Zwei Ballberührungen brauchte Barcelonas Marc Guiu bei seinem Debüt für die Katalanen, um Bilbao-Torhüter Unai Simon zu bezwingen. Guiu – erst 17-jährig – ist die neuste Entdeckung der Barça-Nachwuchsakademie «La Masia», die bereits das 16-jährige Supertalent Lamine Yamal und vor gut 20 Jahren Lionel Messi aus dem Hut gezaubert hat – wobei «aus dem Hut zaubern» hier der falsche Ausdruck ist: hinter den Erfolgsgeschichten stecken jahrelange harte Arbeit und viel Verzicht.
Trotz grossem Einsatz reicht es den meisten jungen Talenten nicht bis ganz nach oben und selbst Marc Guius perfektes Debüt ist noch kein Garant für eine grosse Karriere. Wie watson letzte Woche berichtete, zeigte eine kürzlich veröffentlichte Studie, dass im untersuchten Zeitraum nur gerade 10,8 Prozent von den U17- und U18-Junioren auf internationaler Stufe später das internationale Level bei den Erwachsenen erreichten.
Der Skifahrer Marco Odermatt, der an der Juniorenweltmeisterschaft fünf Weltmeistertitel holte und die Rennen nun auch bei den Erwachsenen dominiert, ist also eher die Ausnahme als die Regel. Ein sehr viel wahrscheinlicherer Werdegang für ein junges Talent ist derjenige von Sead Hajrovic, der mit der U-17-Fussballnationalmannschaft den Weltmeistertitel holte, den Sprung nach Arsenal wagte und nach seiner Rückkehr auf Challenge-League-Niveau blieb.
Wie weit der Weg vom Supertalent zum Profifussballer ist, weiss auch Manuel Füglister, der mit seiner Agentur «Füglister Sports Management» junge Spieler berät. Füglister erzählt gegenüber watson, dass es von vielen Faktoren abhängt, ob ein Spieler den Sprung ins Profigeschäft schafft: «Neben dem Talent, das ein Spieler ohnehin haben muss, um in einem Leistungszentrum unterzukommen, braucht es auch Glück, dass man sich nicht verletzt und dass man sich weiterentwickelt. Man muss auch mental stark sein, sich gut ernähren und die nötige Unterstützung erhalten».
Doch auch wenn alles stimmt, ist das noch immer keine Garantie dafür, dass ein Spieler später einen Profivertrag unterschreiben kann: «Pro Jahrgang schaffen laut einer Studie des SFV durchschnittlich 15 Spieler den Sprung in den Profifussball», erklärt der Berater.
Zu bestimmen, welches Talent es zu fördern lohnt, wer es ganz noch oben schafft, ist ein schwieriges Unterfangen – auch deshalb, weil nicht nur biologische Faktoren, sondern auch psychosoziale Aspekte für den späteren Erfolg massgebend sind. Das ist auch der Grund, warum Füglister die Arbeit nur mit Spielern, die älter als 14 oder 15 Jahre sind, als sinnvoll erachtet: «Bei jüngeren Fussballern ist es eine Lotterie. Man weiss nicht, ob sie sich noch entwickeln oder ob sie sich einfach früh entwickelt haben und nachher stagnieren» erklärt er diesen Umstand.
Wenn Füglister über seine Klienten spricht, schliesst er auch immer deren Familie mit ein, da diese in der Entscheidungsfindung der minderjährigen Fussballer eine zentrale Rolle spielen. «Die Spieler hören natürlich auf den Rat der Eltern, deshalb ist es auch wichtig, die Eltern mit ins Boot zu holen.», meint der Aargauer Spielerberater. Eine Studie der Universität Bern in Zusammenarbeit mit dem SFV und dem BSC Young Boys anerkennt, dass die Familie «einen entscheidenden Baustein zum späteren sportlichen Erfolg» beitragen kann.
