Entweder erklärt sich Griechenland bis am Freitag bereit, das ihm auferlegte Sanierungsprogramm zu erfüllen – oder der Geldhahn wird zugedreht. Dieses Ultimatum hat Jeroen Dijsselbloem, niederländischer Finanzminister und Präsident der Eurogruppe seinem griechischen Amtskollegen Yanis Varoufakis vor die Nase geknallt. Erleichterungen seien allenfalls in bisher nicht bekannten Details zu erwarten.
Dijsselbloem ist ein bekennender Marktfundamentalist, der mit harter Hand und strengen Prinzipien den griechischen Augiasstall ausmisten will. Das lässt sich mit markigen Worten vor der Presse und TV-Kameras gut verkaufen. In der Praxis hat dieses Vorgehen total versagt.
Das Sanierungsprogramm der Troika ist ein Desaster auf Stelzen. Es hat dazu geführt, dass die griechische Volkswirtschaft um rund ein Viertel eingebrochen ist. Die Arbeitslosenzahlen sind derweil in unhaltbare Sphären gestiegen und der Mittelstand droht zu verarmen. Trotzdem will die Troika an diesem Programm festhalten.
Zynisch wird dabei von einer «Ausweiten-und-so-tun-als-ob»-Strategie gesprochen, auf Neudeutsch auch «Extend and Pretend» genannt. Das bedeutet im Klartext: Alle wissen, dass dieses Sanierungsprogramm keinerlei Aussicht auf Erfolg hat, aber aus Prinzip trotzdem durchgezogen wird. Regeln müssen schliesslich eingehalten werden, selbst wenn sie offensichtlich sinnlos geworden sind.
Es gibt kaum einen angelsächsischen Ökonomen von Rang und Namen, der in den letzten Tagen nicht nachhaltig vor den Folgen eines Grexit gewarnt und die Troika aufgefordert hätte, einen fairen New Deal mit der neuen griechischen Regierung abzuschliessen. Es geht also nicht um links oder rechts, es geht um die Zukunft Europas, und zwar wirtschaftlich und politisch.
Die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Grexit sind kaum abschätzbar, auch wenn man in Brüssel und Frankfurt betont, man habe das Problem viel besser im Griff als noch vor vier Jahren. Politisch hätte es zur Folge, dass sich die Griechen in ihrer Verzweiflung hilfesuchend an Russland und China wenden und damit einen weiteren Keil in die ohnehin schon bröckelnde europäische Einheit treiben würden.
Ein grosses Problem in der Bewältigung der griechischen Schuldenkrise ist das Fehlen eines vernünftigen Konkursrechtes in Europa. In den USA hat die Finanzkrise ebenfalls Pleiten und riesige Schäden verursacht. Doch die Amerikaner gehen damit pragmatisch und nicht moralisch um. Wenn einmal klar ist, dass ein Schuldner seine Schuld nicht mehr abtragen kann, dann werden die Schulden rasch restrukturiert, weil die Einsicht besteht, dass dies allen Beteiligten am meisten bringt.
Im Fall von Griechenland fehlt diese Einsicht total, obwohl selbst meine Katze inzwischen begriffen hat, dass Hellas seine Schulden niemals wird bezahlen können und dass die Prinzipienreiterei nur weiteren Schaden erzeugt. Im Norden, vor allem in Deutschland, will man an Griechenland ein Exempel statuieren. Dabei geht es ums Prinzip, und darüber lässt man nicht mit sich diskutieren.
Typisch dafür ist die Haltung von Jürgen Stark, des ehemaligen Chefökonomen der Europäischen Zentralbank, die er aus Protest wegen der zu milden Politik gegenüber Griechenland verlassen hat. In der «Financial Times» hat der Deutsche unmissverständlich dargelegt, dass sein Land keinerlei Schuld an irgendetwas trage und deshalb auch keine Kompromisse eingehen könne.
«Wahr ist, dass Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der Eurozone eine verlässliche und vernünftige Politik verfolgt hat», stellt Stark fest. «Während andere über ihre Verhältnisse gelebt haben, hat Deutschland Exzesse vermieden. Es gibt nun mal tiefe kulturelle Unterschiede, und die Währungskrise fördert sie wieder zutage.» Mit anderen Worten: Wir sind wieder bei den fleissigen, tugendhaften Deutschen und den faulen, verschwenderischen Griechen angelangt.
Auch die griechischen Politiker gehen teilweise ungeschickt vor. Der Verweis auf den Zweiten Weltkrieg und daraus abgeleitete Reparationszahlungen ist falsch und politisch kontraproduktiv. Die aktuelle Generation der Deutschen hat – zu Recht übrigens – die Nase gestrichen voll, permanent an die Nazi-Verbrechen ihrer Vorfahren erinnert zu werden.
Der Zweite Weltkrieg ist zudem der falsche Vergleich. Nach dem Ersten Weltkrieg befand sich die Deutschen ironischerweise in einer teilweise vergleichbaren Situation. Damals wurde ihnen von den Siegermächten ebenfalls ein absurdes Schuldenprogramm auferlegt, und vor allem die Franzosen fanden grosses Vergnügen daran, den wirtschaftlichen Schmerz mit moralischen Belehrungen anzureichern. Das Resultat ist bekannt: Ökonomische Unvernunft und moralische Prinzipienreiterei mündeten in Faschismus und schliesslich im verheerendsten Krieg aller Zeiten.
Ich habe mich kürzlich beim Lesen der NZZ riesig aufgeregt, dort schreiben markthörige Prinzipienreiter denselben Seich den Dijsselbloem und Merkels Kabinett rauslässt. Es ist als ob diese Marktfundamentalisten den Kopf in ein Loch im Boden strecken und stämpfeln, weil die Welt nicht so ist, wie sie gemäss ihren weltfremden Wirtschaftsmodellen sein müsste.