ziemlich sozialistisch.
Ach was. Sozialistisch wäre ein Recht auf Arbeit. Zweitens: Schon heute gibt es längst nicht mehr genug Lohnarbeit für alle. In der EU zählen wir offiziell über 30 Millionen Arbeitslose. Digitalisierung, Roboter und Automaten eliminieren den Menschen an seinem Arbeitsplatz. Drittens: Erst mit dem Recht auf ein Grundeinkommen hört die politische Verachtung der Sozialhilfe-Bezügerinnen und -Bezüger endlich auf.
Nur: Dann arbeitet niemand mehr ...
Im Gegenteil: Wir werden mehr Zeit zum Leben haben.