Wenn Madeleine Boll über den Fussball der Frauen und die bevorstehende Europameisterschaft in der Schweiz spricht, ist ihre Begeisterung und Leidenschaft für den Sport sofort zu spüren. Mit viel Freude und voller Elan berichtet sie über ihre Geschichte und die Entwicklung des Fussballs der Frauen. Und die 71-Jährige hat eine Menge zu erzählen.
1965 war sie die erste lizenzierte Fussballerin der Welt. Weil die Walliserin vor einem Europacup-Spiel des FC Sion mit den C-Junioren spielen durfte, ging ihre Geschichte um die Welt. Dadurch bemerkte der Schweizerische Fussballverband (SFV) aber seinen Fehler und entzog Boll ihre Lizenz wieder. Damals durften nur Jungen Fussball spielen, für Mädchen sei es zu gefährlich, habe ein Arzt dem Verband attestiert. Als Trost erhielt die damals Zwölfjährige vom Verband einen Holzteller.
Vor diesem steht Boll 60 Jahre später im FIFA-Museum in Zürich. Der Teller ist Teil der Pop-Up-Ausstellung «Here to Play – The History of Women’s Football in Switzerland», welche die Geschichte des Frauenfussballs in der Schweiz zeigt und die für die Öffentlichkeit seit gestern Dienstag und bis am 17. August zugänglich ist. Direkt darüber ist das Maskottchen der EM 2025 zu sehen: «Maddli». Der Name ist eine Hommage an Pionierin Madeleine Boll, die sagt: «Diese beiden Objekte zeigen eigentlich meine ganze Geschichte.»
Boll liess sich vom Entscheid des SFV damals nicht unterkriegen. Sie habe erst viel geweint, doch dann hatte sie das Glück, dass in Lausanne jeweils mittwochs ein Schülerturnier stattfand, bei dem sie auch ohne Spielerlizenz mitspielen durfte – noch immer war sie das einzige Mädchen unter lauter Jungs. Zwei Jahre reiste sie dafür jeweils aus ihrem Heimatdorf Granges nahe Sierre nach Lausanne. Dann musste sie an diesem Tag aber den für Mädchen obligatorischen Haushaltskurs besuchen. Ein weiteres Hindernis für Bolls Wunsch, Fussball spielen zu können. Als Ersatz begann sie mit dem Laufen. Die Leichtathletik gefiel ihr, aber die Liebe zum Fussball war immer grösser.
So war es ein grosser Glücksfall, dass ein Tessiner Anwalt, der von ihrer Geschichte gehört hatte, ihre Familie im Namen eines italienischen Klubs kontaktierte und sie auf die Möglichkeit hinwies, in der neu gegründeten Liga für Frauen zu spielen. Dies tat sie dann auch – trainieren durfte sie aber weiterhin in Sion. Nur für die Spiele reiste sie nach Italien. Fünf Jahre spielte sie für Gomma Gomma Milano, das erste sei das schönste gewesen. Mit dem Team nach Rom, Neapel oder Turin zu reisen, teilweise gar mit dem Flugzeug. «Magnifique», schwärmt Boll.
Während ihrer Zeit in Italien ging es in der Schweiz voran – auch dank Boll und ihrem Vater. In Sion gründete sie gemeinsam mit drei anderen Mädchen den Klub, der später zum FC Sion Féminin wurde, der Vater war der Präsident. Beim ersten inoffiziellen Länderspiel der Schweizerinnen im Jahr 1970 lief sie selbstverständlich ebenfalls auf, und auch bei den ersten offiziellen Länderspielen ab 1972. Nach ihrer Karriere, die sie 1978 im Alter von 25 Jahren beendete, arbeitete sie sowohl beim Walliser als auch beim Schweizerischen Fussballverband, begleitete die Nationalteams der Frauen bis 2011 als Delegationschefin. Boll hat also die gesamte Entwicklung des Frauenfussballs in der Schweiz mitbekommen – und auch geprägt.
Welche Rolle sie dabei gespielt hat, wurde ihr aber erst mit der Zeit bewusst. Damals ging es ihr nur darum, Fussball spielen zu dürfen, wie sie immer wieder betont. Dass die Europameisterschaft nun in ihrer Heimat stattfindet, bezeichnet sie als «immenses Geschenk». Besonders, dass drei Spiele in Sion ausgetragen werden, macht sie stolz.
Viel über den Fussball der Frauen in der Schweiz weiss auch Prisca Steinegger zu berichten. Zwischen 1996 und 2008 absolvierte die Innenverteidigerin 55 Länderspiele und sagt nun: «Taktisch und technisch hat der Fussball eine Riesenentwicklung gemacht. Er ist fernsehtauglich geworden und dadurch hat sich auch das mediale Interesse deutlich vergrössert.» Auch in der Schweiz konnte das Niveau durch frühere Förderung und besseres sowie strukturierteres und häufigeres Training verbessert werden.
Nun hofft die 47-Jährige, dass der Effekt durch die EM noch einmal verstärkt werden kann. «Mein grosser Wunsch wäre, dass jedes Mädchen und jede Frau, die Fussball spielen möchte, das auch kann, entsprechend ihren Fähigkeiten gefördert wird und gross träumen darf», so Steinegger. Dafür brauche es jedoch die Infrastruktur und das Personal – also Trainerinnen, Schiedsrichter und Funktionärinnen. Dies sei gerade in der Schweiz der Knackpunkt. «Da sind wir am Limit, nicht nur bei den Mädchen. Ich hoffe, dass wir da bereit sind, wenn nach der EM hoffentlich noch mehr Frauen und Mädchen spielen wollen.»
Davon, was passieren muss, damit die Entwicklung des Frauenfussballs auch in der Schweiz weiter vorangetrieben und der Rückstand im Vergleich zu anderen Ländern aufgeholt werden kann, hat auch Madeleine Boll klare Vorstellungen: «Es muss noch mehr investiert und der Fussball professionalisiert werden. Wir verlangen von den Mädchen viel, unter anderem viermal die Woche zu trainieren. Deshalb müssen die Spielerinnen anständig bezahlt werden.»
Mit Blick auf die bevorstehende Heim-EM sieht Boll aber dennoch Chancen für das Schweizer Nationalteam. Norwegen sei wahrscheinlich das beste Team der Gruppe – das Gespräch fand vor der 0:1-Niederlage der Nati am Dienstag statt – doch seien Finnland und Island machbare Gegner. Ein Weiterkommen hält auch Prisca Steinegger für realistisch. Danach sei zwar alles möglich, «aber dann kommen eben auch die wirklich schwierigen Gegner». Wird die Schweiz Zweiter der Gruppe, droht Weltmeister Spanien, Bolls grosser Favorit.
Bei einem sind sich die beiden Ex-Nationalspielerinnen aber sicher: «Die EM wird ein grosses Fest.»