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Du willst nur das Beste? Voilà:
Gemeinwohlökonomie, das tönt
irgendwie nach Kuschelwirtschaft, oder nicht?
Menschen brauchen ein Kuschelelement in ihrem Leben. Aber nicht nur.
Gemeinwohl ist der Sammelbegriff aller fundamentalen Werte: Freiheit,
Gerechtigkeit, Solidarität, Nachhaltigkeit und Demokratie.
Das hören alle Menschen
gerne, aber leider setzen sie es in der Praxis nicht um.
Bis zu 90 Prozent der Menschen in Europa wünschen sich eine neue
Wirtschaftsordnung. Das zeigt eine Studie des europäischen
Wirtschaftsausschusses. Die real existierende Wirtschaftsordnung hingegen
unterstützt das nicht. Sie fördert Geiz, Egoismus und Rücksichtslosigkeit.
Das ist nun mal die
Philosophie der Marktwirtschaft. Sie will die Laster der Menschen zum Nutzen
der Menschheit ummünzen.
Das wird von den Menschen aber nicht gut geheissen. Die bestehende
Rechtsordnung der Wirtschaft widerspricht dem Geist der Verfassung der
europäischen Länder. Deshalb schlagen wir eine Wirtschaftsordnung vor, die
andere Anreize setzt, die nicht Gier und Egoismus belohnt, sondern menschliche
Tugenden und eben Verfassungswerte umsetzt.
Aus der Spieltheorie wissen
wir, dass sich Egoismus gegenüber Kooperation kurzfristig immer durchzusetzen
vermag.
Nur wenn der Egoismus nicht sanktioniert wird. Das hat die verstorbene
Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom nachgewiesen. In einem funktionierenden
Rechtsstaat lassen sich ethische Regeln bilden und durchsetzen.
Was bedeutet dies konkret,
wenn die Regeln der Gemeinwohlwirtschaft in die Praxis umgesetzt werden?
Derzeit haben Unternehmen, die sich unethisch verhalten, einen Preis-
und damit einen Wettbewerbsvorteil. Das wollen wir umkehren. Die Spielregeln
sollen lauten: Je ethischer sich ein Unternehmen verhält, desto mehr Vorteile
soll es haben.
Es geht also nicht darum,
den Markt abzuschaffen, sondern darum, die Spielregeln zu ändern?
Wir streben anstelle der bestehenden unethischen Wirtschaftsordnung
eine vollethische an. Es soll auch eine wirklich liberale Marktordnung werden
im Sinne von: Alle haben die gleichen Chancen, Rechte und Freiheiten.
Der Markt führt zwangsläufig
zu Monopolen. Wie wollen Sie das verhindern?
Indem wir einerseits das Kartellrecht global verschärfen und andererseits
den Wachstumszwang aus der Wirtschaft entfernen.
Geht das überhaupt unter den
Gesetzen des Marktes?
In einer kapitalistischen Marktwirtschaft geht das nicht, weil der
Finanzgewinn das oberste Ziel ist. In einer ethischen Marktwirtschaft hingegen
steht nicht mehr der Finanzgewinn an oberster Stelle, sondern das
Gemeinwohl-Bilanzergebnis. Das kann man nur erreichen, wenn man nicht um jeden
Preis wächst und andere Unternehmen frisst, sondern indem man kooperiert. Damit
entfällt auch der Wachstumszwang.
Ist das Bestreben, sich im
Wettbewerb gegen andere durchzusetzen, nicht ein Teil der menschlichen Natur?
Das glauben die Ökonomen, doch sie sind die allerschlechtesten
Ratgeber, was die Natur des Menschen betrifft. Sie arbeiten vorwiegend mit
Glaubenssätzen und Behauptungen. Ökonomie ist daher in meinen Augen mehr eine
Ideologie, manche behaupten gar, eine Religion.
Wie ist die Natur des
Menschen wirklich?
Der Mensch ist von Natur aus frei. Wir können uns gegenseitig
umbringen, oder wir können uns liebevoll und zärtlich miteinander verhalten.
Die Gene zwingen uns zu nichts. Es gibt keinen Determinismus in irgendeine
Richtung, und wenn, dann eher in Richtung Gerechtigkeitsempfinden und Mitgefühl.
Unser Gehirn ist eindeutig auf Kooperation angelegt. Das sagen uns die Naturwissenschaftler, die
das – im Gegensatz zu den Ökonomen – empirisch erforscht haben.
Was ziehen Sie daraus für
Rückschlüsse auf die Wirtschaftsordnung?
