Herr Guéniat, in Alstätten SG schossen am Montag zwei Schweizer in einer doppelt vermauerten Industriehalle zwischen tausenden Hanf-Pflanzen zwei Männer nieder. Eine neue Qualität der Gewalt im Schweizer Drogenmilieu?
Olivier Guéniat: Ganz neu ist die nicht. Seit Anfang 2000er Jahre hat sich sich der Indoor-Hanfhandel in der Schweiz professionalisiert und die Gewalt nahm stetig zu. Das Geschäft ist extrem lukrativ, das «grüne Gold» muss beschützt werden, wenn nötig mit Videoüberwachung, Hunden oder eben Waffengewalt. In Altstätten ging es wahrscheinlich um Geld. Es geht fast immer um Geld.
Was für Geld?
Entweder ging es um Schulden oder um Preisstreitigkeiten. Die Cannabis-Züchter sind auf gute Stecklinge angewiesen. Wer die hat, kann die Preise bestimmen. Das gefällt nicht allen. Oder es ging um Schutzgeld. Der Schweizer Cannabis-Handel hat gewalttätige, teilweise mafiöse Strukturen entwickelt.
Wir haben es im Cannabis-Bereich mit organisiertem Verbrechen zu tun?
Ja, ganz klar. Traditionellerweise waren viele Schweizer im Cannabis-Geschäft tätig. Sie wurden vom Konsumenten zum Anbauer und dann zum Verkäufer. Die Nachfrage war gross, das Geld stimmte. Da es praktisch unmöglich ist, Cannabis in die Schweiz zu importieren, bot sich die Eigenproduktion an.
Und dann?
Seit ein paar Jahren kamen aggressivere Player an mehr Marktmacht. Hier lebende Secondos, deren Familien aus Ex-Jugoslawien in die Schweiz eingewandert sind, witterten das Geschäft – Bosnier, Serben, Kosovaren, aber auch Spanier und Portugiesen oder Holländer. Diese neuen Hanfzüchter bringen einen anderen Hintergrund mit, haben teilweise den Krieg und Kokain-Heroin-Handel erlebt. So wurde die Konkurrenz härter, die Strukturen wurden professioneller und die Gewalt nahm zu.
Wie funktioniert der Cannabis-Handel in der Schweiz?
Die Verteilung organisieren Zwischenhändler. Die Dealer auf der Strasse sind – insbesondere in der Romandie – oft Leute aus dem Maghreb oder andere Kandidaten mit prekärem Sozialstatus. Ihnen wird der Aufstieg auf eine höhere Stufe nicht erlaubt. Der Indoor-Hanfbauer selber arbeitet oft autonom und will möglichst nichts mit der Verteilung zu tun haben, da er vermeiden will, rückverfolgbar zu sein.
Wer ist der typische Hanfbauer?
Er ist zwischen 25 und 50 Jahre alt, Schweizer oder Secondo und schwer beschäftigt: Eine Anlage in der Grösse von der in Altstätten beschäftigt locker drei Personen vollzeit. Meistens stellt der Züchter seine Helfer schwarz und zu tiefen Löhnen ein, versorgt sie dafür häufig mit Cannabis. Wer gut arbeitet, kann vier mal im Jahr ernten, eine Anlage mit 10'000 Pflanzen produziert zwischen 800-1000 Kilogramm Marihuana pro Jahr.
Wir reden von sehr viel Geld.
Ja, wir reden von Gesamtumsätzen von bis zu einer Milliarde Franken pro Jahr, das in kriminelle Taschen fliesst und dem Staat durch die Lappen geht.
Der Staat sollte im Cannabis-Markt mitmischen?
Natürlich. Wie bei den Zigaretten und dem Alkohol. Die Schweizer Prohibitions-Politik ist mitschuld an der zunehmenden Kriminalität im Cannabis-Handel. Zudem setzt er die Konsumenten schutzlos einem kriminellen Gewerbe aus.
Was ist ihr Vorschlag?
Der Staat sollte den Cannabis-Markt, den -Anbau, die - Distribution und die -Konsumation reglementieren. Wer Alkohol verkaufen will, braucht eine Lizenz, wer Alkohol produzieren will, tut dies nach gewissen Qualitätsregeln, wer Alkohol konsumieren will, muss gewisse Bedingungen erfüllen. Genauso sollte es mit Cannabis auch funktionieren.
Was würde das bringen?
Der Verkauf und die Qualität des Stoffes – die übrigens erwiesenermassen oftmals sehr schlecht ist – könnten so reglementiert und die Konsumenten besser kontrolliert werden. In der Schweiz könnte eine professionelle und zielgruppengenaue Präventionsarbeit aufgebaut werden. Das Geld dafür käme mit den Einnahmen durch die Lizenzvergaben sowie den eingesparten Unsummen, die heute für die Repression des Handels investiert werden, locker zusammen.
Durch Repression hofft man den Konsum zu senken.
Das ist eine Illusion. Der Prozentsatz kiffender Schweizer bleibt seit Jahren ungefähr stabil. Fast jeder dritte Schweizer kifft ab und zu, 10 bis 12 Prozent kiffen regelmässig. Die Verfügbarkeit von Cannabis bleibt seit Jahren unverändert. Der Kampf der Polizei gegen die Droge ist schon längst verloren.
Warum kriegt es die Polizei nicht hin, das Angebot auszurotten?
Das liegt in der Natur eines im Untergrund agierenden Gewerbes. Wird eine Hanfplantage dank einem Hinweis ausgehoben, entsteht irgendwo anders im Geheimen eine neue. Das Geld dafür ist da.
Die Anlagen fressen Unmengen an Strom, warum arbeitet die Polizei nicht mit Elektrizitätswerken zusammen?
Einerseits gibt es immer noch Datenschutz in der Schweiz, andererseits sind die Produzenten nicht dumm. Ich habe schon mehrere hochleistungsfähige Stromgeneratoren in Plantagen ausgehoben. Die kosten rund 50'000 Franken und machen den Hanfbauern vom Stromnetz unabhängig.
Was lässt Sie glauben, die Konsumentenzahlen würden bei einer Liberalisierung nicht explodieren, wie in Colorado?
Das System in Colorado ist schlecht. Es spült zwar dem Staat horrende Summen in die Kasse, weil es wie eine Geldmaschine funktioniert, die Reglementierungen sind aber schlecht. Es muss festgelegt werden, welche Menge an Cannabis-Produkten pro Person gekauft werden dürfen. Das tut Colorado nicht.
Es gibt nur zwei Gründe, die ein Aufrechterhalten der Prohibition rechtfertigen. Zum einen ist der Themenkomplex unter Weglassung sämtlicher vernünftigen Argumente geeignet, bei Wählern diffuse Ängste wachzurufen und ihnen vorzumachen, dass die Politik ihre Interessen vertreten. Es gibt intwischen nur noch wenige Bereiche, wo das tatsächlich der Fall ist.
Zum anderen schützt die Prohibition die Dealer-Mafia und deren Profite. Und die Dealer-Mafia hat offenbar einen weit längeren Hebel bei den Staatenlenkern als die Cannabis-Konsumenten.
Eine Legalisierung würde auch dem Bauernsterben Gegenwind bieten.
Bio-Cannabis 'aus der Region, für die Region', warum sich da Bauernverband und SVP noch nicht längst dahinter stellen ist mir ein Rätsel.