Die Altersvorsorge ist eines der grossen Themen 2024. Die Bevölkerung hat im März einem Ausbau der AHV-Renten deutlich zugestimmt; heuer gehen die letzten Frauen mit 64 Jahren in Pension. Und nun muss die Stimmbevölkerung am 22. September entscheiden, ob die berufliche Vorsorge (auch bekannt als zweite Säule oder Pensionskasse) reformiert werden soll. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten:
Nein, wahrscheinlich nicht. Für die allermeisten der rund 4,6 Millionen Versicherten hat die Reform keine Auswirkung auf die Rente. Und für jene, die heute schon eine Rente beziehen, ändert sich sowieso nichts. Betroffen sind zwischen 15 und 30 Prozent der Erwerbstätigen mit eher tiefen Einkommen. Denn geändert werden die Regeln des gesetzlich festgelegten Minimums in der beruflichen Vorsorge. Konkret: Die Mindestleistungen der Pensionskassen gelten für Löhne bis 88'200 Franken. Wer mehr verdient oder durch den Arbeitgeber deutlich besser (überobligatorisch) versichert ist, wird keine Änderungen erfahren.
Das ist die Frage, um die aktuell am meisten gestritten wird. Leider lässt sie sich nicht befriedigend beantworten. Zu viele verschiedene Faktoren entscheiden über die Höhe einer PK-Rente. Nebst der Lohnhöhe fallen auch Elternschaft, Arbeitgeber, Pensenreduktionen und die jeweilige Pensionskasse stark ins Gewicht. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider will darum weder Gewinner noch Verlierer benennen. Sie empfahl den Erwerbstätigen, bei der eigenen Pensionskasse nachzufragen.
Gemäss einer Studie des Beratungsunternehmens BSS könnten bis zu 359'000 Personen durch die Reform eine höhere Rente erhalten, darunter hauptsächlich Frauen (77 Prozent). Grundsätzlich sollen von der Reform vor allem tiefe Einkommen profitieren. Rund 70'000 Erwerbstätige würden neu versichert.
Weiter würde gemäss Studie eine Gruppe von rund 393'000 Personen einen Rentenzuschlag erhalten, obwohl sie die Reform nur marginal betrifft, weil sie zwar überobligatorisch versichert sind, aber trotzdem tiefe Renten haben. Konkret: Wer bei der Pensionierung ein Vorsorgeguthaben von weniger als 441'000 Franken hat und zur Übergangsgeneration zählt, erhält lebenslang einen Zuschlag. Gemäss Behörden ist das jede zweite Person, die in den nächsten 15 Jahren neu pensioniert wird.
Hauptsächlich Frauenrenten werden dadurch verbessert, da diese im Median rund 30 Prozent unter jenen der Männer liegen. Die allzu kleine oder nicht vorhandene Pensionskassenrente ist heute der Hauptgrund für den vielfach beklagten «Pension-Gap» und die Altersarmut, die vor allem Frauen trifft.
Es gibt auch Verlierer. Die erwähnte Studie kommt auf rund 169'000 Personen, die wegen der Reform eine tiefere Rente erhalten würden. Es sind dies Versicherte mit Jahreseinkommen zwischen ungefähr 70'000 und 88'200 Franken. Gewerkschaften, SP und Grüne werten die Reform hauptsächlich negativ. Sie beklagen, für die Verbesserung der Frauenrenten und eine stabile Finanzierung müssten Erwerbstätige künftig mehr einzahlen.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat die Auswirkungen der Reform rudimentär berechnet. Gerade bei den höheren obligatorisch versicherten Einkommen besteht das Risiko einer Einbusse. So muss als extremstes Beispiel eine heute 50-jährige Person hinhalten, die von heute bis zur Pension 88'200 Franken pro Jahr verdient und eine Pensionskasse hat, die sich um allfällige Renteneinbussen foutiert. In diesem Fall droht eine Einbusse von bis zu 3400 Franken Rente pro Jahr.
