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Christoph Blocher ereifert sich gerne über die «linkslastigen» Journalisten. Dabei gibt es in der Schweizer Politik nach wie vor keine Persönlichkeit, die sich einer ähnlich grossen Beachtung durch die Medien erfreut. Als der SVP-Strategiechef am Freitag zur Medienkonferenz einlud, fanden längst nicht alle im Säli des Berner Casinos einen Sitzplatz. Was nicht nur daran lag, dass die Orientierung strategisch geschickt im nachrichtenarmen Sommerloch platziert wurde.
Blocher zieht, Blocher bringt Quote. Auch wenn er wie im konkreten Fall zu einem Thema referiert, das noch gar nicht spruchreif ist, sondern wie eine Art Phantom durch die politische Schweiz geistert: Das institutionelle Rahmenabkommen, über das die Schweiz derzeit mit der Europäischen Union verhandelt. Die EU will darin den «Wildwuchs» der rund 150 bilateralen Verträge bündeln. Für die Kassandra von Herrliberg hingegen handelt es sich um einen «Unterwerfungsvertrag».
Den Kampf dagegen betrachtet der Alt-Bundesrat als so etwas wie seine letzte grosse politische Schlacht. Mehrfach zogen er und seine Mitstreiter – SVP-Präsident Albert Rösti, AUNS-Präsident Lukas Reimann sowie je ein Vertreter des Tessin, der Romandie und des Komitees «Junge gegen den EU-Beitritt» – Parallelen zum Abstimmungskampf gegen den EWR-Beitritt 1992. Er war und ist Blochers grösster Sieg.
Seither sind bald 25 Jahre vergangen. Blocher kann die Spuren des Alters nicht verbergen. Im Oktober wird er 76, seine öffentlichen Auftritte haben nicht mehr die Kraft seiner besten Jahre. Wenn es aber um seine Obsession mit Europa geht, ist sein Kampfgeist ungebrochen. Um den Rahmenvertrag zu verhindern, hat er das «Komitee gegen den schleichenden EU-Beitritt» gegründet. Denn genau darum geht es seiner Ansicht nach bei dem umstrittenen Abkommen.
Die Wortwahl von Blocher und seinen Mitstreitern liess an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig: Von einem «Kolonialvertrag» war die Rede, der die Schweiz «in Ketten» lege, oder einer «Annexion». Die Schweiz werde bei einer Annahme nur noch ein «Kanton» der EU sein, hiess es. Hauptstreitpunkt sind die nach Blochers Lesart «zwingende» Übernahme von EU-Recht und die Rechtsprechung durch den EU-Gerichtshof («fremde Richter») bei «Auslegungsschwierigkeiten».
Beides ist noch nicht spruchreif, doch es schadet nicht, frühzeitig das Terrain zu markieren. In dieser Hinsicht scheinen der SVP-Vordenker und seine Partei von ihren politischen Gegnern gelernt zu haben. Diese haben schon sehr früh gegen die «Selbstbestimmungsinitiative» Position bezogen, mit der die SVP die Bundesverfassung über das Völkerrecht stellen will. Die Nein-Kampagne ist vorab in den sozialen Medien in vollem Gang, obwohl die SVP ihre Initiative erst am nächsten Freitag einreichen wird, wie watson berichtete. Die Gegner werden vor Ort Präsenz markieren.
.@operationlibero hat das gute #campaigning von der @SVPch wieder zurückerobert. stark!#SBINein #1August https://t.co/fAtdy2Ubox
— Christian Bosshard (@cbosshard) August 1, 2016
Imitiert die SVP ihre Kontrahenten? Parteichef Rösti winkt im Gespräch mit watson ab. Es handle sich um eine langfristige Strategie. Tatsächlich hat Christoph Blocher sein Komitee bereits im Oktober 2013 gegründet. Dennoch fällt das konzertierte Vorgehen der letzten Tage auf. Am letzten Samstag erschien in den Zeitungen ein ganzseitiges SVP-Inserat zum 1. August, in dem sich Rösti fast ausschliesslich zum Rahmenabkommen ausliess. Am Dienstag folgte erneut eine ganzseitige Annonce in Form eines «Interviews» mit Christoph Blocher zum gleichen Thema.
Die Medienkonferenz vom Freitag bildete den Höhepunkt dieser PR-Offensive. Man befinde sich noch nicht im Abstimmungskampf, räumte Blocher ein und stellte gleichzeitig weitere mediale Aktivitäten in Aussicht. Man sei auch an öffentlichen Diskussionen «sehr interessiert», sagte der SVP-Stratege und erlaubte sich einen Seitenhieb auf die im letzten Herbst gegründete Europaplattform Schweiz, präsidiert vom ehemaligen Zürcher Regierungsrat Markus Notter. Man habe sie zu Streitgesprächen aufgefordert, so Blocher, «aber es kam nichts zustande».
Wie konkret aber ist das ominöse Rahmenabkommen? Es sei «praktisch unterschriftsreif», sagte Blocher, es fehle noch ein kleines Detail. Ganz falsch dürfte er nicht liegen. Aussenminister Didier Burkhalter referierte Ende Juni an der FDP-Delegiertenversammlung in Windisch, die Verhandlungen mit der EU seien weit fortgeschritten. Er stellte in Aussicht, dass bei der Streitschlichtung der gemischte Ausschuss Schweiz-EU das letzte Wort haben werde.
Mancher Parteifreund dürfte bei Burkhalters Worten trotzdem ein flaues Gefühl im Magen bekommen haben. Grosse Teile der FDP wie auch der CVP betrachten den Rahmenvertrag und insbesondere die «fremden Richter» in einer Volksabstimmung als nicht vermittelbar, sie würden ihn am liebsten auf den Mond schiessen oder auf den St.Nimmerleinstag verschieben. Christoph Blocher erachtet es als möglich, dass der Vertrag «im Parlament scheitern wird».
Sein Wunschszenario ist ein anderes: Der Bundesrat bekommt «kalte Füsse» und lässt das Abkommen von sich aus fallen. Wahrscheinlicher sei, dass der Bundesrat «taktisch» entscheiden und den Vertrag hinausschieben werde, um eine Vermischung mit dem ebenfalls noch ungelösten Zwist um die Personenfreizügigkeit zu vermeiden. Die von Burkhalter einst bevorzugte «Paketlösung» zu Zuwanderung und Rahmenvertrag dürfte vom Tisch sein.
Allerdings macht die EU eine Weiterentwicklung des bilateralen Wegs von einem institutionellen Abkommen abhängig. Christoph Blocher gab seiner Medienkonferenz zwar die Überschrift «Für den bilateralen Weg – Nein zur EU-Anbindung». Er gab jedoch zu verstehen, dass er ohne Bilaterale leben könnte. Sie seien für die Schweiz und ihre Wirtschaft «nicht überlebensnotwendig» – eine typische Blocher-Formulierung.
Sollte das Rahmenabkommen vor das Stimmvolk kommen, kann sich die Schweiz auf etwas gefasst machen: Eine Neuauflage der epischen EWR-Abstimmungsschlacht. Seither habe sich einiges geändert, räumte Blocher ein, ein EU-Beitritt sei heute faktisch vom Tisch. Dennoch will er sich noch einmal mit voller Kraft engagieren, auch finanziell. «Ich kann Sie beruhigen, ich werde bezahlen», antwortete er süffisant auf eine entsprechende Journalistenfrage.