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WM 2014

Hitzfeld verzichtet auf die grossen Experimente – eine kleine Überraschung hat er aber trotzdem bereit

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Bild: EPA/KEYSTONE
Keine Überraschungen beim WM-Aufgebot

Hitzfeld verzichtet auf die grossen Experimente – eine kleine Überraschung hat er aber trotzdem bereit

Um 11 Uhr lüftete der Schweizer Nationalcoach sein Geheimnis mit der Preisgabe des WM-Kaders. Der Lörracher blieb seiner Philosophie treu und setzt auf bewährte Kräfte. Nur eine kleine Überraschung hatte Hitzfeld in petto.
13.05.2014, 15:4113.05.2014, 16:45
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Der Schweizer Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld hätte die Möglichkeit gehabt, zuerst ein 30-Mann-Kader zu bestimmen, wie es beispielsweise sein Berufskollege Jogi Löw gemacht hat. Später hätte er seinen Kader noch immer um sieben Spieler kürzen können. Doch der 65-Jährige machte von dieser Option keinen Gebrauch und berief gleich sein fixes 23-Mann-Kader, welches nach Brasilien reisen wird. So hat es Hitzfeld schon bei der WM 2010 in Südafrika gehandhabt. Das Stichdatum der FIFA für das definitive Kader wäre erst der 2. Juni gewesen.

«Ich will im Training keine unnötige Unruhe. Klar würde ein grösseres Kader den Konkurrenzkampf schüren, aber die Spieler verfügen bereits über genügend grosse Motivation. Ausserdem würde es in den Medien ständig Spekulationen geben.»
Ottmar Hitzfeld auf die Frage, wieso er nicht zuerst ein 30-Mann-Kader nominiert

Die Auserwählten

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Das definitive WM-Kader
Tor: Diego Benaglio, Yann Sommer, Roman Bürki
Verteidigung: Stephan Lichtsteiner, Fabian Schär, Ricardo Rodriguez, Michael Lang, Johan Djourou, Philippe Senderos, Steve Von Bergen, Reto Ziegler
Mittelfeld: Gökhan Inler, Xherdan Shaqiri, Valentin Stocker, Valon Behrami, Tranquillo Barnetta, Blerim Dzemaili, Granit Xhaka, Gelson Fernandes
Sturm: Josip Drmic, Mario Gavranovic, Haris Seferovic, Admir Mehmedi  
Pikett: Marvin Hitz, Timm Klose, Silvan Widmer, Eren Derdiyok, Fabian Frei, Pajtim Kasami, Pirmin Schwegler
«Die Auswahl war wie immer schwierig, es ist nie einfach eine Auswahl zu treffen. Es gab viele Angeschlagene, viele Verletzte, doch zum Glück haben sie sich rechtzeitig verletzt. Ich gehe davon aus, dass alle an der WM spielen können.»
Hitzfeld an der Pressekonferenz

Die Torhüter

Diego Benaglio ist unumstrittener Stammtorwart und hütet seit der EM 2008 den Schweizer Kasten. In Wolfsburg ist der 1,94 Meter grosse Hüne seit sechs Jahren Stammkraft und inzwischen sogar Captain. Yann Sommer, der beim FC Basel auf hohem Niveau konstant seine Klasse beweist, hat sich zum Ersatztorwart gemausert. Als im letzten Jahr Benaglio gesperrt war, kam im WM-Qualifikationsspiel gegen Zypern nicht die designierte Nummer 2, der heuer verletzte YB-Torwart Marco Wölfli, sondern Sommer. Roman Bürki schliesslich hat einen grossen Anteil am Höhenflug der Grasshoppers, welche die Saison (höchstwahrscheinlich) zum zweiten Mal als Vizemeister beenden werden.

Doppelt gemoppelt hält besser

Bei der Nominierung hielt sich Hitzfeld an bewährte Muster und ein Prinzip, welches der studierte Mathematiker für «sehr wichtig» hält: «Alle Positionen müssen doppelt besetzt sein», so ein gut gelaunter Hitzfeld an der heutigen Pressekonferenz. 

