Egal, was in diesem Sommer noch passiert: Der Wechsel von Kylian Mbappé von Paris Saint-Germain zu Real Madrid ist der grösste vor der Saison 2024/25. Mit dem 25-jährigen Franzosen wechselt der aktuell wohl beste Fussballer der Welt zum amtierenden Champions-League-Sieger. Also zu einem Team, das ihn nicht unbedingt zu brauchen scheint.
Kein Wunder lassen die skeptischen Stimmen nicht lange auf sich warten. Aus zwei Gründen glauben einige Fans und Experten, dass Mbappé nicht nach Madrid passen könnte. Einerseits aus taktischer, andererseits aus charakterlicher Sicht.
Die Zweifel der ersten Art sollten relativ schnell aus der Welt zu schaffen sein. Trainer Carlo Ancelotti ist dafür bekannt, sein System seinen Spielern anpassen zu können. «Es gibt nicht das eine, Erfolg bringende System», sagte Ancelotti einmal dazu und stellte klar: «In meinen Augen ist das Erfolg bringende System, die Spieler dort aufzustellen, wo sie sich wohlfühlen.» So wechselte er vor dieser Saison mangels eines echten Mittelstürmers von Weltklasse-Format kurzerhand von einem 4-3-3-System zu einem Doppelsturm aus den gelernten Flügelspielern Vinicius und Rodrygo. Dahinter fungierte Jude Bellingham als Mischung aus offensivem Mittelfeldspieler und falscher Neun.
Schon bei der AC Milan disponierte Ancelotti im Mittelfeld um, um Platz für Andrea Pirlo, Clarence Seedorf, Rui Costa und Kaka zu schaffen. So formte der Italiener eine Raute, die vier statt wie zuvor nur drei Spielern Platz im Zentrum gibt. Obwohl Ancelotti vor allem wegen seines hervorragenden Umgangs mit den Spielern berüchtigt ist, erweist er sich auch immer wieder als Taktikfuchs. Aufgrund seiner Flexibilität scheint er der perfekte Trainer für den vielseitigen Mbappé zu sein.
Dass der 64-Jährige nun daran scheitert, den sowohl als Mittelstürmer als auch als Flügelspieler einsetzbaren Mbappé zu integrieren, ist daher sehr unwahrscheinlich. Zumal der Torschützenkönig der letzten sechs Ligue-1-Saisons und der WM 2022 eine unfassbare Torgefahr mit sich bringt. Der Franzose, der tendenziell eher wenig Ballkontakte hat und nicht ganz so viele Pässe spielt, dürfte ausserdem wesentlich besser zu Ancelottis Spielstil passen als zu jenem von PSG unter Luis Enrique, der viel stärker auf Ballbesitz und Spielkontrolle aus war, wodurch Mbappé seine Schnelligkeit nicht immer so gut ausspielen konnte. Trotzdem erzielte er mehr als einen Skorerpunkt pro Partie.
In Madrid wäre nun eine Rückkehr zum Dreiersturm eine Option, in der Mbappé die Rolle von Ex-Real-Star Karim Benzema zwischen den Brasilianern Vinicius und Rodrygo einnimmt. Eine andere Lösung wäre beim Doppelsturm zu bleiben, wobei der 25-jährige Neuzugang Rodrygo ersetzen würde. Dieser könnte entweder als Edeljoker fungieren oder bei einem Verkauf möglicherweise eine dreistellige Millionensumme einbringen. Damit wäre die Verpflichtung von Kylian Mbappé schon fast wieder refinanziert.
Mit der zweiten Variante müsste man keinen Mittelfeldspieler für Mbappé opfern und würde vor allem der Defensive nicht wirklich schaden. Darin besteht nämlich die grösste Gefahr: Dass Real Madrid defensiv leidet, wie es PSG tat, als Mbappé gemeinsam mit Neymar und Lionel Messi auf dem Feld stand. Offensiv harmonierte es zwar meist grandios, doch fehlten in der Rückwärtsbewegung gleich drei Spieler.
