Die TV-Bilder sind klar und wahr: Dominik Kahun schubst in einem kurzen Aufflackern von Emotionen den Linienrichter. Punkt. Die Emotionen sind nicht gegen den Unparteiischen gerichtet. Er ist von Dmytro Timaschow gecheckt worden, rappelt sich wieder auf und sucht ein Techtelmechtel mit Ajoies neuem ausländischen Stürmer. Der Linienrichter stellt sich dazwischen, um solches Tun zu verhindern, und wird von Dominik Kahun geschubst.
Der angeklagte deutsche Nationalspieler sieht die Situation so: «Ich wollte einfach zum Gegenspieler, der mich nach dem Abpfiff absichtlich noch umgefahren hatte.» Er habe den Linienrichter zur Seite schieben wollen. «Ich habe wirklich kaum etwas gemacht oder hart geschubst.» Der Linienrichter sei wohl leider am Ajoie-Spieler hängen geblieben und so gestolpert. Kahun sagt:
Diese Schilderung des Delinquenten deckt sich mit den TV-Bildern. Er hatte insofern Glück, dass er wegen dieses Vergehens nicht in die Kabine geschickt wurde. Da die TV-Kamera alles sieht, ist nun nachträglich ein Verfahren gegen ihn eröffnet worden. Er ist ehrlich, sucht gar nicht erst nach einer billigen Ausrede und gibt zu, dass er geschubst hat. Aber schubsen geht nicht. Punkt.
Berücksichtigen wir sein «Vorleben» (was ja bei der Rechtsprechung im richtigen Leben der Fall ist), dann können wir allerdings nur zu einem Urteil kommen: Bedingter Freispruch ohne Sperre.
Er hat diese Saison noch keine einzige Strafminute abgesessen und blieb im letzten Frühjahr auch beim ruhmreichen Sturm mit dem deutschen Nationalteam in den WM-Final straffrei. Er hat kein hitziges Temperament, er ist weder Schlitzohr noch Provokateur. Im Aggressionsverhalten sicherlich dem Schaf näher als dem Wolf, und so wenig ein Raubein wie Günter Netzer ein Eisenfuss war. Ein Rückfall ist nicht zu befürchten und künftiges Wohlverhalten praktisch garantiert.
Aber eben: Er hat geschubst. Auch Schillerfalter mit untadeligem Ruf dürfen so wenig schubsen wie Schmetterlinge beissen.
In der Hockey-Rechtsprechung wirkt sich das «Vorstrafenregister» – anders als vor Gericht im richtigen Leben – in der Regel nie strafmildernd aus. Aber bei entsprechenden Einträgen strafverschärfend. Der gute Ruf hilft Dominik Kahun in diesem Fall nicht. Er muss mit zwei bis drei Spielsperren rechnen.
Das hat alles seine Richtigkeit. Die Schiedsrichter bedürfen im Eishockey des unverhandelbaren Schutzes. Auch deshalb, weil die Gefahr eines gezielten Angriffes auf ihre körperliche Integrität, getarnt als Versehen und garniert mit hundert Ausreden, erheblich ist.
Bei keinem anderen Sport begeben sich die Spielleiter in so grosse Gefahr. Sie sind mittendrin in einem teuflisch schnellen, unberechenbaren, intensiven Spiel, bei dem der Körperangriff im Rahmen der Reglemente erlaubt ist und die Aggressivität eine wichtige Rolle spielt. Ein Ausweichen durch Flucht vom Spielfeld (dafür wäre ein Sprung über die Bande erforderlich) ist praktisch unmöglich.
Die Spieler sind durch ritterähnliche Ausrüstungen geschützt und halten bei richtigem Verhalten härteste Checks aus. Die Schiedsrichter begeben sich hingegen mit einem weitgehend «leichten Tenü» unter die rauen, oft miteinander raufenden Männer. Und dazu kommt, dass die Refs ja – anders als die Spieler – nicht mit einem Angriff rechnen müssen. Eigentlich ist es fast ein Wunder, dass es nicht öfter zu Zusammenstössen kommt.
Es ist also richtig, dass die Schiedsrichter den höchstmöglichen Schutz durch die Regeln geniessen. Dazu gehört eine Bestrafung auch des kleinsten Zwischenfalles wie dem Schubser von Dominik Kahun. Damit die Farbe des Schiedsrichterdress für jeden Spieler die Wirkung eines Warn- und Stoppsignals hat. Nach dem Grundsatz: Achtung! Berührungen jeder Art sind so gefährlich wie das Anfassen einer nicht isolierten und geerdeten Starkstromleitung.