Um die Bedeutung von Christian Streich für den SC Freiburg zu begreifen, muss man sich nur mal die Verabschiedung des 58-Jährigen bei seinem letzten Heimspiel als Trainer der Breisgauer anschauen. Minutenlang applaudierten die Fans dem Trainer auf seiner Ehrenrunde, viele davon hatten Tränen in den Augen, auch ein Transparent mit dem Abbild von Streich und seinem Co-Trainer Patrick Baier hatten sie vorbereitet. Sprechchöre hallten durchs Stadion und sogar die Anhängerschaft von Gast Heidenheim verabschiedete sich mit einem Spruchband von Streich.
Danke Christian Streich! Danke Patrick Baier! ❤️🥲 pic.twitter.com/BctJ8d3laA
— SC Freiburg (@scfreiburg) May 11, 2024
Die Hälfte seines bisherigen Lebens – 29 Jahre, davon 12 als Cheftrainer – hat Streich dem Sport-Klub im Südwesten Deutschlands gewidmet. Auch beim Abstieg in dessen dritter Saison hielt der Klub an Streich fest, was sich als goldrichtig herausstellte. Heute Nachmittag (15.30 Uhr) begeht er bei Union Berlin sein letztes Spiel als Trainer. Während seiner Amtszeit ist Streich fast synonym mit dem SC Freiburg geworden, seine sympathische Art passte perfekt zu diesem kleinen Klub, der sich mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln in der oberen Tabellenhälfte der Bundesliga etabliert hat.
Aufgrund dessen wurde Streich vor allem in Freiburg verehrt. In den letzten Wochen bekam er so viel Geschenke, dass er gar davon sprach, «froh zu sein, wenn es vorbei ist». Die Leute hätten für ihn gebacken, gebastelt, geschneidert, doch das sei «viel zu viel der Ehre» gewesen, findet Streich. «Wenn du so viel Zuspruch bekommst, hast du das Gefühl: ‹Wissen die Leute eigentlich, wer ich bin?› Du fühlst dich ein Stück weit wie ein Hochstapler und kannst dem allen gar nicht gerecht werden», sagte er.
Abschied einer Legende! 😢👋 Christian Streich verabschiedet sich bei seinem letzten Heimspiel als Trainer des SC Freiburg. Emotionale Worte für die Fans: "Dankeschön für euer Herz, eure Liebe und eure Leidenschaft." ❤️🖤 pic.twitter.com/kGeHajplie
— Sky Sport CH (@SkySportCH) May 12, 2024
Streich erfreut sich aber nicht nur in Freiburg grosser Beliebtheit, sondern verfügt deutschlandweit über ein hohes Ansehen. Im ZDF-Sportstudio wurde er mit Standing Ovations begrüsst, was den bescheidenen Badener zwar freute, ihm aber sichtlich unangenehm war. Ebenso wie die Tatsache, dass Joachim Löw ihn als Legende bezeichnet hat. Streich nimmt solche Komplimente ungern an und spricht auch nicht gern über seine Erfolge, zu denen immerhin ein DFB-Pokalfinale sowie mehrere Teilnahmen am Europacup gehören.
Wollt ihr mal sehen, was Haltung und Bescheidenheit im Sport wie in der Gesellschaft einbringen können? Bitteschön: Die Begrüßung von Christian Streich im #Sportstudio. pic.twitter.com/6q20X2Wjje
— Nico Ernst (@Golemiker) May 4, 2024
Es sind auch nicht nur diese Erfolge oder seine hervorragende Arbeit, die ihn ausmachen. Streich ist ein Menschenfänger, Spieler und Fans mögen ihn gleichermassen. «Danke für die Jahre voller Leidenschaft, Haltung und Demut», stand auf dem Spruchband vor der Freiburger Kurve am letzten Wochenende. Dafür wird Streich nämlich ebenso geschätzt wie für seine Errungenschaften als Trainer: Er scheut nicht davor zurück, klare Kante zu zeigen.
Als im Januar landesweite Proteste gegen die AfD stattfanden, bezog er deutlich Stellung gegen die rechtspopulistische Partei. «Wer jetzt nicht aufsteht, der hat nichts verstanden. Das steht ausser jeder Frage. Es ist fünf Minuten vor zwölf», sagte er dort unter anderem. Jeder sei aufgerufen, sich ganz klar zu positionieren gegen eine «autoritäre, rechts-nationalistische Gruppe». Schon zuvor forderte er im Kicker-Interview, dass die Hetzer in diesem Land benennt werden: «Wir müssen der AfD die Stirn bieten.» Es war nicht das erste Mal, dass sich Streich politisch äusserte und sich gegen Rassismus oder Homophobie stellte.
Aus diesem Grund wird Christian Streich dem Fussball fehlen. Weil er authentisch ist. Eine Identifikationsfigur, die auch über den Tellerrand hinaus blickt. Und weil er sich selbst und seinem Verein immer treu geblieben ist. Auch im Abschied, dessen Zeitpunkt er sich selbst aussuchte und er schon im März verkündete. Nach seinem letzten Spiel möchte er erst einmal etwas Abstand gewinnen. Dinge tun, für die er als Trainer keine Zeit hatte. Eine Rückkehr ins Fussballgeschäft schloss er aber nicht aus. Dass es dazu kommt, wäre dem Fussball zu wünschen.