Sie waren 1991 der erste Schweizer in einem U-20-WM-Allstar-Team, 1991 der erste Schweizer Torhüter im NHL-Draft, 1995 der erste Schweizer in der NHL und 2004 in der höchsten russischen Liga. Wie weit weg war der Pionier Pauli Jaks vom Torhüterspiel der Gegenwart?
Pauli Jaks: Gar nicht so weit weg, auch wenn sich das Torhüterspiel verändert hat. Vielleicht wäre mehr möglich gewesen, wenn ich in Nordamerika mehr Geduld und Biss gehabt hätte und nicht nach zwei Jahren zurückgekehrt wäre. Was nichts daran ändert, dass ich mit meiner Hockeykarriere im reinen bin. Es ist gut, so wie es ist.
Wie hat sich das Torhüterspiel verändert?
Heute wird noch mehr der Butterfly-Stil gepflegt als damals und wenn ich diesen Stil auch schon so gespielt hätte wie heute, würden mich vielleicht Knie und Hüftprobleme plagen wie viele Goalies von heute. Aber sonst war ich nicht anders als die Torhüter von heute.
Das heisst?
Ein sturer Holzkopf, der rund um ein Spiel in seiner eigenen Welt versunken ist.
Ein Torhüter halt.
Sie sagen es.
Dann waren Sie auch abergläubisch?
Ja klar, sogar sehr. Auf meinem Platz in der Garderobe musste immer alles tipptopp aufgeräumt und blitzsauber sein. Vor dem Training und dem Spiel habe ich immer zuerst den rechten Schlittschuh gebunden.
Haben Sie das nie vergessen?
Nein, nie, und das ist so zur Routine geworden, dass ich es heute noch tue.
Sie haben das auch nicht am 1. April 1999 vergessen?
Nein, auch damals nicht. Ich dachte mir schon, dass Sie damit kommen werden.
Sie haben damals halt eines der dramatischsten haltbaren Tore der Playoff-Geschichte kassiert. Lugano lag im zweiten Finalspiel eigentlich hoffnungslos 0:2 zurück. Da erwischte Sie Misko Antisin in der 42. Minute mit einem Weitschuss zum 2:1, das Spiel drehte, Lugano gewann in der Verlängerung 3:2.
Jaja, ich weiss. Es ist ein legendärer Match. Von aussen gesehen mag dieses Gegentor haltbar und komisch sein. Aber das war vor 23 Jahren. Die Ausrüstung hatte damals weniger Volumen als heute. Der Puck kam ganz knapp übers Eis, gerade hoch genug, um über meine Stockschaufel zu fliegen. Ich habe alles probiert, ihn aufzuhalten. Es war Pech.
Werden Sie heute noch darauf angesprochen?
Hin und wieder. Und es tut immer noch ein wenig weh. Aber das Leben ist weitergegangen. Es gibt aber auch schöne Erinnerungen an diese Zeit. Wir waren wirklich gut und wir wussten vor jedem Spiel, dass wir dazu in der Lage sind, zu gewinnen. Leider konnten wir die Supersaison 1998/99 nicht mit dem Titel krönen.
Und Sie hatten vor dem Spiel wirklich den rechten Schuh zuerst gebunden?
Ja, ganz klar. Aber ich hatte schon früher Rückschläge zu überwinden. Ein Jahr vorher hat mich Trainer Larry Huras während des Viertelfinals gegen Bern ausgewechselt und durch Peter Martin ersetzt und ich kam auch im Halbfinal gegen Zug nicht mehr zum Einsatz. Obwohl ich die Nummer 1 war. Das hat mich stärker gemacht. Es ist so wichtig, immer nach vorne zu schauen. Was passiert ist, ist passiert, das musst du wegstecken. Das ist es, was ich heute als Trainer den Goalies beizubringen versuche.
Ihre beiden Söhne sind auch Torhüter.
Aleksander hat nach den Elitejunioren mit dem Hockey aufgehört. Das ist gut so, ich habe ihn nie gepusht. Krystian hat auf diese Saison nach Nordamerika ins College gewechselt und spielt dort in der Nähe von Boston auf der zweithöchsten Stufe. Er fühlt sich sehr wohl dort und es läuft gut für ihn.
Also auf der gleichen Stufe wie Sandro Aeschlimann. Ist Krystian ein zukünftiger Ambri-Goalie?
Es ist noch viel zu früh, um das beurteilen zu können und es braucht Geduld. Wichtig ist, dass er Spass am Hockey hat. Dann schauen wir weiter.
Als Sohn des Goalie-Trainers wird es in Ambri für ihn nicht einfach sein.