Die Verteidiger 

Dieses Prinzip half Wackelkandidat Reto Ziegler, sich einen Platz im Kader zu ergattern. Der beim italienischen Verein Sassuolo engagierte Linksverteidiger ist somit erste Alternative bei einem Ausfall von Stammspieler Ricardo Rodriguez. Der ehemalige Bayern-München-Trainer verwarf somit die Option, einen zusätzlichen Mittelfeldspieler aufzubieten und geht mit acht Defensivkräften ins Rennen.

«Reto Ziegler durch eine Offensivkraft zu ersetzen, war eine Überlegung. Aber was ist, wenn sich Rodriguez im ersten Spiel verletzt? Fernandes wäre eine Idee, aber es geht um die WM, da hat es keinen Platz für Experimente. Offensive Spieler haben wir genug, da kann man gut eine Defensivkraft mitnehmen.»
Hitzfeld zu Reto Ziegler
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Bild: Insidefoto

Die Aussenverteidigerpositionen sind mit Stephan Lichtsteiner (Ersatz Michael Lang) und Riccardo Rodriguez (Ersatz Reto Ziegler) auf sehr gut besetzt. In der Innenverteidigung hat Steve Von Bergen seinen Platz auf sicher. Der Romand ist zwar bei seinem Klub YB nicht auf sein gewohntes Leistungsniveau gekommen, bei der nationalen Auswahl lieferte Von Bergen in der Qualifikation jedoch keinen Grund für Fehl und Tadel. 

Neben ihm dürften sich wohl Johan Djourou und Fabian Schär um den Platz neben Von Bergen streiten, wobei Schär die besseren Chancen eingeräumt werden dürften, da der Basler doch weniger ein Sicherheitsrisiko ist als der Hamburger. Ausserdem ist Schär wesentlich torgefährlicher als Djourou. Hinten anstellen muss sich der ehemalige Leader, Philippe Senderos, der zu oft verletzt war und in den letzten Jahren bei seinen zahlreichen Vereinen öfters die Bank drücken musste.

Das Mittelfeld

Die grosse Frage war, ob einer aus dem Trio Fabian Frei/Pajtim Kasami/Pirmin Schwegler die Chance erhält, sich für einen WM-Einsatz aufzudrängen. Doch Hitzfeld, der nach der WM von der grossen Fussballbühne abtritt, möchte in Brasilien «keine Experimente machen», wie er offen kundtut.

Vor allem auf den zwei Sechser-Positionen hatte Hitzfeld die Qual der Wahl. «Im Mittelfeld war es schwierig, auf Pirmin Schwegler zu verzichten, doch ich habe auf Bewährtes gesetzt. Die Mannschaft hat sich zu einer Einheit geformt.» Pirmin Schwegler hat unter Hitzfeld erst im Testspiel vor zwei Monaten gegen Kroatien eine Halbzeit lang seine Klasse unter Beweis stellen dürfen, realistischerweise zu wenig, um sich Hoffnungen zu machen. 

Auch Fabian Frei, der wohl polyvalenteste Schweizer Spieler überhaupt, fiel dem Überangebot defensiver Mittelfeldspieler zum Opfer. «Fabian Frei spielt beim FC Basel eine tolle Saison. Die Nichtberücksichtigung ist kein Entscheid gegen ihn. Ich hätte keine Bedenken, bei einer allfälligen Vakanz auf ihn zurückzugreifen.»

Wird in der U-21 zum Einsatz kommen: Pajtim Kasami.
Wird in der U-21 zum Einsatz kommen: Pajtim Kasami.Bild: KEYSTONE

Viele Experten hätten sich gewünscht, dass Fulham-Söldner Pajtim Kasami auf den WM-Zug aufspringen darf. Im Gegensatz zu Stammduo Inler/Behrami hat der junge Puncher wesentlich mehr Zug zum Tor und wäre auch eine Alternative für Granit Xhaka gewesen, der bei Gladbach im Gegensatz zur «Nati» gewöhnlicherweise nicht hinter den Spitzen spielt. Hier leistete unter anderem Fulham-Trainer Felix Magath seinen Beitrag zur Nichtnomination, indem der deutsche Trainer Kasami im Abstiegskampf nicht oft spielen liess.