Demgegenüber steht das Plus von bis zu 4300 Franken zusätzlicher Rente bei einer heute 25-jährigen Person, die ein Leben lang 25'000 Franken verdient. Die Beispiele zeigen: Solche Berechnungen taugen nur bedingt. Zumal ein allgemeiner Rentenaufschlag nie zu den Zielen der Reform zählte.
Bundesrat und Parlament verfolgen drei Ziele mit der Reform. Erstens soll die zweite Säule modernisiert werden. So sollen Personen mit tiefen Einkommen oder kleinen Arbeitspensen die Möglichkeit erhalten, überhaupt ein eigenes Alterskapital anzusparen. Zweitens gilt es, die Finanzierung der zweiten Säule langfristig zu stabilisieren. Das heisst, das System der beruflichen Vorsorge muss der höheren Lebenserwartung angepasst werden.
Die PK-Rente muss für einen längeren Zeitraum ausreichen, das angesparte Altersguthaben wird dafür in kleinere Teile gestückelt. Konkret wird der gesetzlich festgelegte Mindestumwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent gesenkt. Das führt unmittelbar zu entsprechend tieferen Renten. Das dritte Ziel ist nun, das Rentenniveau zu halten. Dafür braucht es zusätzliche finanzielle Mittel zur Kompensierung.
Im Unterschied zur AHV, wo das Geld für die Renten über Steuern und Lohnbeiträge in einem grossen Topf gesammelt und dann neu verteilt wird, spart in der zweiten Säule jeder für sich. Wer also fürs Pensionsalter mehr Geld braucht, muss während der Erwerbszeit mehr ansparen. Um den Sparprozess anzukurbeln, wird die Eintrittsschwelle von heute 22'050 Franken auf 19'845 Franken gesenkt. So viel muss eine Person mindestens verdienen, um obligatorisch versichert zu sein.
Gleichzeitig wird neu ein wesentlich grösserer Teil des Lohns versichert, indem der Koordinationsabzug neu gestaltet wird. Heute werden vom Lohn fix 25'725 Franken abgezogen, neu sind es 20 Prozent des versicherten Lohns. Gerade bei tieferen Löhnen macht das einen wesentlichen Unterschied.
Als dritte Massnahme werden die älteren Erwerbstätigen entlastet, weil die Altersgutschriften ab 45 Jahren bei 14 Prozent stabil bleiben. Der bisherige Sprung für Beitragszahler ab 55 Jahren auf 18 Prozent wird abgeschafft – mit der Absicht, Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt vorzubeugen.
Fazit: Die Versicherten müssen mehr zahlen.
Ja, aber nicht in jedem Fall. Zwar können vor allem die jüngeren Generationen mehr Alterskapital ansparen. Das Sparen gilt als vorteilhaft für die Versicherten. Denn jeder Franken, den eine erwerbstätige Person in die Pensionskasse einzahlt, wird vom Arbeitgeber verdoppelt. Durch (meist profitable) Anlagen profitieren die Versicherten zudem von einem hohen Zins.
Kritisch ist es hingegen bei den über 50-Jährigen. Für sie reicht die Zeit nicht unbedingt, das nötige Kapital bis zur Pensionierung aufzubauen, um das Rentenniveau halten zu können.
Nein, so pauschal lässt sich das sicher nicht sagen. Von einer möglichen Rentensenkung ist nur betroffen, wer obligatorisch oder nahe am Obligatorium versichert ist. Weil die Zeit zum Sparen fehlt, profitieren die 15 Jahrgänge der Übergangsgeneration von einem nach Alter und Einkommen abgestuften Rentenzuschuss von bis zu 2400 Franken pro Jahr. Die ersten fünf Jahrgänge, die nach Inkrafttreten der Reform in Pension gehen, erhalten maximal 200 Franken pro Monat, die folgenden fünf Jahrgänge erhalten 150 Franken und die letzten fünf Jahrgänge, die Gruppe der dann 50- bis 55-Jährigen, erhält maximal 100 Franken.
Das Parlament entschied sich zudem, Geschenke zu verteilen. So profitieren nicht nur Personen vom Zuschlag, deren Umwandlungssatz und Rente gesenkt wurde, sondern auch alle Personen, die über ein geringes Vorsorgeguthaben (von weniger als 441'000 Franken) verfügen. Gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen werden rund 11 Milliarden Franken Kompensationszahlungen finanziert.