Das ist ein guter Einwand. Daran habe ich noch gar nie gedacht. Er hat von dieser speziellen Ausgangslage im Nachwuchs nie etwas gespürt. Ich behandle alle unsere Goalies gleich.
Sie haben am 29. Januar 1995 als erster Schweizer in der NHL gespielt. Mit den Los Angeles Kings gegen Chicago. Im Team von Wayne Gretzky. Wie war das damals?
Schön. Und natürlich werde ich das nie vergessen. Ich war damals in der zweiten Saison im Farmteam in Phoenix und diese zweite Saison war für mich noch schwieriger als die erste. Ich war völlig überrascht, als mir der Trainer sagte, ich müsse sofort nach Los Angeles.
Von Phoenix nach Los Angeles sind es etwa sechs Stunden mit dem Auto. Sind Sie mit Ihrem Auto zu den Kings gefahren?
Ja, und mein Vater war gerade zu Besuch und wir machten die Reise gemeinsam. Ich bin zwei Wochen beim Team geblieben und kam zu diesem Einsatz gegen Chicago. Nach 20 Minuten musste ich ins Tor und kassierte gleich einen unglücklichen Treffer. Ich fuhr hinters Tor, um den ins Drittel geschossenen Puck zu stoppen. Aber der prallte von der Bande irgendwie ab und flog ins leere Netz. Aber alles in allem waren es 40 gute Minuten in der NHL und es sind mir einige gute Saves gelungen.
Ein grosses Team mit Wayne Gretzky, Rob Blake, Luc Robitaille, Tony Granato und Jari Kurri. Wie war das für Sie, auf einmal mit den Grössen des Welthockeys in der Kabine zu sitzen?
Gar nicht so schwierig. Alle waren freundlich zu mir und haben mir geholfen.
Haben Sie sich eingehend mit Wayne Gretzky unterhalten?
Nein, höchstens ein paar belanglose Worte. Einmal ging ich nach dem Training in die Dusche – und auf einmal stand Gretzky als Einziger neben mir unter der Dusche. Ich habe kein Wort herausgebracht.
Immerhin haben Sie mit Wayne Gretzky geduscht.
Ja. Er war sehr nett und hat mir gesagt, dass ich jederzeit zu ihm kommen könne, wenn ich Unterstützung brauche.
Haben Sie eigentlich das Leibchen noch, das Sie in diesem Match getragen haben?
Das von Phoenix habe ich noch, das von Los Angeles mit der Nummer 36 leider nicht mehr.
Sie hatten nicht Ihre Nummer 33?
Nein, die hatte schon Marty McSorley, der «Bodyguard» von Gretzky. Es wäre wahrscheinlich nicht wahnsinnig gut angekommen, wenn ich nach der Nummer gefragt hätte.
Sie waren der erste Schweizer im nordamerikanischen Hockey. Wie sind Sie zurechtgekommen?
Sehr gut. Ich hatte ja Glück. Das Farmteam der Kings war in Phoenix stationiert und dort ist es während des ganzen Jahres schön und warm. Amerika hat mir immer gefallen, ich mag die Weite des Landes, ich reise hin und wieder in den Ferien in die USA und besuche alte Freunde. Ich habe in Phoenix auch meine erste Liebe gefunden. Sie ist die Mutter meiner Kinder und sie lebt auch nach der Scheidung immer noch hier im Tessin und arbeitet als Englischlehrerin in Tenero.
Nach Ihnen hat mit David Aebischer, Martin Gerber, Jonas Hiller und Reto Berra die ruhmreiche Zeit der Schweizer Goalies in der NHL begonnen. Diese Zeit ist vorbei. Wo ist die nächste Generation?
Wir haben immerhin Akira Schmid in der Organisation von New Jersey und die Entwicklung von Joren van Pottelberghe wird von Detroit aufmerksam verfolgt. Wir arbeiten an der Basis gut. Aber es wird eben immer schwieriger, unsere Talente überhaupt in die National League zu bringen.
Ist es also schwieriger als zu Ihrer Zeit, in der National League die Nummer 1 zu werden?
Ja, ich kam mit 17 zu meinem Debüt. Ich war talentiert. Aber das genügt heute nicht mehr.
Was braucht es noch neben Talent?
Du musst physisch sehr stark sein. Du musst Tag für Tag in jedem Training ans Limit gehen und auch mental robust sein. Das war früher zwar auch so. Aber heute muss einfach alles stimmen.
Das Spiel wird ja immer schneller und die Schusskraft der Stürmer grösser. Ist es auch deshalb für einen Torhüter heute schwieriger?
Nein. Wir bereiten uns ja auch auf härtere, schnellere Schüsse vor. Es ist also eine Sache der Vorbereitung auf die neue Situation. Heute müssen wir elf Monate im Jahr arbeiten. Die Jungen sind dieser Belastung gewachsen, sie kommen gerne zum Training. Das ist der erste Schritt zu einer Karriere.
