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Die Reaktion auf die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen im Nationalrat war vorhersehbar. «Arbeitsanreize fielen bei dieser gigantischen sozialistischen Umverteilung weg, ebenso der Wille zur Innovation», kommentierte beispielsweise die «NZZ» und kam zum Schluss: «Auf solche Experimente darf sich die Schweiz auf keinen Fall einlassen.»
Die Schweiz zeigt jedoch immer grössere Lust, sich auf ein solches Experiment einzulassen. Als die Idee vor rund zehn Jahren lanciert wurde, da wurden die Initianten entweder als naive Romantiker belächelt oder als Spinner verspottet. Das hat sich geändert. Zur allgemeinen Überraschung ist es gelungen, mehr als 100'000 Unterschriften für eine Volksinitiative zu sammeln. Deshalb haben wir bald die Gelegenheit, darüber an der Urne zu befinden.
Von «gigantischer sozialistischer Umverteilung» spricht heute nur noch, wer sich nicht mit der Sache befasst hat. Die Realität ist eine ganze andere: So hat beispielsweise die konservative finnische Regierung kürzlich das Grundeinkommen in ihr Regierungsprogramm aufgenommen. Stramm liberal denkende Ökonomen wie etwa Thomas Straubhaar oder Klaus Wellershoff, der ehemalige Chefökonom der UBS, haben sich als Befürworter des Grundeinkommens geoutet. Daniel Häni, eine der treibenden Kräfte der Initiative, stellt denn auch klar, dass das Grundeinkommen nichts mit Sozialismus am Hut hat: «Es würde ganz einfach ein freier Markt entstehen», erklärte er in einem Interview mit dem «MigrosMagazin». «Damit kann ich als Unternehmer sehr gut leben.»
Nicht der verblassende Charme des Sozialismus ist verantwortlich für die wachsende Akzeptanz der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Der Grund liegt zunächst beim rasanten technologischen Wandel. Die «dritte industrielle Revolution» ist mittlerweile mehr als ein Schlagwort.
Immer mehr Menschen erfahren konkret im Alltag und vor allem am Arbeitsplatz, wie der technologische Fortschritt ihr Leben zu verändern beginnt. Und das ist erst der Anfang: Experten wie der ETH-Professor Dirk Helbing prophezeien bereits, dass bis 2050 rund die Hälfte aller Jobs überflüssig werden, weil intelligente Software und Roboter die meiste Arbeit für uns erledigen. Der amerikanische Starökonom Tylor Cowen spricht gar von 80 Prozent. Nicht «Kapitalismus oder Sozialismus?» lautet daher die zentrale Frage der sich abzeichnenden Wirtschaftsordnung, sondern: Mangel oder Überfluss?
Die Marktwirtschaft hat sich als sehr effizient beim Beseitigen des Mangels erwiesen. Etwas zugespitzt kann man sagen: Heute lebt ein Sozialhilfeempfänger komfortabler als ein Adliger vor 300 Jahren. Geht es aber darum, den Überfluss zu verteilen, versagt die Marktwirtschaft. Die Ungleichheit wächst und ein neuer Geldadel entsteht.
Das widerspricht nicht nur den zentralen Werten einer bürgerlichen Gesellschaft, es wird auch zu einem Hemmschuh für die Wirtschaft. Der Wettbewerbsdruck auf dem Arbeitsmarkt hat sich massiv verschärft, und er wird sich wegen des technischen Fortschrittes weiter verschärfen. Das Resultat sind stagnierende oder gar sinkende Löhne und steigende Arbeitslosigkeit. In der Schweiz erfreuen wir uns diesbezüglich noch paradiesischer Zustände, doch das könnte sich bald ändern: In Europa sind mittlerweile mehr als 20 Millionen Menschen arbeitslos, vor allem Jugendliche.
Natürlich werden mit dem technischen Wandel auch neue Berufe und damit Arbeitsplätze geschaffen. Es mehren sich jedoch die Zweifel, ob es auch genügend sein werden. Zudem ist es auch fraglich, ob eine Gesellschaft stabil sein kann, wenn Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss ihr Geld als Hundesitter, Yogalehrer oder Barista verdienen müssen. Eine bessere Verteilung der Arbeit – beispielsweise eine Reduktion der Arbeitszeit – scheint politisch chancenlos zu sein. Um die Wirkungen des starken Frankens abzufedern, werden neuerdings die Arbeitszeiten sogar wieder verlängert.
