So romantisch sie auch ist ... die Vorstellung nach Lust und Laune in den Zug zu steigen und Europa – die Wiege der abendländischen Kultur – zu entdecken. Durch die Gassen von Florenz zu strolchen, Muschelessen an der Côte d'Azur, Wandern in den Pyrenäen, Campen in der Algarve und philosophische Gespräche führen in der Rue Gabrielle in Montmartre, im 18. Arrondissement von Paris.
Halt. Nein, das geht nicht. Wenn du von der Algarve nach Paris willst, dann musst du in Lissabon den Nachtzug nach Madrid nehmen. Der kostet vielleicht so 30 Euro zusätzlich. Kommt auf Saison und Nachfrage drauf an. Von da an geht's nach Barcelona. Aber vermutlich eher mit dem Regionalverkehr; denn die Schnellzüge von Madrid nach Barcelona sind meistens schon drei Wochen im Voraus ausgebucht. Gleiches gilt für die Strecke Barcelona -> Montpellier. Wenn du Glück hast kriegst du ein Ticket für den Tages-Zug. Viel Spass während du bei 32 Grad Celsisus und 90 km/h durch Spanien tuckerst. Minus ein Ferientag inklusive!
Von Montpellier nach Paris gibt's dann einen TGV – grand vitesse, Baby! 320 km/h, dreieinhalbstunden Fahrtzeit. Aber freu dich nicht zu früh. Dein Interrail-Ticket ist auf den TGVs nur bedingt gültig. Du musst deinen Platz reservieren, kostet dich so ungefähr 40 Stutz zusätzlich. Sofern's Platz für dich hat. Denn als Interrailer bist du ein Mensch zweiter Klasse. Es gibt eine Obergrenze für euresgleichen. Pro TGV dürfen nur eine bestimme Anzahl Interrail-Reisende mitfahren. Unter Umständen hängst du nun wieder vier Tage in fuckin' Montpellier rum. Oder fährst elf Stunden mit dem Regionalverkehr. Ohne Sitzplatz, weil ganz viele alte Leute. Wie romantisch doch so ein Abstecher nach Paris sein kann!
Aber so stressig muss es gar nicht sein. Wir müssen uns bloss eingestehen, dass solch ein Trip ein kleines bisschen Planung beansprucht. Damit dir diese ein wenig leichter fällt, haben wir hier sechs Euro-Zugrouten für euch zusammengestellt, die einigermassen Sinn machen.
Zürich > Wien > Bratislava > Budapest > Zagreb > Lijubliana > München > Zürich
Funfact: Wien und Bratislava sind die zwei am nächsten gelegenen Hauptstädte auf dem eurasischen Kontinent. Nur Kinshasa und Brazzaville, die Hauptstädte des Kongos und der Demokratischen Volksrepublik Kongo liegen noch näher zusammen. Der Vatikan und Rom zählen hier nicht, da es sich beim Vatikan um einen Stadtstaat handelt.
Railtipp: Wer wenig Zeit hat fährt vorzugsweise in der Nacht. Dazu brauchst du aber jeweils eine Reservierung. Je nach Land, ist diese gratis oder kostet. In Ost-Europa betragen diese Kosten selten mehr als 20 Euro.
Wer lange Zeit hat, sollte unbedingt auch mal am Tag eine längere Zugstrecke auf sich nehmen. Gerade im Balkan-Gebiet kann das ein schönes Erlebnis sein. Die Landschaften neben den Gleisen sind oft weitläufig und wirken verlassen.
Reisetipp: Im Winter lohnt es sich zwischen Budapest und Zagreb noch einen Zwischenstopp in Belgrad einzulegen. Man sagt, die Stadt würde derweil zu der östlichen (aber nicht weniger hippen) Version von Berlin mutieren.
Im Sommer empfiehlt es sich, neben Zagreb auch die Küstenorte Kroatiens (Split und Zadar) auszuchecken. Ein Umweg, der sich lohnt!
Zürich > Hamburg > Kopenhagen > Stockholm > Oslo > Kristianssand > Hamburg > Zürich
Funfact: Die Freistadt Christiania ist eine vom Staat tolerierte autonome Gemeinde. Alte Hippies und Anarchistinnen leben dort in scheinbarer Utopie mitten in Kopenhagen. Aber was jetzt nach einem kleinen revolutionären Traum tönt, ist in Tat und Wahrheit zu einer Touristenattraktion mit Cannabis-Souvenirshop verkommen. Eine Absurdität, deren Betreten nur auf eigene Gefahr möglich ist. Denn die Polizei hat in Chrisitiania nichts zu melden.
Railtipp: In Skandinavien sollte man seine Reise im Voraus buchen. Hotels und Jugendherbergen können für Spontanreisende sehr teuer werden.
Reisetipp: Lasst euch Zeit für die Reise von Kistianssand nach Hamburg. Dort würde sich nämlich auch noch ein Abstecher auf die Insel Helgoland anbieten.
Zürich > Mailand > Venedig > Florenz > Rom > Neapel > Sizilien > Livorno > Pisa > Mailand > Zürich
Funfact: Die Kunst der napoletanischen Pizzabäcker wurde letztes Jahr zur Liste der immateriellen Unesco-Welterben hinzugefügt. Man sagt, dass die Pizza in der Pizzeria Brandi in Neapel erfunden wurde. Aber aufgepasst: Alles andere als eine traditionelle Pizza Margherita ist in dieser Stadt verpönt. Erwähne also auf keinen Fall deine Vorliebe für Dosenananas!
