Die Vorbereitungspartie auf die EM in Deutschland hatten die Verantwortlichen der beiden Landesverbände längst fixiert. «Für mich ist es ein schöner Zufall, dass dieses Länderspiel in Luzern stattfindet», sagt Thomas Häberli. Der 50-Jährige stammt aus Ballwil im Luzerner Seetal, nur 16 Strassenkilometer von der Swisspor-Arena entfernt, wo morgen Dienstag die Schweiz auf Estland trifft.
Häberli coacht zum letzten Mal die estnische Nationalmannschaft. «Viele Familienangehörige und Freunde wollten Tickets, das wird sicher speziell», so Häberli. «Michael Müller und ich können beide Nationalhymnen singen. Von jeder mindestens die erste Strophe», stellt er mit einem Lächeln über sich und seinen aus Basel stammenden Wegbegleiter und Fitnesstrainer der Esten fest.
Die Mitteilung, dass Häberli und der estnische Fussballverband ab Sommer getrennte Wege gehen, ist seit Mitte Mai bekannt. Die beiden Parteien haben sich einvernehmlich auf eine Vertragsauflösung geeinigt. Häberlis Vertrag wäre noch bis Ende Jahr gültig gewesen. Er spricht vom Schlüsselmoment, den Playoffs für die EM-Qualifikation. Via Aufstieg in die Liga C der Nations League schaffte es Estland in den Halbfinal in Polen.
Auf der einen Seite standen die Polen mit Weltstar Robert Lewandowski von Barça und in der FIFA-Weltrangliste zum Zeitpunkt des Spiels am 21. März auf Platz 30, auf der anderen Seite die Esten auf Position 123. Der polnische 5:1-Sieg bestätigte die Stärkeverhältnisse. Lewandowski und Co. qualifizierten sich schliesslich via Penaltyschiessen gegen Wales für die EM.
Und wie nahm Häberli das vorzeitige Ende als estnischer Nationalcoach auf? «Der Verbandspräsident und ich hatten uns gegenseitig auf eine vorzeitige Vertragsauflösung geeinigt.» Seit dreieinhalb Jahren lebt er mit seiner Familie nun in der Hauptstadt Tallinn und fühlt sich immer noch pudelwohl. Auch die sportliche Bilanz kann sich sehen lassen mit dieser kleinen Fussballnation, die er zwischenzeitlich auf Platz 105 geführt hatte: 10 Siege stehen 18 Niederlagen gegenüber, dazu kommen 7 Unentschieden. Zu den grössten Erfolgen zählt der Sieg beim Baltic-Cup und der Aufstieg in die Liga C der Nations League.
Häberli ist dankbar für die Zeit, die er in Estland hatte: «In all den Jahren durften wir erleben, wie viel Freude der Fussball bietet. Ich bin sehr glücklich, dass ich ein Teil des estnischen Fussballs sein konnte», lässt er sich zitieren. Auch im Gespräch mit CH Media spricht er nur von positiven Dingen: «Für mich und die ganze Familie war es eine super Erfahrung, wir gingen raus aus der Komfortzone.» Dazu zählt er die Einstellung: «Die Esten leben viel mehr in den Tag hinein. Für uns Schweizer, die alles abgesichert haben wollen, ist das eher schwierig.»
Auch Thomas Häberli lebt heute unbeschwerter. Er will mit seiner Frau und drei von vier Kindern in Tallinn bleiben, bis er einen neuen Job gefunden hat. Gerne würde er wieder ein Projekt aufbauen wie in Estland. Aber er könnte sich auch vorstellen, eine andere Aufgabe zu übernehmen und nicht unbedingt als Cheftrainer zu arbeiten. Das Trainerbüro teilt er, bis er den Verband verlässt, mit seinem Nachfolger Jürgen Henn, 36. Der Este hatte bis Ende 2023 Flora Tallinn trainiert und sich Anfang des Jahres dem Trainerteam der Nationalmannschaft angeschlossen.
Für den Match gegen die Schweiz haben die Esten keine Vorbereitung. Erst am gestrigen Montagnachmittag flogen sie nach Zürich. GC-Verteidiger Maksim Paskotsi hatte am Freitag in Thun im Barrage-Rückspiel mitgeholfen, dass die Zürcher die Klasse halten. Für Häberli ist es eine Rückkehr an die alte Wirkungsstätte. 2019 war der langjährige Ex-YB-Profi für 42 Pflichtspiele (Punkteschnitt: 1,36) Trainer des FC Luzern.
Der Noch-Estland-Coach glaubt, dass die Schweiz stärker ist als ihr letzter Vorbereitungsgegner Österreich, der auch an der EM teilnimmt. Häberli: «Wir kennen die Österreicher aus der Quali. Es ist eine gute Mannschaft, aber in der Abwehr sind sie anfälliger als die Schweiz.»