Wie die Familie ein junges Talent beeinflusst, zeigt ein etwas kurioses Beispiel: So haben Spieler ab einem gewissen Leistungsniveau statistisch gesehen häufig einen Bruder, der auch Fussball spielt – in der 1. Liga sind es rund 35 Prozent, auf Super-League-Niveau über 70 Prozent. Den Grund dafür sehen die Studienmacher darin, dass der (ältere) Bruder zugleich als Vorbild und Gegner dient, der die Talente herausfordern kann.
Laut der Studie der Universität Bern stehen Familien von talentierten Jugendlichen vor der Herausforderung, dem Sport eine zentrale Rolle einzuräumen und gleichzeitig den Blick für das Ganzheitliche, das Leben neben dem Sport, zu bewahren. Diese Ganzheitlichkeit ist auch für Füglister zentral: «Ich verstehe es, wenn ein Spieler nur Fussball im Kopf hat und es mühsam findet, daneben noch eine Ausbildung zu machen. Aber ein zweites Standbein zu haben ist enorm wichtig, damit er nicht mit leeren Händen dasteht, wenn es doch nicht klappt.»
Den Spielern dies klarzumachen, sei einerseits die Aufgabe seiner Agentur, aber vor allem der Eltern: «Schwierig ist es, wenn die Eltern wollen, dass das Kind ganz auf den Fussball setzt, ohne eine Ausbildung zu machen», erklärt er und fügt an, dass seine Agentur aus diesem Grund auch schon eine Zusammenarbeit mit einer Familie beenden musste. In diesem Fall, so Füglister, musste der Spieler den Traum auf die ganz grosse Karriere später begraben und stand Anfang 20 mit leeren Händen da. «Wir konnten ihn dann aber trotzdem noch unterstützen und ihm zu einer Lehrstelle verhelfen», erklärt Füglister und betont, dass die Spieler und die Familie nach jahrelanger Zusammenarbeit zu Freunden werden, die er auch auf persönlicher Ebene unterstützen möchte.
Und wie vermittelt man als Agentur einem Spieler, dass die grosse Karriere womöglich nur ein Traum bleiben wird? «Es ist extrem schmerzhaft, wenn man mit 20 plötzlich merkt: Ich habe so viel geopfert für nichts. Viele haben dann das Gefühl, einen Teil ihrer Jugend aufgegeben zu haben. Deshalb ist es wichtig, den Spieler von Anfang an auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass er sein Ziel nicht erreichen wird», sagt Füglister. Neben klarer Kommunikation legt der Berater auch grossen Wert darauf, einen Spieler in einem solchen Fall nicht fallen zu lassen, sondern ihn weiterhin dabei zu unterstützen, sich ein zweites Standbein aufzubauen.
Vergleicht man die Nachwuchsarbeit in der Schweiz mit der Nachwuchsarbeit in der Talentschmiede in Barcelona, wo die jungen Spieler schon früh auf ein Leben als Profi getrimmt werden, stellt sich die Frage, ob sich das Schweizer Mantra «zuerst macht man eine Ausbildung» nicht auch kontraproduktiv auf die Förderung von neuen Fussballtalenten auswirkt. Während einer Ausbildung sind die jungen Spieler einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt und haben weniger Zeit, um sich physisch und mental zu erholen.
Dass die Talentförderung je nach Land unterschiedlich angegangen wird und dass sich die Ausbildung, die in der Schweiz einen hohen Stellenwert geniesst, nicht nur positiv auf die Förderung auswirkt, sieht auf Füglister. Ihm ist es aber wichtiger, die Spieler auch auf das Leben neben dem Fussball vorzubereiten: «Wenn man sich nur auf den Fussball konzentriert und es dann doch nicht klappt, steht man als junger Mensch an einem sehr schwierigen Punkt.» Und der Berater fügt an, dass er froh sei, «dass die Vereine in der Schweiz die Ausbildung auch fördern».
Eine Institution, welche jungen Sportlerinnen und Sportlern die Möglichkeit bietet, Ausbildung und Training unter einen Hut zu bringen, ist die United School of Sports in Zürich. Die illustre «Hall of Fame» der Abgängerinnen und Abgänger zeigt, dass es durchaus möglich ist, eine Ausbildung zu machen und gleichzeitig auch im Sport erfolgreich zu sein: Manuel Akanji, Sven Andrighetto, Admir Mehmedi, Sina Frei, Amy Baserga sind nur einige Beispiele. Manchester-City-Verteidiger Manuel Akanji erklärte in einem Blogbeitrag für watson, dass ihm das Wissen, dass er auch über ein zweites Standbein verfügt, viel Druck nimmt.