Angesichts dieser Entwicklung ist ein Grundeinkommen nicht eine moralische Frage, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. «Die Wirtschaft ist darauf angewiesen, dass die Menschen konsumieren», stellt Häni fest. «Wenn immer mehr Jobs von Maschinen erledigt werden, dann muss man den Menschen ein Grundeinkommen gewähren, damit sie sich weiterhin Güter und Dienstleistungen kaufen können.»
In einer ersten Phase der Diskussion um ein Grundeinkommen dominierte die Finanzierungsfrage. Wie hoch soll der Betrag sein? Sollen ihn auch Kinder erhalten? Woher kommen die zusätzlichen Milliarden? Darüber verzettelte man sich bald in fruchtlosen Diskussionen über technische Details und fragwürdige Statistiken.
Natürlich ist die Finanzierungsfrage wichtig. Noch wichtiger ist hingegen die Philosophie. Beim Grundeinkommen geht es nicht darum, die Arbeit abzuschaffen. Es geht vielmehr darum, sie zu veredeln. Die Vorstellung eines Schlaraffenlandes für alle ist daher kompletter Unsinn.
Bei einem Grundeinkommen können wir alle unser künstlerisches Talent ausleben, lautet eine weit verbreitete Vorstellung. Wir können den Jimi Hendrix oder den Picasso in uns entdecken und unbekümmert loslegen. Schön wär’s. Kunst und Wissenschaft haben – genauso wie Spitzensport – weniger mit Talent als mit Fleiss und Ausdauer zu tun. Wer es als Künstler oder Wissenschaftler an die Spitze bringen will, muss üben, üben und nochmals üben. 10'000 Stunden gilt als das Minimum, um in der obersten Liga bestehen zu können.
Das wird sich auch mit einem Grundeinkommen nicht ändern. Es wird keine Hängematte für eingebildete Künstler und Wissenschaftler aufspannen, sondern im Gegenteil den Wettbewerb verschärfen. Das Grundeinkommen wird uns daher zu einer neuen Ehrlichkeit gegenüber uns selbst zwingen. Das Gute daran: Wir haben so die Chance, selbstbestimmte Menschen zu werden. «Ich werde souverän. Ich muss nicht mehr denken und gehorchen, weil ich es brauche, sondern weil ich Mensch bin», schreibt Häni im Buch «Was fehlt, wenn alles da ist?», das er zusammen mit Philip Kovce verfasst hat.
Dass die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen an der Urne angenommen werden wird, ist äusserst unwahrscheinlich. Selbst die Initianten glauben nicht daran. Es wäre in der Praxis auch unmöglich, eine solche Umstrukturierung der Gesellschaft über Nacht vollziehen zu wollen. «Das Grundeinkommen wird nicht mit einer Revolution, sondern pragmatisch und in kleinen Schritten kommen», sagt Kovce.
Trotzdem ist die Initiative alles andere als nutzlos. Allein die Tatsache, dass es sie gibt, hat vieles in Bewegung gebracht. Es ist ein bisschen so wie mit dem Google-Auto. Seit man erkannt hat, dass es grundsätzlich möglich ist, ein solches Auto zu bauen, ist die Industrie aufgewacht. Ob wir bald von Software gesteuerte Autos auf unseren Strassen sehen werden, ist ungewiss. Doch Autos können jetzt plötzlich selbstständig parkieren und im Notfall auch selbstständig bremsen.
Die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte – was unsere zukünftige Wirtschaftsordnung betrifft – eine ähnliche Wirkung auslösen. Und wer weiss, vielleicht spricht es sich ja sogar einmal bis zur NZZ herum, dass dies alles nichts mit Sozialismus und Schlendrian zu tun hat. «Das bedingungslose Grundeinkommen würde uns von staatlicher Hilfe emanzipieren», schreiben Häni/Kovce. «Der Staat könnte seine bevormundenden Tätigkeiten aufgeben.»
(Gestaltung: Anna Rothenfluh )