Rudolf Strahm war, von 1991 bis 2004, nicht nur Nationalrat. Sondern zwischen 2004 und 2008 auch Preisüberwacher. Schon damals beschäftigte er sich mit den Vermögensverwaltungskosten der Pensionskassen. Später drängte er Innenminister Alain Berset dazu, etwas zu unternehmen, um diese Kosten zu senken.
Inzwischen ist Rudolf Strahm 80 Jahre alt, und die Verwaltungskosten der zweiten Säule treiben ihn noch immer um. Eben hat er neue Zahlen zu den Kosten eruiert, welche die rund 1400 Pensionskassen und BVG-Einrichtungen mit der Verwaltung der zurzeit 1186 Milliarden Franken an Vorsorgegeldern generieren.
Strahms Zahlen zeigen: Die Pensionskassen gaben 2022 total 8,6 Milliarden Franken für die Verwaltung ihrer Vorsorgegelder aus. Dieser Betrag setzt sich aus drei Bereichen zusammen: den klassischen Verwaltungskosten mit 1 Milliarde für Administration, Miete und Löhne bei den Kassen, den Vermögensverwaltungskosten mit 6,887 Milliarden und den sogenannten Kostenprämien an Lebensversicherer mit 709 Millionen.
«Mit den 8,6 Milliarden versickern durchschnittlich 1500 Franken pro Jahr und pro Versichertem in der Vermögensverwaltung und der Kassenverwaltung, bei Aktiven wie Rentnern», sagt Strahm. Seine Folgerung: «Das ist viel zu viel.» Es gebe allerdings «extreme Kostenunterschiede» zwischen den Kassen.
Seine neuen Zahlen seien «konsolidiert, solide und robust», sagt Strahm. Er hat sie mit dem Beratungsunternehmen c-alm abgeglichen und nach den Kriterien der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK) des Bundes erstellt. C-alm hat 2011 und 2019 die Erhebungsmethodik für die Verwaltungskosten im Auftrag der OAK entwickelt.
Brisant ist: In seinen neuen Berechnungen beziffert Strahm die Verwaltungsgesamtkosten der Pensionskassen für 2022 um 1,5 Milliarden Franken höher als das Bundesamt für Statistik (BFS) - auf 8,6 statt auf 7,1 Milliarden. Wo gibt es Unterschiede? Wo sind die Zahlen gleich?
Verwaltungskosten: Wie Strahm veranschlagt das BFS die Verwaltungskosten in seiner Pensionskassenstatistik auf 1 Milliarde Franken.
Vermögensverwaltungskosten: Das BFS weist hier nur 6,1 Milliarden Franken aus. Strahm hingegen 6,889 Milliarden. Das hängt damit zusammen, dass Strahm die rund 750 Millionen Garantieleistungen von Privatversicherern oder anderen Garanten mitrechnet, die diese der Finanzmarktaufsicht Finma deklarieren müssen. Das BFS weist diesen Punkt nicht aus.
Kostenprämien: Im Gegensatz zum BFS berücksichtigt Strahm auch sogenannte Kostenprämien in der Höhe von 709 Millionen Franken. Das sind Kosten, welche die grossen Privatversicherungen intern jenen Pensionskassen verrechnen, die sich mit einer Rückdeckung bei ihnen anlehnen. Auch diese Kosten müssen bei der Finma deklariert werden.
Der Unterschied zwischen den Zahlen Strahms und dem BFS liegt somit in den Rückdeckungen oder Garantien begründet, welche Privatversicherer für Pensionskassen leisten. Die Kosten dafür müssen sie bei der Finanzmarktaufsicht offenlegen. Strahm verwendet diese Zahlen, das BFS nicht. Es begrenze die Pensionskassenstatistik auf die Pensionskassen, betont das BFS selbst. Es orientiere sich damit strikt an Artikel 48a der Verordnung über die berufliche Vorsorge. Dieser definiert die Rechnungslegung der Verwaltungsgesamtkosten - mit Kosten der Verwaltung und Kosten der Vermögensverwaltung. Offenlegungen bei der Finma gehören nicht dazu.
Die Vermögensverwaltungskosten machen mit 6,887 Milliarden Franken oder 80 Prozent den Löwenanteil der Verwaltungsgesamtkosten aus. Es geht dabei um Bankgebühren, Depotgebühren, Asset-Management-Fees, Courtagen, Transaktionskosten und auch Gewinn, welche die Finanzindustrie den Pensionskassen für die Vermögensverwaltung verrechnet.
