Nebel
DE | FR
Schweiz
Interview

Sigg: Transaktionssteuer für Bedingungsloses Grundeinkommen

«Neuartige Mikrosteuer»: Oswald Sigg erklärt eine mögliche Finanzierung des Grundeinkommens.
«Neuartige Mikrosteuer»: Oswald Sigg erklärt eine mögliche Finanzierung des Grundeinkommens.
Bild: KEYSTONE
Interview

Bedingungsloses Grundeinkommen lässt sich nicht finanzieren? Oswald Sigg hat da eine neue Idee

Alt-Vizekanzler Oswald Sigg will das bedingungslose Grundeinkommen mit einer «Steuer finanzieren, die keinem wehtut».
13.03.2016, 01:2514.03.2016, 10:45
Henry Habegger / schweiz am Sonntag
Mehr «Schweiz»
Ein Artikel von Schweiz am Sonntag
Schweiz am Sonntag

Im Juni kommt die Initiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» (BGE) vors Volk. Jetzt streiten sich die Initianten angeblich darüber, wie das BGE finanziert würde.
Oswald Sigg: Streit würde ich das nicht nennen. Es gibt verschiedene Ansichten darüber, wie ein Grundeinkommen finanziert werden könnte und sollte. Und was politisch machbar und gleichzeitig auch noch gerecht wäre.

Die Mehrheit der Initianten will zur Finanzierung unter anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 8 Prozent.
Und noch Erwerbseinkommen, Sozialleistungen und Subventionen etwas umlenken. Das funktioniert schon deshalb nicht, weil eine drastische Erhöhung der unsozialen Mehrwertsteuer nicht mehrheitsfähig ist. Das BGE wird nur dann unser Sozialwerk der Zukunft, wenn es solidarisch finanziert wird.

Was schlagen Sie denn vor?
Das BGE liesse sich mit einer neuartigen Mikrosteuer finanzieren, ohne dass es jemandem wehtut. Erfunden hat sie Finanzunternehmer Felix Bolliger. Er, die Professoren Marc Chesney und Anton Gunzinger und ich sind seit anderthalb Jahren daran, die Automatische Mikrosteuer auf dem Gesamtzahlungsverkehr (AMTD) als Alternative zum heutigen komplexen Steuersystem zu entwickeln.

Wie funktioniert das?
Der gesamte digitale Zahlungsverkehr ist 300-mal so gross wie das Bruttoinlandprodukt. Über 90 Prozent des Volumens stammen aus der Finanzwirtschaft, insbesondere aus dem Hochfrequenzhandel. Die AMTD könnte versuchsweise eingeführt werden mit einer Belastung des Geldverkehrs von 0,05 Prozent, und das BGE wäre damit finanziert. Nach dem Prinzip: Wer mehr Geld bewegt, bezahlt mehr. Also solidarisch.

Geld für alle: Befürworter des Grundeinkommens wollen «wegkommen von der Zwangsarbeit».
Geld für alle: Befürworter des Grundeinkommens wollen «wegkommen von der Zwangsarbeit».
Bild: KEYSTONE

Müssen wir künftig keine Steuern mehr zahlen?
Doch. Aber nur noch 1 oder 2 Promille von jedem Zahlungsbetrag.

Alt-Bundesrat Deiss soll Sie Verkünder des Schlaraffenlands genannt haben ...
Er ist halt ein bisschen neidisch. Grundeinkommen und Mikrosteuer – beide sind konkrete Utopien. Ernst Bloch hat diesen Begriff geprägt. Es geht um die experimentierende Gestaltung der Zukunft. Mit der Volksinitiative haben wir das Werkzeug dazu.

Aber sie stösst auf viel Ablehnung.
Auch die AHV war eine konkrete Utopie. Aber SP und Gewerkschaften sind empfindlich gegenüber allem, das nicht auf ihrem Mist gewachsen ist. Es gibt trotzdem viele Linke, die uns wohl gesonnen sind – unter ihnen Nationalrätin Silvia Schenker, der Soziologe Ueli Mäder oder der Schriftsteller Adolf Muschg. Judith Giovanelli-Blocher argumentiert ganz ähnlich für das BGE wie ich: Es wird ein Sozialwerk.

Ein Sozialwerk?
Genau. Das BGE ist das kommende Sozialwerk in der Tradition der AHV. Auch sie war Ende des 19. Jahrhunderts höchstens eine gewerkschaftliche Forderung. Heute ist die AHV ein Fundament unserer solidarischen Gesellschaft. Sie ermöglicht das Leben im Alter ohne materielle Existenzängste. Das BGE soll aber das ganze Leben ohne solche Existenzängste möglich machen. Sie werden sehen: Es gibt keine Alternative zum BGE.