«Auch Kasami kam nicht oft zum Einsatz in letzter Zeit, deshalb gehört er nur zum Ersatzkader», so Hitzfeld zur Personalie Kasami. Blerim Dzemaili bleibt wohl wie bei Napoli nur die Rolle als erster Ersatz für seine Klubkollegen. Gelson Fernandes, auch er bei Freiburg in dieser Spielzeit auf vielen Positionen eingesetzt worden, darf sich freuen, dass seine jahrelange Zugehörigkeit zum Nati-Kader mit einem Flugticket nach Brasilien belohnt wurde.

Steven Zuber, der beim russischen Spitzenklub ZSKA Moskau regelmässig zum Einsatz kommt, hat noch keinen Ernstkampf in der A-Auswahl bestreiten dürfen. Daher war die Nichtnomination zu erwarten gewesen.

Ein Fragezeichen steht einzig noch hinter Tranquillo Barnetta. Dieser hat vor kurzem einen Muskelfaserriss erlitten. Am 25. Mai stehen in Magglingen einige Tests für die 23 Spieler an, dort wird man sehen können, ob der Flügel bereit ist für das Mannschaftstraining, welches am Tag danach beginnt.

Der Sturm

Admir Mehmedi und Jospi Drmic haben mit ihren Toren die Bundesliga aufgemischt. Mario Gavranovic hat den FC Zürich zum Cupsieg geschossen und hat nach einem Tief in Herbst seine Klasse im letzten halben Jahr wieder aufblitzen lassen. So war nur spannend, ob Eren Derdiyok oder Haris Seferovic zum Handkuss kommen würde. Haris Seferofic machte das Rennen, obwohl in den letzten Spielen im Klub Derdiyok öfters zum Einsatz kam. Hitzfeld gibt jedoch Seferovic den Vorzug. 

«Ich habe die Nationalmannschaftsaufgebote der letzten zehn Spiele angeschaut, sieben Mal hat Seferovic von Anfang an gespielt, Derdiyok nie. Das zählt für mich. Nur weil Derdiyok in den letzten Ligaspielen zum Einsatz kam, ist es kein Grund, ihn anstelle von Seferovic mitzunehmen.»
Die Begründung für den Entscheid Pro-Seferovic 
Seferovic erzielte das goldene Tor im WM-Quali-Spiel gegen Zypern.
Seferovic erzielte das goldene Tor im WM-Quali-Spiel gegen Zypern.Bild: KEYSTONE

Doch noch eine kleine Überraschung

Auf der Pikettliste befindet sich neben den erwähnten Frei, Kasami, Schwegler und Derdiyok auch noch der Augsburger Hitz und Wolfsburgs Klose. Beim Überraschungsteam Augsburg stand Hitz immer im Kasten, wenn er fit war. Klose hingegen hat nicht häufig seinen Millionentransfer (von Nürnberg) rechtfertigen dürfen. Die grösste Überraschung ist somit Silvan Widmer, der bei Udinese nach Startschwierigkeiten eine tolle Saison spielt. 

Achtelfinale, Emotionen im Griff, Ferien, Flüssigkeitsverlust 

«Wir wollen ins Achtelfinal», so Hitzfeld an der Pressekonferenz zum Ziel befragt. «Danach wollen wir für einige Überraschungen sorgen. Wir müssen fähig sein, in verschiedenen Klimazonen unsere Leistungen zu bringen. In Manaus beispielsweise erwartet unsere Spieler einen Flüssigkeitsverlust von bis zu fünf Litern. Generell erwarte ich, dass wir gute Repräsentanten der Schweiz sind. Dazu zähle ich Auftreten, Disziplin, Fairplay. Wir wollen weniger Gelbe Karten kassieren. Dass wir unsere Emotionen nicht im Griff hatten, brach uns ins Südafrika das Genick.»

Hitzfeld zu den Reservisten: «Die Spieler, welche auf Pikett sind, dürfen alle in die Ferien. Sie bekommen jedoch einen individuellen Trainingsplan. Sie wissen, dass schnell etwas passieren kann und sie bereit sein müssen.»

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Bild: AP/AP

Stärker als bei der letzten WM?

Hitzfeld über sein WM-Kader: «Natürlich kann man nicht die Spieler einzeln vergleichen. Gesamthaft denke ich jedoch, dass wir stärker sind als vor vier Jahren. Wir haben spielerisch Fortschritte gemacht, speziell mehr Kreativität in der Mannschaft und einen tollen Zusammenhalt. Dies sind gute Voraussetzungen, um als Team erfolgreich zu sein.»

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