Schweiz
Wirtschaft

Migros: Reputationsexperte sieht «Merci Bus»-Aktion kritisch

Interview

«Die Bus-Aktion der Migros kommt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt»

Misswirtschaft, Massenkündigung, mangelnde Transparenz – die negativen Schlagzeilen um die Migros reissen nicht ab. Reputationsexperte Bernhard Bauhofer über Menschlichkeit, McKinsey und Marketing-Gags.
07.03.2025, 11:4507.03.2025, 16:01
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Wie beurteilen Sie die Situation, in der sich die Migros derzeit befindet?
Bernhard Bauhofer: Der Ruf der Migros hat sich massiv verschlechtert. Der neueste Fauxpas sind Kündigungsbriefe für Mitarbeiter des Baumarkts «Do it + Garden». Bei einigen der Briefe konnte man aufgrund eines Formatierungsfehlers im Sichtfenster des Couverts «Kündigung inklusive Austrittsbestätigung» lesen. Dieser Vorfall hat mit der eigentlichen Krise, in der sich die Migros befindet, nichts zu tun. Er trägt aber zum negativen Gesamtbild des Unternehmens bei.

«Das Verständnis der Kundinnen und Kunden für das Vorgehen der Migros befindet sich aktuell auf einem Tiefpunkt.»

Zum 100-Jahre-Jubiläum bringt die Migros ihren legendären Verkaufswagen zurück. Der «Merci Bus» wird in 100 Gemeinden Halt machen und 100 Eigenmarken an Bord haben. Was halten Sie von dieser Charmeoffensive?
Sie kommt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Die Solidarität der Migros-Kundschaft mit den entlassenen Mitarbeitenden ist gross, ebenso der Ärger über die Art und Weise, wie das Unternehmen wirtschaftet. Das Verständnis der Kundinnen und Kunden für das Vorgehen der Migros befindet sich aktuell auf einem Tiefpunkt.

Dieser Migros-Bus fährt in 100 Schweizer Gemeinden vor.
Dieser Migros-Bus fährt in 100 Schweizer Gemeinden vor.bild: migros

Dem könnte der traditionelle Verkaufswagen doch entgegenwirken?
Grundsätzlich ist die Idee gut, ja. Wir gehen zu unseren Kunden, wir sind für die ganze Schweiz da. Die Frage ist, ob es sich dabei nicht einfach um einen Marketing-Gag handelt. Gleichzeitig wird alles, was die Migros derzeit unternimmt, sehr kritisch beäugt. Das hat sich die Migros aber selbst zuzuschreiben. Das Management hat in der Vergangenheit krasse unternehmerische Fehler begangen, die Kundschaft hat wiederum verstanden, dass dies nun die Mitarbeiter und Konsumenten ausbaden müssen. Aktionen wie der Verkaufswagen werden aus diesen Gründen nicht mehr als authentisch wahrgenommen, das wirkt alles aufgesetzt.

Bernhard Bauhofer, Reputationsexperte.
Bild: zvg
Zur Person
Bernhard Bauhofer bezeichnet sich selbst als «Reputationsexperte» und ist Autor zahlreicher Bücher zum Thema Unternehmensreputation. Er hat an der Ludwig-Maximilian-Universität in München Soziologie studiert und betreibt in Wollerau SZ sein eigenes Beratungsunternehmen mit Fokus auf Reputationsmanagement. Bauhofer berät Personen und Unternehmen dabei, wie sie ihre Reputation in der Öffentlichkeit pflegen und schützen sowie sich selbst erfolgreich vermarkten.
«Die Migros muss noch glaubhafter und transparenter darlegen, weshalb es diesen Restrukturierungsprozess benötigt. Und wann er abgeschlossen ist.»

Die Migros arbeitete im Abbauprozess bis Ende 2024 mit dem Unternehmensberater McKinsey zusammen. Mehrere Mitglieder der Migros-Spitze waren früher für McKinsey tätig. Wie ist das zu werten?
McKinsey liess das Feingefühl bezüglich Timing und Botschaft in der Vergangenheit oft vermissen. Beim US-Unternehmen geht es nur um Zahlen, Rentabilität und Kahlschlag. Es ist schade, dass eine solch klassische Consulting-Attitüde auch die Kultur bei der Migros sehr stark beeinflusst hat. Das wird die Marke Migros nachhaltig schädigen, davon bin ich absolut überzeugt.

Was sollte die Migros unternehmen, damit ihr Ruf wieder besser wird?
Die Migros muss noch glaubhafter und transparenter darlegen, weshalb es diesen Restrukturierungsprozess benötigt. Und wann er abgeschlossen ist. Gelingt dies, kann die Migros wieder für Ruhe, Vertrauen und Zuversicht unter ihren Mitarbeitenden und ihrer Kundschaft sorgen.

Das tönt so, als wäre die Migros ein Grosskonzern und kein Genossenschafts-Bund mehr.
Die Migros ist längst nichts anderes mehr als ein knallharter Grosskonzern. Der soziale Aspekt und die Menschlichkeit sind verloren gegangen. Es ist zudem fast schon eine Ironie, dass der grösste Abbau in der Unternehmensgeschichte und das 100-Jahre-Jubiläum mehr oder weniger zeitgleich über die Bühne gehen.