Das müssen Sie erklären.
Erstens: Wir müssen wegkommen von der Zwangsarbeit. Jede und jeder ist gezwungen – im Prinzip – sein eigenes und oft auch das Überleben der Familie über Lohnarbeit zu «verdienen». Das ist ein Ausdruck der Sklavenhaltergesellschaft.

Das klingt jetzt ziemlich sozialistisch.
Ach was. Sozialistisch wäre ein Recht auf Arbeit. Zweitens: Schon heute gibt es längst nicht mehr genug Lohnarbeit für alle. In der EU zählen wir offiziell über 30 Millionen Arbeitslose. Digitalisierung, Roboter und Automaten eliminieren den Menschen an seinem Arbeitsplatz. Drittens: Erst mit dem Recht auf ein Grundeinkommen hört die politische Verachtung der Sozialhilfe-Bezügerinnen und -Bezüger endlich auf.

Nur: Dann arbeitet niemand mehr ...
Im Gegenteil: Wir werden mehr Zeit zum Leben haben.

Polit-Plakate mit herabsetzender Tiermetaphorik

1 / 10
Polit-Plakate mit herabsetzender Tiermetaphorik
Eines der umstrittenen Plakate an der Via Besso in Lugano, aufgenommen 2010. Eine Werbekampagne mit drei Ratten, die über Schweizer Käse herfallen, sorgte im Tessin damals für Gesprächsstoff. Die drei Nagetiere symbolisieren italienische Grenzgänger, ausländische Kriminelle und den italienischen Fiskus.
quelle: keystone / karl mathis
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
112 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Stichelei
13.03.2016 09:56registriert Oktober 2015
Wer glaubt, dass nach der BGE Einführung alle nur noch zuhause rumliegen und nichts tun, hat ein seltsames Menschenbild. Dass die meisten Menschen eine sinnvolle Beschäftigung dem ewigen Müssiggang vorziehen, lässt sich ja bereits aus der Menge der Freiwilligenarbeit ablesen, die in der Schweiz geleistet wird. Und das garantierte Einkommen verhilft auch nicht gerade zu einem Leben als Krösus. Zur Finanzierung: Allein die Tatsache, dass die gigantische Umverteilungsmaschine Sozialwesen massiv reduziert werden kann, bringt schon einige Batzen in die Kasse.
7510
Melden
Zum Kommentar
avatar
Zeit_Genosse
13.03.2016 08:36registriert Februar 2014
Dank der Initiative sprechen viele darüber und es kommen neue Ideen dazu. Wir werden nicht das letzte Mal darüber abstimmen und jedesmal kommen wir einer besseren Lösung näher. Viele Menschen scheuen das Neue, sind sich nicht gewohnt innovativ zu denken und darüber zu debattieren. Doch das wäre ein mutiger Anfang, weil man weiss, dass es diesmal an der Urne nicht klappt. Die AHV wurde mutig von einer Generation entwickelt und jetzt ist die nächste Generation für die Zukunft dran. do it...
607
Melden
Zum Kommentar
avatar
AdiB
13.03.2016 12:17registriert August 2014
das bge würde für familien die möglichkeit bringen dad ein elternteil arbeitet und eins zuhause bleibt.
menschen könnten sich mehr zeit für dinge nehmen die ihnen spass machen. man könnte 50% arbeiten gehen und somit jemand anderem auch ermöglichen etwas mehr als nur das bge zu bekommen, in dem er auch 50% arbeiten kann.
das bge könnte ein schritt in eine zufriedene gesellschaft sein. ich könnte mir vorstellen das die kriminalitätsrate sogar sinken würde. gewalt würde abnehmen. denn oft wird gewalt als ventil für das eigene versagen gebraucht.
es gebe eine welt ohne versager.
4311
Melden
Zum Kommentar
112
Stadt Bern bei Farbsack-Trennsystem unter Druck: «Bitte Stimmbevölkerung um Entschuldigung»
Die Stadt Bern muss beim Farbsack-Trennsystem zurückbuchstabieren. Die flächendeckende Containerpflicht lasse sich nicht realisieren, teilte der Gemeinderat am Montag mit.

Der Gemeinderat will nun eine einfachere Lösung prüfen: Eine Containerpflicht soll es nur für jene Liegenschaften geben, die genügend Platz haben und auf denen die Container mit zumutbaren Massnahmen platziert werden können. Gleichzeitig will die Stadt im öffentlichen Raum zusätzliche Standorte zur Verfügung stellen.

Zur Story