Es kommt entscheidend auf die Regeln an. Wenn sie Eigenschaften wie Gier, Geiz und Rücksichtslosigkeit belohnen, dann erhalten Sie die
Wirtschaftsordnung, die wir heute haben. Wenn Sie jedoch Tugenden wie
Kooperation, Respekt und Grosszügigkeit belohnen, dann ist eine ethische
Wirtschaftsordnung möglich.
Gemeinwohlwirtschaft hat
somit nichts mit einem humanen Kommunismus zu tun?
Nein, es ist eine wahrhaft liberale Marktwirtschaft. Der Markt ist
letztlich nur eine Begegnungsstätte. Wie wir uns dort begegnen, gewaltsam und
grausam, oder friedlich und kooperativ, ist uns Menschen frei gestellt – und
hängt von den Regeln ab.
Wie weit kann man heute
schon die ethischen Regeln in die Praxis umsetzen?
Die Gemeinwohlbewegung gibt es nun genau fünf Jahre, wir sind also noch
eine junge Bewegung. Heute unterstützen uns 1900 private Unternehmen aus 40
Ländern. 300 davon erstellen die
Gemeinwohl-Bilanz freiwillig.
Die erhalten dann eine Art
Zertifikat wie eine Bioknospe?
Mehr als das. Sie erhalten ein Punkteergebnis, das ihnen Vorteile
verschaffen soll, beispielsweise Steuernachlässe oder mehr öffentliche
Aufträge.
Wer ausser Unternehmen macht
noch mit?
Es gibt bereits Gemeinden, die über ihr Ortsschild Gemeinwohlökonomie
schreiben. Oder Hochschulen. Die Universität von Valencia plant einen Lehrstuhl
für Gemeinwohlökonomie, Flensburg und Kiel beforschen die Erstellbarkeit der
Gemeinwohl-Bilanz in DAX-Konzernen.
Wie sieht es in der Schweiz
aus?
Es gibt ungefähr fünf Regionalgruppen und einen Dachverein Schweiz mit
Sitz in St.Gallen.
Geht es Ihnen darum,
Gemeinwohl-Oasen für Gleichgesinnte zu schaffen, oder haben Sie die gesamte
Wirtschaftsordnung im Visier?
Es geht um den rechtlichen Rahmen des Wirtschaftens innerhalb eines
Nationalstaates aus einer demokratischeren Perspektive. Deshalb strebt die Gemeinwohlökonomie-Bewegung
auch eine «Souveräne Demokratie» an. Die Schweiz ist mit ihrer direkten
Demokratie bereits einen Schritt weiter auf diesem Weg.
Bedeutet Gemeinwohlökonomie
auch Wohlstandsverzicht?
Das Wohlbefinden wird im Gegenteil wachsen, man bekommt in jeder
Hinsicht – körperlich und psychisch – ein besseres Leben. Der materielle Verbrauch
hingegen könnte sinken. Es wird nicht mehr möglich sein, dass jeder in seinem
eigenen, mit fossilen Brennstoffen geheizten Eigenheim wohnt, ein eigenes Auto
besitzt und mit dem Flugzeug um den Globus jettet. Erwiesenermassen macht das
die Menschen auch gar nicht glücklich.
Was macht glücklich?
Gute Beziehungen, eine intakte Umwelt, sich selbst treu sein können, Zeitwohlstand,
nur um ein paar Dinge zu sagen.
Bedeutet Gemeinwohlökonomie,
dass die Globalisierung wieder rückgängig gemacht wird?
Ja. Ich bin gegen bedingungslosen Freihandel und freien Kapitalverkehr.
Ich bin für ethischen Handel und bedingten Kapitalverkehr. Handel ist kein Selbstzweck. Wenn dabei
Menschen ausgebeutet werden und die Umwelt zerstört wird, ist das kein
Freihandels- sondern ein Unfreihandelsregime.
Müssen wir zurück zu Tausch?
Nein, Handel ist Mittel zum Zweck. Wenn uns Handel dem Ziel näher
bringt – beispielsweise einer nachhaltigen Entwicklung, mehr Gleichheit oder
einer umfassenden Umsetzung der Menschenrechte –, dann ist mehr Handel besser. Aus rein ökologischen Überlegungen heraus
wäre jedoch das derzeitige Volumen des Handels nicht mehr möglich. Das heisst noch
immer nicht, dass Handel etwas Schlechtes ist, sondern dass wir einen gerechten
Handel fördern müssen.
Die Schweiz importiert rund
die Hälfte ihrer Nahrungsmittel. Könnte sie das in einer Gemeinwohlökonomie
weiterhin tun?
