Schön ist es jetzt nicht unbedingt. Kein Ort, wo du hingehst, weil du denkst: «Heute gönn ich mir mal was!»
Der Tag, an dem ich ins Migrosresti gehe, ist eher ein Tag, an dem ich keine andere Wahl habe. Weil der Winter ihn noch immer beherrscht. Weil sich der Nebel dumpf über ihn gelegt hat und die Kälte darin gefangen hält. Weil es ein Tag ist, an den ich mich nicht erinnern werde. Weder wettertechnisch noch eventtechnisch. Weil es ein All-Tag ist. Einer, der von zwei kleinen Kindern bestimmt wird, die schreien: «Gömmer Migros-Spielplatz!»
Also gehen wir Migros-Spielplatz. Nehmen die Rolltreppe und gehen über den Laminatboden, der so verzweifelt versucht, echtes, wildes Holz zu sein, das, als es noch im Wald lebte, in Struktur und Wuchs keinerlei Grenzen kannte und sich nun, diese Freiheit im Tode weiter ausdrückend, niedergelegt hat, um sich in seinen tausend Wiederholungen des ewig gleichen Musters schliesslich doch als Imitat zu verraten.
Dabei hätte er jene falsche Lebendigkeit überhaupt nicht nötig. Die Gäste haben dem Boden längst ein paar wahrhafte Furchen verpasst, in die sich wiederum Essensreste wie dunkle Erinnerungen längst verdrückter Pommes und halb verputzter Zwetschgenwähen eingegraben haben.
Die andere Hälfte hat ein Kindermagen längst verdaut. Und der Rest davon klebt an einem dieser weissen, leicht schimmernden Serviettchen, bei denen man sich nie sicher sein kann, ob jetzt nicht eher die Serviette am Rest klebt statt umgekehrt.
Es lässt sich in der gesammelten Geschichte der Serviette kein einziges Exemplar ausfindig machen, das seine Aufgabe miserabler erfüllt hätte als dieses Migrosresti-Mundtüchlein. Damit hat überhaupt noch nie jemand irgendwas weggeputzt. Das Reinheitsversprechen ist seit der unbefleckten Empfängnis Mariens nicht ruchloser gebrochen worden!
Verschmieren ja, wegwischen nein.
Und komm nur ja nicht auf die Idee, da reinzuschnäuzen. Der Schnodder wird von dieser plastifizierten Oberfläche nicht nur abgewiesen, sondern auf direktem Weg zurück in dein Gesicht geschleudert.
Ich sitze also im Kinderabteil, schniefend vor zwei leeren, von Schoggihänden verfetteten Trinkgläsern und sehe all die dreckigen Kindermünder, die mir eben noch als Zeichen eines umfassenden Säuberungsversagens erschienen sind. Jetzt aber, in dieser etwas schäbigen Ecke mit Rutschbahn und Häuschen, unter dem kalten Licht der Deckenbeleuchtung, sind sie das Mal, an dem man ihre Zusammengehörigkeit erkennt. Das Eintrittsticket in den Club der verschmierten Kinder; ein verschworenes kleines Trüppchen, vereint im Spiel und Schmutz.
Nico ist wieder da.
Und Shermine auch.
In Socken toben sie zwischen den Tischen herum, an denen bald die letzten Zwetschgenwähenkrümel kleben werden, die dem Kindesmund und der Serviettenschmiererei entronnen, noch nicht genug Zeit gehabt haben, sich für die Ewigkeit in eine Fussbodenfalte eintrampeln zu lassen.
Ich befinde mich hier im Herzen des Migrosrestis. Im Epizentrum. Von hier aus erbebt die Erde von stampfenden Kinderfüssen, die ihre Wellen bis hinaus an den Rand schicken, wo auf gepolsterten Sesseln die älteren Menschen sitzen. Vor ihren Vermicelles. Ihren Cüplis und Kafis, die kaum merklich mitvibrieren.
Das Migroresti ist nichts anderes als das leicht verwackelte Bild unserer Gesellschaft. Zumindest von deren Anfängen und Enden. Hier fühlen sich die Kinder und die Senioren zuhause.
Man kennt es.
Und das ist schon viel in einer Zeit, in der sich die Menschen immer weniger zurechtfinden. In all dem Chaos etwas zu finden, was einem vertraut erscheint. Wie ein Zuhause im Draussen, wo zwischenzeitlich ein Kind ein anderes von der Rutschbahn schubst. Und die Oma sich lauthals eine längst untergegangene Welt zurückwünscht, in der sich die Kinder noch zu benehmen wussten.
Man kennt es.
Also pack Feuchttüchli ein.