Vom Gegentreffer im Final haben wir schon gesprochen. Was waren die heftigsten Momente in den Derbys? Da flogen ja auch Steine.
Von Steinwürfen war ich nie betroffen. Wir blieben jeweils lange genug in der Garderobe und oft hat die Polizei unseren Bus bis auf die Autobahn begleitet. Ich habe immer gerne in Lugano gespielt und ich habe alle Schmährufe der «Curva Nord» genossen. Hinter meiner Maske habe ich gelächelt und gedacht: Ihr wisst ja nicht, dass ihr mich motiviert. Mit Steinen bin ich also nie beworfen worden. Aber vor der «Curva Nord» mit viel Münz.
Haben die Lugano-Fans Sie reich gemacht?
Nein, ich hatte nichts davon. Die Schiedsrichter haben jeweils die Münzen aufgelesen und mitgenommen.
Hatten Sie eigentlich einmal ein Angebot von Lugano?
Nein.
Angenommen, Sie hätten eines bekommen – hätten Sie es angenommen?
Da ich keines bekommen habe, kann ich diese Frage nicht beantworten. Aber nein, hätte ich nicht.
Wie sind Sie eigentlich im Tessin gelandet?
Mein Vater hatte ein Job-Angebot aus Bellinzona. Deshalb sind wir aus Schaffhausen hierhin gezügelt, nach Sementina.
Können Sie eigentlich im Tessin dem Eishockey irgendwo entfliehen?
Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Ich bin ja Goalie-Trainer und bleibe nach einem Spiel oft noch lange in der Garderobe, um das Spiel zu analysieren. Wenn ich dann nach Hause gehe, ist niemand mehr da. Früher haben wir im Internazionale in Ambri gegessen und da ging es dann oft auch mit den Fans hoch zu und her. Aber diese Zeit der Romantik ist schon lange vorbei.
Wenn Sie irgendwohin gehen, dann sind sie aber immer noch Pauli Jaks, der Goalie?
Ich wohne in Bellinzona und brauche das Scheinwerferlicht nicht mehr. Ich lese gerne bei einem Kaffee gemütlich die Zeitung und werde nur noch selten angesprochen. Es war schön, wie es war und jetzt ist es schön, wie es ist.
Sie werden nicht mehr auf das Gegentor im Final angesprochen?
Nein, höchstens noch beim Tennisspiel von Kollegen.
Die Legende geht, dass Sie im Training gegen ihren Bruder Peter jedes Penalty-Duell gewonnen haben. Waren Penaltys Ihre Spezialität?
Ja, ich hatte Penaltys gerne, im ersten Jahr in Phoenix in der IHL gab es bei Unentschieden bereits die Penalty-Entscheidung und ich habe die ersten sieben Penaltyschiessen gewonnen.
Was macht den Goalie beim Penalty aus?
Geduld. Nicht die erste Bewegung machen.
Was gefällt Ihnen besser: das «grande Ambri», das um den Titel spielt, oder das «romantische Ambri», bei dem Niederlagen fast zum Kulturgut gehören?
Es ist schön, dass ich das «grande Ambri» als Spieler erleben durfte. Die Stimmung war gut und wir hatten viel Spass. Wir wussten immer, wenn wir im Rückstand waren, dass wir das Spiel früher oder später doch gewinnen können und wir haben nicht oft verloren. Aber ich finde es super, dass ich jetzt im Trainerteam um Luca Cereda im Zeitalter der Romantik – um Ihren Ausdruck zu verwenden – mithelfen darf, das Beste aus dem zu machen, was wir haben. Der Zusammenhalt ist einmalig. Es sagt sich so leicht, Ambri sei eine Familie. Aber es ist wirklich so. Zur Familie gehören alle, von den Helfern, vom Eismeister bis zu den Spielern und Trainern. Das ist sehr schön. Klar, es gibt schwierige Momente. Aber gemeinsam finden wir immer eine Lösung.
Haben Sie der alten Valascia eine Träne nachgeweint?
Ja, das habe ich. Ich hatte Tränen und ich hatte Gänsehaut, als vor dem ersten Spiel in der neuen Arena die Fans in einem Umzug von der alten Valascia hierhin marschiert sind. Es war so laut, dass ich während des ersten Spiels in der Gottardo-Arena Kopfschmerzen kriegte. Die Tränen kamen mir noch einmal, als ich während des ersten Spiels im neuen Stadion realisierte, dass es die alte Valascia nicht mehr gibt. Sie ist ein Teil meines Lebens. Ich habe dort meine ersten Spiele bestritten und ich habe dort auch meine Arbeit als Trainer begonnen. Die Kälte hat mich nie gestört.
