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Antisemitismus nimmt in der Schweiz zu – aber anders als in Deutschland

Antisemitismus nimmt in der Schweiz zu – aber anders als in Deutschland

Die Terrorangriffe der Hamas und der Konflikt mit Israel haben auch in der Schweiz Konsequenzen. Der Judenhass nimmt zu. Beim Dachverband der jüdischen Gemeinden ist man besorgt, was bei einer weiteren Eskalation passieren könnte.
19.10.2023, 10:5119.10.2023, 13:52
Christoph Bernet und Maja Briner / ch media
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People enter the building complex of the Kahal Adass Jisroel community, which houses a synagogue, a kindergarten and a community center, in the center of Berlin, Germany, Wednesday, Oct. 18, 2023. The ...
Auf dieses Gebäude einer jüdischen Gemeinde in Berlin-Mitte wurde ein Brandanschlag verübt.Bild: keystone

Es sind besorgniserregende Nachrichten aus der deutschen Hauptstadt: In der Nacht auf Mittwoch sind auf ein Gebäude einer jüdischen Gemeinde in Berlin-Mitte zwei Brandsätze geworfen worden. Nur weil die unbekannte Täterschaft mit ihren Molotowcocktails das Ziel verfehlt hatte, nahm das Gebäude gemäss der Zeitung «Tagesspiegel» keinen Schaden. Darin untergebracht sind eine Synagoge sowie eine jüdische Grundschule und eine Kita.

Wenige Stunden davor mussten Polizeikräfte in Schutzausrüstung das Holocaust-Mahnmal im Berliner Stadtzentrum bewachen. Die Sicherheitsmassnahme war notwendig, weil sich mehrere hundert Personen vor dem nahe gelegenen Brandenburger Tor zu einer propalästinensischen Demonstration versammelt hatten.

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober und Israels darauffolgender Beschuss des Gazastreifens haben auch Auswirkungen auf Europa. Im französischen Arras und in Brüssel wurden seither drei Menschen bei mutmasslich islamistisch motivierten Terroranschlägen getötet. In zahlreichen Städten kam es zu grossen propalästinensischen Demonstrationen, bei denen Antisemitismus offen zutage getreten ist. Die jüdische Gemeinschaft Grossbritanniens registrierte eine deutliche Zunahme antisemitischer Vorfälle.

Häufung gravierender Vorfälle

Ähnliches beobachtet auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), der Dachverband der jüdischen Gemeinden. SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner sagt:

«In den letzten zehn Tagen haben wir ein halbes Dutzend gravierender antisemitischer Vorfälle registriert.»

Im Vergleich zum Vorjahr sei diese Häufung innerhalb kurzer Zeit ungewöhnlich.

Darunter sind Schmierereien («Tod den Juden») sowie Mails und Briefe mit übelsten antisemitischen Beschimpfungen an jüdische Gemeinden und an den SIG. Ein Mann mit Davidstern wurde auf offener Strasse angespuckt, eine jüdische Nationalratskandidatin der FDP beim Flyer-Verteilen in der Zürcher Innenstadt antisemitisch beschimpft.

Antisemitische Schmiererei in Zürich Fluntern.
Antisemitische Schmiererei in Zürich Fluntern.Bild: Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund SIG

Dass kriegerische Auseinandersetzungen im Nahen Osten sehr rasch in Form von antisemitischen Vorfällen nach Europa und in die Schweiz überschwappten, stelle man seit fünfzig Jahren fest, sagt Kreutner. Zuletzt in grösserem Ausmass beim Krieg zwischen der Hamas und Israel im Sommer 2014:

«Solche Ereignisse triggern vorhandene antisemitische Ressentiments und lassen die Hemmschwelle sinken.»

Anders sei dieses Mal der zeitlich verzögerte Anstieg der antisemitischen Vorfälle. Das habe vermutlich damit zu tun, so Kreutner, dass die schreckliche Gewalt der Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung als eindeutiger Auslöser der neusten kriegerischen Auseinandersetzung nicht Israel angelastet werden könne.

Bilder aus dem Ausland beeinflussen Sicherheitsempfinden

Beim SIG ist man dennoch wachsam, was die weitere Entwicklung angeht. «Angesichts der bereits heute feststellbaren Zunahme der antisemitischen Vorfälle betrachten wir mit Sorge, was in der Schweiz passieren könnte, wenn der Konflikt weiter eskalieren sollte», sagt Kreutner. Auch darum sei man «erpicht darauf», dass Kundgebungen und Veranstaltungen, bei denen der Hass auf Israel und auf die Juden angestachelt würde, zum jetzigen Zeitpunkt nicht stattfinden. «Denn aus hasserfüllten Worten können rasch Taten werden», warnt Kreutner.