Das Gespräch mit Füglister zeigt: Das Erkennen von Talenten, die es bis ganz nach oben schaffen, ist schwierig. Und doch gibt es Faktoren und Eigenschaften, die sich positiv auf die Entwicklung von Spielern auswirken. Will man ganz nach oben, so Füglister, braucht es eine grosse Portion Siegeswille. «Man muss immer gewinnen wollen, sich kontinuierlich verbessern wollen», meint er. Gleichzeitig braucht es eine gewisse Lockerheit, um sich nicht zu verkrampfen, aber «der Grat zwischen Ehrgeiz und Verkrampfung ist extrem schmal». Die Studie der Universität Bern deckt sich mit Füglisters Aussagen: Neben einer herausragenden Technik brauchen junge Talente auch viel Motivation, sich ständig weiterzuentwickeln zu wollen.
Füglister sieht gerade im mentalen Bereich einen wichtigen Pfeiler für den Erfolg: «Das Mentale muss stimmen. Deshalb arbeiten wir auch mit Mentaltrainern zusammen. Man muss den Fokus behalten, wissen, dass es auch abwärts geht, man muss das Selbstvertrauen haben, um die Leistung auf den Platz zu bringen. Es ist wichtig, sich da Hilfe zu holen».
Die Branche der Spielerberater geniesst keinen sonderlich guten Ruf und sieht sich oftmals mit dem Vorwurf konfrontiert, den finanziellen Aspekt über das Wohlergehen der Spieler zu stellen. «Teilweise zu Recht, teilweise zu Unrecht», findet Füglister und fügt an: «Wir wollen ehrlich und transparent sein und offenlegen, was wir verdienen, wenn er Profi ist.»
Füglister und sein Team verdienen erst dann an einem Spieler, wenn er seinen ersten Profivertrag unterschreibt. Arbeiten sie mit einem jungen Talent schon zusammen, wenn es 15 ist, kann es also vorkommen, dass sie drei Jahre lang «gratis» arbeiten. Dahinter steckt die Motivation der Firma, langfristige Beziehungen aufzubauen, die auf Vertrauen basieren: «Du kannst nur mit dem Vertrauen des Spielers und der Familie etwas Langfristiges aufbauen», erklärt Füglister das Vorgehen seiner Firma.
Und wenn es dann mal klappt mit dem Profivertrag, ja sogar mit dem Schritt ins Ausland, dann ist es für Füglister und seine Mitarbeitenden zentral, den Spieler gut zu kennen, denn ein Umzug in ein anderes Land, das Eintauchen in eine andere Kultur, fällt nicht allen leicht. «Jeder Spieler ist anders und es ist unsere Aufgabe, ein Team zu finden, das von der Spielphilosophie, vom Trainer und vom Umfeld her zu einer Person passt. Das Finanzielle ist dabei zweitrangig.»
Gleichzeitig gibt es da unschöne Geschichten, die ich mitgekriegt habe:
Jungen Fussballern in den Auswahlteams wurde eine Handelsschule (KV) bezahlt, damit sie keine Ausbildung suchen müssen. Als sie aber aus der Förderung ausschieden (rausgeworfen wurden), wurde die Schule nicht mehr bezahlt und die meisten Familien konnten das Schulgeld nicht alleine stemmen. Ziemlich daneben wenn man mich fragt. Am Ende standen diese Jugendlichen ohne Abschluss und Ausbildung da.
Zumal "Fussballprofi" ja noch lange kein Garant für ein Millionensalär ist.
Wer in Lausanne oder Yverdon kein absoluter Leistungsträger ist, der trägt einen Monatslohn eines normalen Kademitarbeiters einer Bank mit nach Hause.
Mit dem riesigen Unterschied, dass seine Karriere jederzeit - spätestens aber mit 35 vorbei sein wird.