Viel grösser als die Angst vor sportlichen Problemen scheint in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch zu sein, dass Mbappé Unruhe in die Kabine bringen könnte. Denn der Superstar wird von vielen Fussballfans als geldgieriger Egoist angesehen, der sich gegenüber seinen Mitspielern nicht immer korrekt verhält. Es deutet jedoch vieles darauf hin, dass es sich hierbei um ein falsches Bild Mbappés handelt.
Vielleicht lässt er es auf dem Feld manchmal schleifen und ärgert sich auch mal über Mitspieler, wenn sie ihm den Ball nicht geben oder einen Fehler machen. Das wurde jedoch auch Bellingham in Dortmund vorgeworfen, in Madrid fiel der 20-jährige Engländer in der Hinsicht aber noch nie negativ auf. Bei internen Querelen bei PSG schien auch vor allem Neymar der Ursprung zu sein, an der Europameisterschaft 2021 mit Frankreich waren es vor allem Adrien Rabiot und Paul Pogba, die stänkerten. Mbappé scheint als Star lediglich oft die Zielscheibe zu sein.
Zumindest deutet die Stimmung bei den Parisern in dieser Saison sowie in Frankreichs Nationalteam an den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 darauf hin, dass Mbappé sehr gut mit seinen Teamkollegen harmonieren kann. Nach dem Sieg im Cupfinal, dem letzten Spiel von Mbappé bei PSG, liessen ihn seine Teamkollegen hochleben. Beim WM-Triumph 2018 war er ein wesentlicher Bestandteil, vier Jahre später, als Frankreich erneut im WM-Final stand, gar unangefochtener Star einer funktionierenden Mannschaft. Man kann sagen: Der Erfolg gibt Mbappé recht.
Und ein Vorbild ist der 77-fache Nationalspieler eigentlich auch neben dem Platz. So setzt er sich regelmässig für gemeinnützige Aktionen ein, hat eine eigene Stiftung und spendete beispielsweise seine gesamten Einnahmen von der letzten Weltmeisterschaft in Höhe von rund einer halben Million Euro an eine Organisation, die sich für die Schulbildung benachteiligter Kinder engagiert.
Ihn aufgrund seines immensen Gehalts bei PSG zu verurteilen, wird ihm ebenfalls kaum gerecht. Schliesslich wurde ihm dieses im Sommer 2022 von den Parisern und ihren katarischen Besitzern angeboten, weil diese ihn unbedingt halten wollten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron machte es gar zu seiner höchstpersönlichen Aufgabe, den Jungen aus dem Pariser Vorort Bondy von einem Verbleib zu überzeugen. Dass er das Angebot bei einem kolportierten Jahresgehalt von rund 200 Millionen Euro annimmt, um zwei weitere Jahre in seiner Heimat zu spielen, ist ihm kaum vorzuwerfen.
Zumal er zwei Jahre später wohl auf einiges an Gehalt verzichtet, um zu seinem Traumklub zu wechseln. Von Real Madrid erhält er aufgrund seines ablösefreien Wechsels zwar rund 150 Millionen Euro Handgeld, doch ist er mit einem Salär von 15 Millionen jährlich nicht ansatzweise der Top-Verdiener bei den «Königlichen». Dass er das Angebot der Madrilenen dennoch angenommen hat, könnte darauf hinweisen, dass auch ihm klar ist, dass er sich im von Superstars gespickten Team von Carlo Ancelotti integrieren muss. Das dürften ihm die Verantwortlichen um Präsident Florentino Pérez im Vorhinein klargemacht haben.
Schliesslich geht es hier nicht um irgendeinen Klub, sondern um Real Madrid. Die «Blancos» haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass kein Spieler grösser ist als der Klub und sich selbst der talentierteste Profi einreihen muss. Bei Kylian Mbappé dürfte das kein Problem sein.