Railtipp: Mit einem Interrail- oder Eurorail-Ticket kann man nicht nur Zug, sondern auch Schiff fahren. Viele Fähren transportieren Zugreisende mit gültigem Interrail-Pass kostenlos oder ermässigt. Falls du also, wie oben vorgeschlagen, den ganzen Stiefel erkunden willst, dann kannst du am Schluss von Sizilien nach Livorno mit dem Schiff zurückfahren.
Reisetipp: Für alle, die den dicken Engel im Zürcher Hauptbahnhof mögen – zwischen Florenz und Rom gibt es einen ganzen Park von diesen Figuren. Im toskanischen Ort Pescia Fiorentina hat die Künslterin Niki de Saint Phalle in über 30 Jahren Arbeit einen Kunstpark errichtet.
Basel > Paris > Brüssel > Antwerpen > Den Haag > Amsterdam > Basel
Funfact: So bescheiden und süss das Städtchen Antwerpen auch wirkt, der Hafenort an der Schelde hat mächtig Dreck am Stecken. Täglich geht hier Kiloweise Kokain durch den Hafen der Stadt. Ein guter Viertel des Kokains, das aus Südamerika kommt, wird in Antwerpen ans Festland gebracht, was das belgische Städtchen zum Koks-Drehkeuz-Europas macht.
Railtipp: Wie anfangs bereits angetönt, wer mit dem TGV (französische Schnellzüge) auf Interrail unterwegs sein will, muss planen. Jeder TGV-Zug hat eine beschränkte Anzahl an Interrail-Plätzen, die man zwingend reservieren muss. Ohne Reservation kommt man nicht rein, bzw. muss man eine hohe Busse bezahlen. Interrail-Reservationen für den TGV kann man mittlerweile auch schon online vornehmen. Hier geht's zum Reservationsformular.
Reisetipp: Der Küstenabschnitt zwischen Den Haag und Amsterdam gleicht einem europäischen Strand aus dem Bilderbuch. Es lohnt sich eine Stück der Reise auf dem Fahrrad zu begehen oder eine Nacht in einem der Stranddörfchen zu verbringen. Zum Beispiel im hauptstadtnahen Bloemendaal.
Zürich > Prag > Krakau > Warschau > Berlin > Zürich
Funfact: Mit 143 Litern pro Kopf und Jahr sind die Tschechinnen und Tschechen die fleissigsten BiertrinkerInnen Europas. In der Schweiz beträgt dieser Wert 55 Liter pro Jahr und Kopf. Das heisst also, wenn du in Tschechien in den Ferien bist, dann musst du 2,6 Mal so viel Bier trinken wie zu Hause. Was für SchweizerInnen wohl nicht so drastisch ist, denn ein «Grosses» kostet in Prag nur 28 Kronen. Das entspricht etwa 1.20 Franken.
Railtipp: In Osteuropa können die Züge schon mal ein paar Stunden verspätet sein. Lass dich nicht stressen und geniess deine Ferien. Der Weg ist das Ziel. Und der macht in osteuropäischen Zügen oft ziemlich viel Spass.
Reisetipp: Auch in Polen gibt's Strand. Falls du deinem Osteuropa-Trip noch einen Sommertwist geben willst, kannst du von Warschau aus in die Danzigbucht fahren. Zu Zeiten der Sowjetunion waren diese Regionen an der Ostsee «der» Ferienort schlechthin. Die alten Ferienanlagen sind teilweise noch immer vorhanden und die Atmosphäre dieser Küstenorte wirken auf viele WesteuopäerInnen ganz fremd und irgendwie trotzdem nostalgisch.
Genf > Marseille > Aix-en-Provence > Nizza > Turin > Mailand > Zürich
Funfact: Die meisten Menschen, die die Provence bereisen verpassen den besten Teil davon: die Berglandschaften. Schade, denn die Luft und die alte Architektur, die es da oben gibt, heben sich ganz fest von den Luxuskarossen und den Ferienwohnblöcken ab, die die Strandgebiete der Provence beherrschen. Eins haben aber beide Ortsteile gemeinsam: Apéro ist die wichtigste Mahlzeit. Und niemals das feine Gläschen voll Rosé vergessen!
Railtipp: Lange Zugsreisen erfordern eine geeignete Ausrüstung. Reist mit einem grossen Rucksack anstelle eines Schalenkoffers. Damit seid ihr viel flexibler. Besorgt euch unbedingt ein aufblasbares Reisekissen. Wer mag: vielleicht sogar eine Schlafbrille.
Reisetipp: Statt von Turin direkt nach Mailand zu reisen, könnte man auch noch ein paar Tage an der ligurischen Küste verbringen. Die Landschaft dort ist felsig, die Strände sind sandig und das Meer bestechend blau. Die fünf Fischerdörfer neben Levanto, die man alle zusammen die «Cinque Terre» nennt, sind ein kitschiges Konzentrat von all dem, was unsere stereotypisch gepolten Hirne unter Italien abgespeichert haben. Farbige Häuschen wachsen aus dem Küstenboden und bilden schmale Gässchen, in denen es nach Basilikum und Olivenöl riecht. Jedes der Dörfchen ist nur zu Fuss oder mit dem Schiff erreichbar.