Haben Sie bei «La Montanara» mitgesungen?
Fast immer.
Was war eigentlich ihre letzte Handlung in der alten Valascia?
Ich habe nichts mitgenommen. Ich hätte ja nicht gewusst, was ich mitnehmen soll. Die Valascia ist in meinem Herzen. Ich muss nur meine Augen schliessen und die Erinnerungen kehren zurück.
Sind Sie rückwärts oder vorwärts das letzte Mal aus der alten Valascia gegangen?
Ich habe noch einmal die Stehplätze hinter dem Tor aufgesucht und von dort aufs Eis hinabgeschaut. Dann bin ich vorwärts aus dem Stadion gegangen und habe ein letztes Mal zurückgeschaut. Es war ein berührender Moment.
Was bedeutet Ihnen die Leventina?
Die Leventina und das, was diese kleinen Dörfer hier geschafft haben, ist unglaublich. Die Leventina muss weiterleben. Es wäre sehr schade gewesen, wenn die neue Arena nicht hier gebaut worden wäre.
Aber Sie leben nicht in der Leventina.
Nein, ich lebte schon immer in Bellinzona.
Vielleicht wirkt deshalb Ambris Romantik umso stärker.
Ja, vielleicht. Ich bin kein Leventiner, aber ich bin sehr froh, dass die Leventina weiterlebt und dass ich hier arbeiten darf.
Sie kennen nicht nur die Wüste von Arizona und die Leventina. Sie kennen auch Sibirien.
Ende meiner letzten Saison in Ambri kam im Frühjahr 2004 das Angebot aus der höchsten russischen Liga. Aus Omsk. Erst hatte ich grosse Zweifel. Aber meine Kinder waren noch nicht schulpflichtig und dann wagten wir das Abenteuer. Madonna! Omsk in Sibirien! Wir kamen nicht in die Taiga. Vielmehr in eine Grossstadt. Wir hatten alles wie bei uns: eine Wohnung, Einkaufsmöglichkeiten. Luxus brauchten wir keinen. Die Leute waren sehr nett und haben uns geholfen. Die Kinder besuchten vom Frühstück bis halb fünf den Kindergarten. Dort sprach zwar niemand Englisch. Einmal habe ich sie abgeholt und als ich zum Kindergarten kam, hörte ich nichts. Ich machte mir schon grösste Sorgen. Als ich die Türe öffnete, sah ich, wie alle Kinder ins Spiel vertieft waren. Es hat gepasst.
Aber Sie kehrten trotzdem vor dem Saisonende heim.
Maxim Sokolow und ich teilten uns die Arbeit, wir hatten ein gutes Verhältnis und gute Statistiken. Aber dann gerieten wir in eine Krise und weil gerade NHL-Lockout war, wurden Geld und eine Ausländerlizenz gebraucht, um Jaromir Jagr zu verpflichten. Mein Vertrag ist von einem Tag auf den anderen aufgelöst worden und wir kehrten zurück in die Schweiz. Für mich war das schon ein Trost: Mit Jagr ersetzt zu werden.
Haben Sie in Russland mehr verdient als in Ambri?
Ja, aber nur hochgerechnet auf die ganze Saison.
Die Saison haben Sie nach der Rückkehr aus Omsk bei Langnau beendet. Wo ist nun mehr Romantik: in der Leventina oder im Emmental?
Diese Frage musste ja kommen: Die Romantik ist in der Leventina und Ambri bleibt Ambri. Aber Langnau ist ein schönes Dorf.
Was kommt der Seele Ambris näher? Das grande oder das romantische Ambri?
Das romantische Ambri. Weil der Zusammenhalt einfach unglaublich ist.
Sie haben mit Ambri gegen Magnitogorsk den Super Cup, in Berlin und Kosice zweimal den Continental Cup gewonnen. Würden Sie einen dieser Titel gegen einen Derby-Sieg tauschen?
Nein. Wir haben etwas gewonnen und hatten etwas zu feiern. Das sind wunderbare Erinnerungen, die für immer bleiben. Wie das Spiel in Los Angeles.
Und eigentlich ist es gut, dass Ambri noch nie Meister geworden ist.
Wie kommen sie darauf?
Wenn Ambri Meister wird, ist Ambri wie Lugano: ein Meister. Dann ist die Romantik dahin, dann gibt es keinen Traum mehr.
Nein, so ist es nicht. Meister zu werden, auch nur einmal, das wäre das Grösste. Vielleicht darf ich das in diesem Leben noch miterleben. Wer weiss.
Aus dem Fachmagazin «Slapshot».