«Es wäre falsch, Panik zu schüren»

Gleichzeitig betont er, dass die Lage in der Schweiz eine andere sei als in anderen europäischen Ländern: «Es wäre falsch, Panik zu schüren», sagt Jonathan Kreutner. Und weiter:

«Wir haben glücklicherweise bisher keine gewalttätigen Angriffe auf jüdische Einrichtungen erlebt und auch keine konkreten Hinweise darauf erhalten.»

Doch die Schweiz sei keine Insel, und Terrorismus kenne keine Landesgrenzen. «Natürlich fliessen die Bilder aus Deutschland, Frankreich und anderswo ins subjektive Sicherheitsempfinden der Jüdinnen und Juden in der Schweiz mit ein», sagt Kreutner. Diese Ängste müsse man ernst nehmen.

Gewisse Unsicherheit – aber andere Lage als in Deutschland oder Frankreich

Jehuda Spielman sitzt für die FDP im Gemeinderat der Stadt Zürich und ist orthodoxer Jude. Ihm liegt es fern, Alarm zu schlagen. Es gebe eine gewisse Unsicherheit in der jüdischen Gemeinschaft, sagt er. Aber die Situation sei anders als in Frankreich oder Deutschland, die Gefahrenlage ruhiger. «Ich gehe immer noch problemlos mit der Kippa auf die Strasse», sagt er. «Online und in den sozialen Medien ist die Stimmung erhitzter, aber das ist kein spezifisch schweizerisches Problem.»

Zentral ist aus Spielmans Sicht, von wem der Antisemitismus ausgeht. «Antisemitische Pöbeleien und Angriffe sind immer schlimm», sagt er. «Aber bisher kommen sie in der Schweiz meist von Betrunkenen, Randständigen oder Jugendlichen, die provozieren wollen, – und nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Solange das so ist, ist es nicht dramatisch.» Dem Antisemitismus müsse man vor allem mit Bildung entgegentreten, fordert er.

Dass die Stimmung angespannt ist, zeigt sich auch daran, dass sich manche Politiker medial nicht mehr äussern wollen. Und: Zürich, Basel und Bern wollen für dieses Wochenende keine Demonstrationen und Kundgebungen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt bewilligen.

Das Sicherheitsdispositiv für jüdische Einrichtungen in der Schweiz ist seit Jahren erhöht und wurde nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober nochmals angepasst. Der stetige Austausch mit den Behörden bezüglich der notwendigen Sicherheitsmassnahmen funktioniert laut SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner auf Bundesebene hervorragend, mit wenigen Ausnahmen ebenso mit den betroffenen Kantonen und Gemeinden.

Darüber hinaus ist Kreutner froh, dass der Bundesrat angekündigt hat, die Hamas als terroristische Organisation einzustufen, wie es der SIG schon lange fordert. «Das ist extrem wichtig und die einzig richtige Entscheidung», so Kreutner.

Der SIG erwarte nun, dass diese Ankündigung rasch umgesetzt werde: «Ein Verbot der Hamas ist nicht nur ein politisches Signal, sondern von praktischem Nutzen für die Schweiz.» Es sei derzeit völlig offen, in welche Richtung sich der Konflikt in Nahost entwickelt. Es sei im Interesse der Sicherheit der Schweiz, dass die Hamas unser Land nicht als sicheren Hafen betrachtet und hier aktiv wird. (aargauerzeitung.ch)

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196 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Emilio 1979
19.10.2023 11:55registriert September 2023
Ich bin sehr froh, dass Herr Spielman weiss, dass der grosse Teil der schweizer Bevölkerung die Religionsfreiheit als Grundsatz unserer Demokratie sieht. Schlimm, dass es trotzdem immer wieder zu Antisemitismus kommt. Ich bin stolz auf das friedliche Nebeneinander der Kulturen in Zürich. Viele Leute die aus dem arabischen Raum geflüchtet sind, sollten aufpassen, dass sie nicht in die Falle tappen und auf die judenfeindliche Stimmung herein fallen. Wir sind alles nur Menschen.
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flegenheimer
19.10.2023 11:32registriert August 2023
Man stelle sich vor da stünde ''Tod den Schwarzen''. Oder ''Tod den Tunesiern''.
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fewral
19.10.2023 11:33registriert März 2022
Dass die Juden an allem Schuld sind ist so einfach dass es gar nicht wahr sein kann.

Aus neurologischer Sicht hat der Mensch die Religion „erfunden“ um das Gehirn effizienter arbeiten zu lassen. Sprich: Es werden komplexe Fragen ganz einfach beantwortet. Aber nicht richtig.

Genau gleich verhält es sich beim Antisemitismus und beim Antizionismus. Der Nahostkonflikt ist überaus komplex. Aber den Juden und Zionisten die Schuld zuzuschieben beantwortet ebenfalls ganz viele und komplexe Fragen ganz einfach. Aber nicht richtig.
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