Hat die Migros ihren Ruf nachhaltig verspielt?
Das glaube ich nicht. Die Migros war in Reputationsrankings über viele Jahre die Nummer 1 und hat sich damit ein hohes Reputationskapital angespart. Sie muss sich aber schleunigst auf ihr Kerngeschäft zurückbesinnen. Ein breites, qualitativ gutes Supermarktangebot zu günstigen Preisen. Aktuell ist die Migros kein Sanierungsfall, aber ein angeschlagener Mitbewerber. Der Restrukturierungsprozess ist der richtige Schritt, um vergangene Managementfehler zu korrigieren. Den Turnaround zu schaffen, wird jedoch eine Herkulesaufgabe.

Wie stehst du zur Migros?
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Die Migros will den Preis von 1000 Alltagsprodukten auf das Niveau von Discountern senken. Was halten Sie von dieser Strategie?
Die Tiefpreis-Strategie der Migros kommt einer Kannibalisierung gleich. Sie konkurrenziert damit Denner, den hauseigenen Discounter. Zudem werden dauerhafte Tiefpreise irgendwann nicht mehr als Aktionen wahrgenommen, sondern als fortwährende Konstante. Sind je nach Situation weitere Aktionen nötig, nagt dies an der Rentabilität. Die Migros tut gut daran, keinen Preiskrieg zu entfachen. Die Konkurrenz durch Aldi und Lidl ist massiv, sie haben einen ganz anderen Hebel und vielmehr Erfahrung im Discount-Bereich.

«Die junge Generation hat neue Verhaltensmuster, neue Einstellungen und null Loyalität.»

Im jährlichen Reputationsranking des Marktforschungsunternehmens GFK fiel die Migros im vergangenen Jahr von Rang 1 auf Rang 3 zurück. Sie sei aber «immer noch das Unternehmen, mit dem sich die Schweizerinnen und Schweizer am stärksten identifizieren können». Hackt man zu fest auf der Migros herum?
Ich denke, dass Herumhacken der falsche Begriff ist. Dass die Migros in der Bevölkerung weiterhin Sympathien geniesst, lässt sich nicht wegreden. Die Frage ist vielmehr, ob die Migros den ersten Rang jemals wieder erreichen kann. Da spielt vor allem die jüngere Generation eine relevante Rolle.

Weshalb?
Leute in meinem Alter, ich bin Anfang 60, konnten über viele Jahre eine Bindung zur Migros aufbauen. Da gab es Aldi und Lidl in der Schweiz noch nicht. Von Zalando, Shein und Temu gar nicht zu reden. Diese Treue, die soziale Bindung, löst sich nicht einfach auf. Jüngere Menschen hingegen konsumieren, wo es ihnen gerade passt. Die junge Generation hat neue Verhaltensmuster, neue Einstellungen und null Loyalität. Ich sehe das bei meinen Töchtern aus der Generation Z: Deren Einkaufsverhalten unterscheidet sich diametral von meinem.

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130 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pontifax
07.03.2025 12:32registriert Mai 2021
Wenn ein CEO McKinsey engagieren muss, dann ist er eine völlig überteuerte Fehlbesetzung! Er bestätigt damit in aller Öffentlichkeit, dass er seinen Job NICHT KANN!
2039
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Chaschtle
07.03.2025 12:30registriert Januar 2023
McKinsey ist eine der Gründe warum der Westen wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast ist.
Ein Unternehmen das wie kein Zweites alle schlechten Seiten des Kapitalismus repräsentiert.
Maximaler (kurzfristiger) Profit für das Management auf Kosten der restlichen Mitarbeiter und der Firma ansich.

Wieviele Top Unternehmen wurden von McKinsey beraten, haben die Produktion ausgelagert und infolgedessen massenhaft Mitarbeiter entlassen.
Hier gieng Know-how und Infrastruktur verloren ohne Wiederkehr. Das wieder aufzubauen ist entweder unmöglich oder wird ein Vielfaches dessen Kosten was einige Wenige
1727
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Amseilruntertaucher
07.03.2025 12:40registriert August 2021
Willst du ein Unternehmen ruinieren, schlicht und einfach McKinsey engagieren.
1595
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    Weil sie bald gratis sein könnten: Grüne Nationalrätin will Einweg-Plastiksäckli verbieten
    Seit 2016 kosten Einweg-Plastiksäckli bei den Schweizer Detailhändlern fünf Rappen. Die Nachfrage ist seither um fast 90 Prozent zurückgegangen. Ende Jahr könnten die Säckchen wieder gratis werden. Zum grossen Missfallen von Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter.

    Wer kennt es nicht: Nach der Arbeit auf dem Nachhauseweg noch kurz einkaufen gehen. Kein Grosseinkauf, nur ein paar Zutaten für das Abendessen. Eine Papier-Tragtasche wäre zu gross. Das Einweg-Plastiksäckli reicht aus. Also her mit dem Plastik.

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