Das wäre nicht mehr möglich. Die Schweizer verbrauchen – wie übrigens
auch die Österreicher oder die Deutschen – rund vier Mal mehr als ihnen der
Planet Erde pro Kopf schenkt. Mit anderen Worten: Wir müssen rund 80 Prozent
unseres aktuellen Ressourcen-Verbrauchs reduzieren. Das ist der aktuelle
Konsens unter den Naturwissenschaftlern. Diese Verminderung des
Ressourcenverbrauchs lässt sich nicht in Einklang bringen mit dem Import der Hälfte der Lebensmittel.
Also weg mit der
Globalisierung?
Die Globalisierung sollte das Salz in der Suppe sein, aber nicht die
Suppe selbst. Das gilt vor allem für Lebensmittel, Energie und die Rückschleusung
von Reststoffen in den Stoffkreislauf. Da braucht es eine radikale
Regionalisierung, zum Teil sogar Lokalisierung.
Wie hält es die
Gemeinwohlökonomie mit dem Nationalstaat?
Tendenziell befürworten wir eine leichte Stärkung gegenüber den
supranationalen Organisationen wie die EU, aber auch der Regionen und Kommunen
– gemäss dem Subsidiaritätsprinzip.
Mit dem Ziel, die EU wieder
abzuschaffen, wie es viele Rechtskonservative wollen?
Nein, die EU soll bleiben. Aber derzeit laufen die Regeln der EU – aber
auch die Regeln des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der Bank für
Internationalen Zahlungsausgleich – den Interessen der Mehrheit der Menschen zuwider.
Deshalb schlagen wir zunächst das Erringen vor «souveränen» Nationalstaaten
vor. Dann können sich diese Staaten auch auf internationaler Ebene demokratisch
begegnen.
Mit welchen Folgen?
Kein souveräner demokratischer Nationalstaat würde sich für Freihandel
und freien Kapitalverkehr entscheiden. Derzeit geschieht dies einzig im
Interesse der multinationalen Konzerne.
Was geschieht mit dem Geld
in der Gemeinwohlökonomie?
Geld wird in einem viel höheren Masse ein öffentliches Gut, ein Mittel
für das Gemeinwohl.
Im Sinne von Vollgeld, will heissen: Nur
noch die Nationalbanken dürfen Geld schaffen?
Ich nenne es souveränes Geld. Die Zentralbank müsste dann auch
transparent geführt sein, ihre Vertreter demokratisch gewählt werden und die
Ziele ebenfalls demokratisch vorgegeben werden. Die Banken müssten am Gemeinwohl
orientiert sein. Will heissen: Sie würden bei der Kreditvergabe Vorgaben
erhalten, beispielsweise dürften sie Kredite nur in die Realwirtschaft vergeben
und nicht für Spekulationszwecke.
Wie ist es mit der
Verteilung des Wohlstandes?
Selbstverständlich darf es Ungleichheit geben, aber nur in einem
bestimmten Umfang. Das gilt bei den Einkommen und bei der Grösse von
Unternehmen. Zum Konzept von Geld als öffentlichem Gut zählen auch «negative
Rückkoppelungen», die ein Übermass an Ungleichheit effektiv verhindern.
In der Schweiz stimmen wir
bald über ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. Ist das im Sinne der
Gemeinwohl-Ökonomie?
Im derzeitigen auf Macht basierenden Kapitalismus bin ich ganz klar ein
Befürworter eines Grundeinkommens. Es sichert ein Mindestmass an Teilhabe am
System und Würde des Menschen. In einer Gemeinwohlökonomie entfällt die
Notwendigkeit eines Grundeinkommens vermutlich, weil die Spielregeln völlig
anders sind. Weil Kooperation das oberste Prinzip ist, entsteht keine
Knappheit, sondern Fülle. Will heissen: Arbeit für alle und sinnvolle
Arbeitsplätze.
Heute spricht man von einer
digitalen Revolution. Dient das der Gemeinwohlökonomie?
Technischer Fortschritt ist, wie der Handel, kein Selbstzweck. Er ist
hoch willkommen, wenn er uns ein würdevolleres Leben ermöglicht. Das bedeutet
aber nicht: Immer grösser, immer schneller. Zudem sollten auch technische
Grundsatzentscheide – Atomkraft,
Gentech, beispielsweise – demokratisch nach ethischen Kriterien entschieden
werden.
(Gestaltung: Anna Rothenfluh)
Gerne hätte ich etwas dazu erfahren, wie der Mann ein Gemeinwohl-Bilanzergebnis berechnen möchte, wer die demokratisch ermittelten Regeln zum "Gemeinwohl" anhand welcher Parameter und statistischer Methoden messbar und abbildbar macht, wie der "Wert" einzelner Parameter ermittelt und gewichtet wird, und, vor allem, in welcher Form ein hohes "Gemeinwohl-Bilanzergebnis" vergütet wird.