Diese Zuschläge werden hauptsächlich über den Sicherheitsfonds und daher von allen Versicherten solidarisch finanziert. Das heisst, auch Pensionskassen, die von der Reform gar nicht betroffen sind, müssen einen Beitrag leisten, um die Kompensationszahlungen für die 15 Übergangsjahrgänge zu finanzieren. Falls eine Pensionskasse die entsprechenden Mittel nicht bereit hat, muss sie zusätzliche Beiträge von Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern erheben.
Viele Erwerbstätige befassen sich nicht aktiv mit ihrer beruflichen Vorsorge oder kennen das System nicht. Das hat eine kürzlich veröffentlichte Studie gezeigt. Es fehlt darum auch ein gewisses Verständnis für die Massnahmen oder eine Abschätzung über die persönliche Betroffenheit.
Natürlich gibt es auch inhaltliche Kritik. Gewerkschaften, SP und Grüne wehren sich seit je gegen die Senkung des Umwandlungssatzes, weil dieser zu Rentenausfällen führt. Sie argumentieren sodann, dass die Kompensationsmassnahmen nicht ausreichen, um das Rentenniveau zu halten. Und schliesslich halten sie das System sowieso für unfair: Gerade Personen mit geringem Einkommen brauchten das Geld im Alltag und könnten es nicht sparen.
Dagegen hält eine breite bürgerliche Allianz von GLP, Mitte, FDP und SVP die Reform für unterstützungswürdig. Selbst Gewerbe und Arbeitgeber stehen dahinter, obwohl die Arbeit teurer wird, weil sie mehr Lohnabgaben entrichten müssen.
Trotzdem unterstützen sie eine bessere Versicherung der Arbeitnehmenden und passen die berufliche Vorsorge den gesellschaftlichen Bedürfnissen, wie etwa der Teilzeitarbeit an. Hauptargument ist aber der seit Jahrzehnten (zu) hohe Umwandlungssatz, der bei den Minimalkassen eine faire Finanzierung der Renten verhindert. Weiter ermöglicht die tiefere Eintrittsschwelle, dass mehr Menschen samt Familie nicht nur im Alter, sondern auch gegen Invalidität und Tod besser versichert sind.
In den letzten zwanzig Jahren führte das instabile Zinsumfeld sowie die höhere Lebenserwartung zu Finanzierungsproblemen in der beruflichen Vorsorge: Es fehlten Milliarden, um die laufenden Pensionskassenrenten auszuzahlen. Die Vorsorgeeinrichtungen zapften darum Reserven an, die Ersparnisse der aktiven Versicherten wurden in der Folge nicht mehr gut verzinst. Weil Solidarität zwischen Generationen in der zweiten Säule nicht gewollt ist, senkten die Pensionskassen den Umwandlungssatz im Überobligatorium.
Das zeigt jetzt Wirkung. 2022 stellte die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge erstmals kaum mehr Umverteilung fest. Nur für die BVG-Minimalkassen gilt das nicht. Gemäss Oberaufsicht lässt sich die anhaltende Umverteilung dort nur mit der Reform aufheben.
Wahrscheinlich länger nichts mehr. Bei den Minimalkassen bleibt die Umverteilung, was zu einer schlechten Verzinsung der Vermögen bei tiefen Löhnen führt. Eine Viertelmillion Frauen müssten weiter auf eine bessere zweite Säule warten.
Zwar wird die bessere Absicherung von tiefen Einkommen teilweise auch von links unterstützt. Aber nicht zum Preis, den Mindestumwandlungssatz gleichzeitig zu senken. Umgekehrt sind Gewerbe und Arbeitgeber kaum bereit, die Menschen besser zu versichern, wenn das Hauptproblem der Umverteilung ungelöst bleibt. Die Vorlage ist ein Kompromiss. Es ist dies der dritte Anlauf für eine BVG-Reform in zwanzig Jahren, die letzten beiden sind gescheitert. (aargauerzeitung.ch)