Kurz die Fälle: Chris DiDomenico bringt am 5. November im Spiel SC Bern gegen die ZSC Lions (NL) bei einem Rencontre (Schlittschuh gegen Schlittschuh) den Schiedsrichter zu Fall. Drei Spielsperren.
Patrick Bandiera kollidiert am 2. November im Spiel Frauenfeld gegen Arosa (MyHockey League) mit dem Linienrichter. Im Spiel kassiert er keine Strafe. Aber hinterher, nach einem von Amateur-Schirichef Cedric Borga beantragten Verfahren, 14 Spielsperren. Das ist beinahe eine halbe Saison.
Die beiden Situationen sind vergleichbar. In beiden Fällen ist der Spieler auf die weiter entfernte Spielsituation konzentriert, er versucht, so schnell wie möglich dorthin zu gelangen, wo das Spielgeschehen stattfindet und kollidiert mit dem Schiedsrichter, der in einer Rückwärtsbewegung in seinen Laufweg gerät.
Die Bestrafung fällt völlig unterschiedlich aus. Patrick Bandiera wird fast fünfmal härter sanktioniert.
Wie kann das sein? Ganz einfach: Die Fälle der National League unterliegen der Gerichtsbarkeit des Profi-Einzelrichters. Jene der Amateurligen (ab MyHockey League abwärts) dem Amateur-Einzelrichter. Wichtig dabei: Die Regeln sind in der National League und bei den Amateuren genau gleich. Es ist das gleiche Spiel. Vor den Regeln sind also theoretisch alle gleich. Profis und Amateure. Aber nicht vor unserer Hockey-Justiz.
Der Hockeyrichter der Amateure – Patrick Bürgi – wertet die Aktion von Patrick Bandiera als «eine eventualvorsätzlich begangene körperliche Attacke gegen den Linienrichter». Also eine Inkaufnahme des Zusammenstosses. Er wertet die Aktion als Tätlichkeit gegen einen Offiziellen, die mit bis zu 15 Spielsperren geahndet werden kann. Er moniert in der Urteilsbegründung zudem: «Insbesondere der Umstand, dass sich Patrick Bandiera nach erfolgtem Kontakt mit dem Linienrichter in keiner Art und Weise um diesen gekümmert hatte bzw. nicht zumindest einen Blick zurückgeworfen hatte, zeigt, dass das Verhalten des fehlbaren Spielers eben nicht als fahrlässig zu qualifizieren ist, sondern zumindest als eventualvorsätzlich. Hätte es sich um einen ‹Unfall› oder eben um ein fahrlässiges Verhalten gehandelt, hätte sich der fehlbare Spieler mindestens kurz umgedreht, um sich zu vergewissern, dass dem Linienrichter nichts Gravierendes geschehen war.»
Das ist eine sehr theoretische, wenn nicht gar fragwürdige Interpretation einer Situation im schnellsten Mannschaftsspiel der Welt. Oder ist Patrick Bandiera vielleicht ein notorischer Bösewicht, dem jede Missetat zuzutrauen ist? Er hat bis zu diesem Vorfall in 12 Partien 8 Punkte produziert. Bei null – null! – Strafminuten.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Aktion von Patrick Bandiera gehört bestraft. Diese Debatte ist nicht zu führen. Aber 14 Spielsperren sind völlig unverhältnismässig. Gerade im Vergleich zu den drei Spielsperren von Chris DiDomenico. Und die Urteilsbegründung des Einzelrichters darf hinterfragt werden.
Vollends absurd ist der Fall Marino Miasani. Er touchiert am 29. Oktober in der Partie Hockey Huttwil gegen Arosa auf dem Weg zur Spielerbank mit der Schulter den Linienrichter (Szene am oberen Bildrand des Videos). Der Linienrichter kommt dabei nicht einmal zu Fall. Dafür kassiert Mariano Misani einen Restausschluss und im nachfolgenden Verfahren acht – acht! – Spielsperren.
Am Werk ist erneut Amateur-Hockeyeinzelrichter Patrick Bürgi. Er unterstellt einem Spieler, der bis dahin während der ganzen Saison noch keine Strafe kassiert hatte, in der Urteilsbegründung bei dieser Aktion Absicht. «Als Spieler Nummer 89 (Marino Misani) zur Spielerbank fuhr, berührte er den Linienrichter mit seiner Schulter absichtlich. Der Spieler Nummer 89 von Arosa hätte problemlos und ohne Berührung neben dem Linienrichter durchfahren können. Stattdessen entschied sich der Spieler bewusst, im letzten Moment eine absichtliche Bewegung in die Richtung des Linienrichters zu vollziehen und touchierte ihn an der Schulter. Der Linienrichter kam dadurch leicht aus dem Gleichgewicht. Ein solcher Kontakt mit einem Offiziellen ist nicht notwendig und hätte vermieden werden müssen.»
Wir fassen zusammen: Chris DiDomenico wird richtigerweise keine Absicht und auch kein Eventualvorsatz unterstellt. Deshalb die Minimalstrafe von drei Spielsperren. Den beiden Amateuren Patrick Bandiera und Marino Misani vom EHC Arosa wird hingegen gnadenlos Eventualvorsatz, ja sogar Absicht unterstellt. Um es nochmals zu sagen: Wir haben es hier in allen Fällen mit dem gleichen Sport zu tun. Mit den gleichen Regeln.
Das lässt nur einen Schluss zu: In der National League sind offensichtlich nur Gentlemen am Werk, die niemals Böses im Sinn haben. Die Amateure aber müssen wilde, raue, böse Kerle, denen alles Böse zuzutrauen ist, sein. Oder?
Der EHC Arosa geht in beiden Fällen in Revision und verlangt eine Neubeurteilung.