Der Frauenfussball in der Schweiz hat eine enorme Entwicklung hinter sich. Erstmals nimmt das Schweizer Nationalteam in Kanada an einer WM-Endrunde teil. Dank neuen Strukturen und der Professionalisierung der Nachwuchsförderung begann im Schweizer Frauenfussball ein regelrechter Boom, der bis heute anhält. Derzeit gibt es in der Schweiz rund 800 Frauenteams. Mittlerweile sind rund 26'000 Mädchen und Frauen in der Schweiz in einem Fussballverein aktiv. Das sind ungefähr gleich viele wie Männer hierzulande Eishockey spielen.
Parallel zur Quantität stieg auch die Qualität. Lara Dickenmann (29) übernahm eine Vorreiterrolle, indem sie als erste Schweizerin ins Ausland wechselte. Später zogen andere nach. Anfang 2012 übernahm die vierfache Europameisterin Martina Voss-Tecklenburg das Nationalteam der Frauen. Die 47-jährige Deutsche konnte ihre Siegermentalität auf das Team übertragen und führte die Schweiz in der Weltrangliste bis auf Rang 19. Mit einer beeindruckenden Bilanz von neun Siegen und einem Unentschieden aus zehn Spielen und einem Torverhältnis von 53:1 qualifizierten sich die Schweizerinnen für die WM.
Dass den 23 Schweizerinnen dank der Turnierteilnahme gleich der grosse Geldsegen winkt, davon können sie nur träumen. Ihre Nationaltrainerin erhielt 1989 beim Gewinn des ersten EM-Titels mit Deutschland als Spielerin gerade mal ein Tafelservice als Prämie. Heute schüttet die FIFA auch an der Frauen-WM schon beachtliche Prämien aus. Zu vergleichen sind die Beiträge mit denjenigen der Männer jedoch nicht. Bei der WM 2014 in Brasilien verteilte der Weltverband insgesamt 358 Mio. Dollar an die 32 Teams – alleine Weltmeister Deutschland erhielt 35 Millionen.
Bei den Frauen ist alles mehrere Nummern kleiner. Für die Vorbereitung war der Schweizer Fussballverband (SFV) selbst besorgt. Mitunter ein Grund, warum die Schweizerinnen in der Economy Class nach Vancouver flogen. Zwar wurden die Siegprämien im Vergleich zur Frauen-WM vor vier Jahren verdoppelt, die 24 Teilverbände müssen sich dennoch mit gesamthaft 15 Mio. Dollar begnügen. Dem Weltmeister winkt eine Prämie von 2 Millionen. Für eine Achtelfinal-Qualifikation gäbe es für die Schweizerinnen eine Entschädigung von 500'000 Dollar. Dieser Vorstoss in die K.o.-Runde ist für die Schweizerinnen durchaus machbar. Die besten zwei Teams jeder Gruppe und die besten vier Drittplatzierten kommen weiter.
Mit einem Altersdurchschnitt von 25 Jahren gehört das Schweizer Team zu den jüngeren des Turniers. Mit Ecuador (FIFA-Ranking: 48.) und Kamerun (53.) trifft die Schweiz in der Gruppenphase auf zwei unbekannte Gegner, die ebenfalls zum ersten Mal an einer WM-Endrunde teilnehmen. Zum Auftakt wartet mit Titelverteidiger Japan (4.) gleich ein echter Prüfstein.
Wie gegen die Südamerikanerinnen und die Afrikanerinnen haben die Schweizer Frauen auch gegen Japan bisher noch kein Länderspiel bestritten. Trotzdem wird Voss-Tecklenburg ihre Equipe optimal auf den Gegner einstellen. Seit 2011 verfolgt sie die Japanerinnen intensiv. «Es ist unser allererstes WM-Spiel. Wir haben absolut nichts zu verlieren», versucht sie Druck von ihrem Team zu nehmen.
Um der weltweit rasanten Entwicklung des Frauenfussballs Rechnung zu tragen, hat die FIFA entschieden, das Teilnehmerfeld für die WM in Kanada von 16 auf 24 Teams aufzustocken. Gespielt wird in den sechs Spielorten Edmonton, Moncton, Montreal, Ottawa, Winnipeg und Vancouver.
Heisser Anwärter auf WM-Gold ist Deutschland. Ein Jahr nach dem Triumph der deutschen Männer in Brasilien wollen es die Frauen ihnen gleich tun und nach 2003 und 2007 den dritten WM-Titel einfahren. Auch die USA zählen zu den grossen Favoriten. Als Titelverteidiger tritt Japan an. Weitere Kandidaten für den WM-Thron sind Gastgeber Kanada, Brasilien, Schweden, Frankreich und Norwegen.
Im Vorfeld des Turniers sorgte der FIFA-Entscheid, die WM erstmals auf Kunstrasen auszutragen, für Diskussionen. Zahlreiche Top-Spielerinnen aus verschiedenen Nationen haben deswegen eine Klage eingereicht. Der Untergrund fördere die Verletzungsgefahr und sei zudem «zweitklassig, diskriminierend und illegal», hiess es in der Anklageschrift. Anfang Jahr zogen die Spielerinnen die Klage zurück.
Das SRF ist bei 18 Spielen live dabei und zeigt alle Schweizer Spiele. Aufgrund der Zeitverschiebung beginnen die Partien in der Schweiz jedoch erst spät am Abend oder nach Mitternacht. Acht Journalisten schickt SRF nach Kanada. Den Kommentatoren stehen Kennerinnen des Frauenfussballs zur Seite: Kathrin Lehmann (langjährige Schweizer Nationaltorhüterin), Inka Grings (zweifache Europameisterin mit Deutschland) und Marisa Brunner (einstige Schweizer Nationaltorhüterin). (ram/si)