Es herrscht Aufregung im Käseland Schweiz: Erstmals überhaupt droht die Handelsbilanz beim identitätsstiftenden Schweizer Lebensmittel negativ auszufallen, wie die Schweizer Milchproduzenten SMP vor einigen Tagen mitteilten. Das heisst: Die Schweiz könnte in diesem Jahr mehr Käse importieren als exportieren.
Ein Blick auf die aktuellen Zahlen des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit BAZG offenbart derzeit einen Käse-Importüberschuss von 4548 Tonnen gegenüber dem Export. Das hat sogar die New York Times dazu veranlasst, das Phänomen in einem ausführlichen Artikel zu beleuchten. Der Titel: «Warum importiert ausgerechnet die Schweiz so viel Käse?»
Auch der Sprecher der Schweizer Milchproduzenten ist alarmiert: «Der Käse ist die Lokomotive der ganzen Schweizer Milchwirtschaft», sagte Reto Burkhardt gegenüber Tele Top. «Oder anders gesagt: Wenn der Käsemarkt erkältet ist, hustet die ganze Milchwirtschaft.»
Bevor wir dem Grund, warum die Schweiz plötzlich mehr Käse importiert als exportiert, nachgehen, schauen wir zunächst auf die wichtigsten Kennzahlen der Schweizer Milchwirtschaft. Diese ist mit einem Anteil von rund 20 Prozent an der Erzeugung des gesamten landwirtschaftlichen Wirtschaftsbereichs übrigens der wichtigste Sektor der Schweizer Landwirtschaft.
Käse wird aus Milch hergestellt und diese wird (zum grössten Teil) von Kühen produziert. In der Schweiz lebten per Ende Juli 2023 gemäss der schweizerischen Tierverkehrsdatenbank identitas.ch 656'554 Kühe. Im Sommer ist die Population jeweils am tiefsten. Grund dafür ist, dass im vierten Quartal die meisten Kälber geboren werden, die Anzahl der Schlachtungen ist übers ganze Jahr hinweg dagegen ziemlich stabil.
Obwohl die Kuhpopulation rückläufig ist und die Anzahl der milchproduzierenden Ganzjahresbetriebe seit 2010 kontinuierlich (von 26'097 auf 17'603 Ende 2022) abgenommen hat, ist die Milchproduktion konstant geblieben – dies, weil die einzelnen Kühe mehr Milch geben. Im letzten Jahr wurden in der Schweiz rund 3,25 Millionen Tonnen Milch produziert, was etwas unter dem langjährigen Schnitt von 3,32 Millionen Tonnen liegt.
Kuhmilch ist die Basis für eine ganze Reihe von Lebensmitteln: Aus ihr wird Butter, Konsummilch, Rahm, Jogurt, Quark und Speiseeis hergestellt. Den grössten Anteil der Milchverwertung nimmt aber der Käse ein. Mit 46 Prozent geht fast die Hälfte der in der Schweiz produzierten Milch in die Käseherstellung.
In der Schweiz wird vor allem Frischkäse (Mozzarella, Mascarpone), Halbhartkäse (Appenzeller, Tilsiter, Raclette) und Hartkäse (Gruyère, Emmentaler) hergestellt. Weichkäse (Tomme) und Extrahartkäse (Sbrinz) werden nur in geringen Mengen produziert.
Die meistproduzierte Käsesorte der Schweiz ist seit Jahren der Gruyère. Fast 32'000 Tonnen wurden im letzten Jahr davon hergestellt. Auf Platz 2 liegt etwas überraschend Mozzarella, gefolgt von Schweizer Raclettekäse, Emmentaler, Appenzeller und dem Billig-Emmentaler Switzerland Swiss.
Käse war in der Schweiz zuletzt so beliebt wie noch nie. Pro Jahr konsumierten die Schweizerinnen und Schweizer in den letzten drei Jahren rund 23 Kilogramm Käse im Durchschnitt. Übertroffen wird dieser Wert nur von den Franzosen, die es auf einen jährlichen Käsekonsum von rund 27,2 Kilogramm pro Kopf bringen.
Die Steigerung des Konsums in der Schweiz geht vorrangig auf ausländischen Käse zurück. In den letzten Jahren blieb der Inlandsanteil mit rund 64 Prozent zwar relativ konstant, vor der Liberalisierung des Käsemarkts im Jahr 2007 – damals wurde ein zollfreies Käsehandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU eingeführt – betrug dieser allerdings noch fast 77 Prozent.
Nun aber zurück zum Käsehandel: In den letzten Jahren hat sich die Import-Export-Bilanz beim Käse stets zuungunsten der Schweiz entwickelt. Zwar wurde seit 2012 in jedem Jahr mehr Käse ausgeführt als eingeführt, doch die Differenz ist zuletzt deutlich kleiner geworden.
Wie eingangs bereits erwähnt, wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nun 4548 Tonnen Käse mehr importiert als exportiert. Es droht erstmals eine negative Handelsbilanz.
Noch ist das letzte Wort aber nicht gesprochen: Schon in der Vergangenheit hat der Absatz von Schweizer Käse auf dem internationalen Weihnachtsmarkt die Branche des Öfteren davor bewahrt. Der Trend zu mehr Import- und weniger Export-Käse bleibt aber.
Das hat vor allem zwei Gründe:
Wichtig sei, dass nun gehandelt werde, sagt Urs Hänni, Geschäftsführer von Tilsiter Schweiz, zu Radio Top. «Es gilt, die Eigenheiten unseres hochwertigen Produkts in den Vordergrund zu stellen und nicht nur über den Preis zu versuchen, den Käse an den Markt zu bringen.»
Überzeugen müssen Hänni und Co. vor allem die Kundschaft in den Nachbarländern Deutschland, Italien und Frankreich sowie in den USA. In diese vier Länder exportiert die Schweiz derzeit nämlich mit Abstand am meisten Käse. Die Hoffnungen ruhen auf dem ausländischen Weihnachtsgeschäft. Dieses konnte die Import-Export-Bilanz schon in den letzten Jahren stets noch ins Positive drehen.
Hier fehlen wohl einige Nullen.
In der Grafik ist dann 31‘937 Tonnen die Rede, was wohl richtig ist.
Gut wurde noch eine Grafik angehängt, die den Text berichtigt.