Das verdeutlicht: Pensionskassengelder sind ein Eldorado für die Finanzindustrie. 2022 verwaltete sie rund 1186 Milliarden Franken Sparkapital. «Das ist ein grosses Geschäft», sagt Strahm. «Diese BVG-Kapitalsumme entspricht anderthalbmal dem Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz.» Dieses betrug 2022 781 Milliarden Franken.
Ursprünglich seien Pensionskassen und BVG-Einrichtungen vom Gesetzgeber als «gemeinnützige und gewinnfreie Institutionen» konzipiert worden, sagt Strahm. «Das sind meist Stiftungen.» Im Verlauf der Jahre habe sich unterhalb dieser Stiftungen allerdings eine Vermögensverwaltungsindustrie etabliert. Verschiedene Liberalisierungsschritte hätten im Verlauf der Jahre dafür gesorgt. «Inzwischen verursachen die 8 Prozent der von Pensionskassen eingesetzten sogenannten ‹alternativen Anlagen› wie Hedgefonds einen Drittel aller Verwaltungsvermögenskosten», sagt Strahm.
6,8 Milliarden Kosten für die Vermögensverwaltung sei «eine wahnsinnig hohe Summe», sagt Strahm. «Viel Geld versickert hier in den gewinnorientierten privaten «Sektor.» Dieses «private Anlagebusiness» für Vermögen der Pensionskassen sei «intransparent».
Die Pensionskassenstatistik des Bundesamts für Statistik zeigt, dass sich die Verwaltungsgesamtkosten zwischen 2013 und 2022 fast verdoppelt haben. 2013 betrugen sie 3,87 Milliarden, 2022 waren es gemäss BFS 7,14 Milliarden (Strahm beziffert sie auf 8,6 Milliarden).
Wie viel der total 8,6 Milliarden Franken Verwaltungskosten könnten eingespart werden? «Man kann sie nicht auf null senken», sagt Strahm. «Verwaltungs- und Vermögensverwaltungskosten lassen sich nicht wegorganisieren.» Er habe auch nie eine Obergrenze gefordert. «Das kann man nicht in einem so volatilen und komplexen Markt.» Aber man müsse volle Kostentransparenz schaffen, indem das BFS die Kosten für jede Pensionskasse einzeln aufführe, sagt Strahm. «Transparenz schafft Wettbewerb und Kostendruck bei den Vermögensanlagen.» Dazu bestehe ein öffentliches Interesse, gehe es doch um zwangsersparte Gelder.
Heute versickere «im Durchschnitt aller Kassen nahezu jeder fünfte Franken an jährlichen Renten- und Kapitalleistungen in der Kostenfalle», betont er. Das sei deutlich zu viel. «Es ist aber machbar, mindestens 2 dieser 8,6 Milliarden Franken einzusparen.»
Wie beurteilt die Oberaufsichtskommission OAK den Handlungsbedarf? Weisungen der OAK im Jahr 2013 hätten «den gewünschten Schub bei der Kostentransparenz» gebracht, schreibt die Kommission. Die ausgewiesenen Vermögensverwaltungskosten hätten wesentlich an Aussagekraft gewonnen. Verantwortlich für die Verwaltungsgesamtkosten seien letztlich aber die Stiftungsräte der Kassen. Die OAK setze sich jedoch «konstant für eine optimierte Governance und Transparenz» ein.
Strahm geht weiter. Für ihn ist klar: Die Pensionskassen brauchen in Zukunft eine Vergleichskennziffer, über die sie ihre Verwaltungskosten transparent und vergleichbar ausweisen können. Wie das bei den Krankenkassen der Fall ist. Für eine solche Kennziffer gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder weise jede Pensionskasse aus, wie viele Franken sie pro Versicherten und pro Jahr für ihre Verwaltung ausgebe. Oder sie weise aus, wie viele Prozente der Kapitalsumme in die Verwaltung gingen.
Bei der zweiten Säule gehe es immerhin um eine Sozialversicherung, betont Strahm. Und sollte die Reform der beruflichen Vorsorge am 22. September vor dem Volk scheitern, sagt er, «muss die Frage der Kostentransparenz wieder thematisiert werden».
Dass sich Rudolf Strahm so scharf in der BVG-Debatte zu Wort meldet, hat einen Grund. Er habe heute, sagt der 80-Jährige, «die Narrenfreiheit des Veteranen». Anders noch als zur Zeit als Preisüberwacher.
Das BVG ist ein Riesenbetrug am Arbeitnehmer, aber niemand in der Politik - weder rechts noch links - will an den strukturellen Fehlern dieses Systems etwas verbessern.