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Du willst nur das Beste? Voilà:
Frau Grave, als Ordensschwester leben
Sie eigentlich mit einem bedingungslosen
Grundeinkommen. Sie müssen
sich um Finanzen keine Sorgen machen.
Ja, das stimmt. Wenn zum Beispiel
eine Schwester in der Klosterküche arbeitet,
erhält sie dafür keinen Lohn. Aber sie
verfügt über die Gewissheit, dass für sie
bis an ihr Lebensende gesorgt wird.
Das bedingungslose Grundeinkommen
würde das Klosterprinzip in die
Gesellschaft tragen.
Nicht ganz. Es würde
aber dafür sorgen, dass ein Mensch so
viel erhält, dass er sein Leben in Würde
leben kann. Seine Grundbedürfnisse also
abgedeckt sind, ohne dass er dafür schuften
muss. Was er aber dazuverdient, sollte
dann schon ganz ihm gehören. Das ist
bei uns im Kloster anders: Was zusätzlich
verdient wird, wandert in den Gemeinschaftstopf.
Und wie wird sein Inhalt gerecht unter
den Schwestern verteilt?
Es ist ja so, dass
die eine zum Glücklichsein ein Paar Wanderschuhe
braucht und die andere ein
Klavier. Ist das Gerechtigkeit? Vielleicht
nicht, aber wenn es passt und jede das bekommt,
was sie wirklich braucht, dann ist
das schon richtig. Es darf einfach kein
Schnickschnack sein.
Läuft das ohne Konflikte ab?
Natürlich
kommt es da auch zu Streitereien. Damit
diese aber möglichst nicht entstehen oder
Spannungen abgebaut werden, treffen wir
uns regelmässig und sprechen über solche
Dinge. Es ist bei uns aber wie in jeder Beziehung
oder in jeder Familie: Alle tragen
einen Rucksack mit ihrer Vergangenheit.
Deshalb müssen auch wir uns bei Konflikten
aneinander angleichen oder auch mal
etwas stehen lassen.
Was mögen Sie an der Idee eines
bedingungslosen Grundeinkommens?
Dass man Menschen, die viel haben, sagen
kann: Schau mal, du hast Glück gehabt.
Du hast Begabungen mitbekommen und
konntest etwas daraus machen. Andere
haben diese Begabungen nicht bekommen,
oder es wurden ihnen Steine in den
Weg gelegt. Aber auch diese Menschen
brauchen ein Leben in Würde.
Was treibt die Ordensschwestern im
Kloster eigentlich an, einer Arbeit nachzugehen?
Das ist, wie sicher auch ausserhalb
des Klosters, ganz unterschiedlich.
Es gibt Ordensfrauen, die sind zufrieden
mit der Arbeit, die man ihnen zuteilt. Und
es gibt welche, die die ganze Zeit vor Ideen
sprühen und diese auch umsetzen wollen.
Ich gehöre eher zu den letzteren.
Ist es nicht interessant, dass der Reiz zu
arbeiten auch ohne Lohn existiert?
Das
lässt sich so pauschal nicht sagen. Ich denke,
es ist eher eine Frage des Naturells.
Manche Menschen haben Antrieb, andere
nicht. Auch in meiner Familie gibt es ganz
unterschiedliche Persönlichkeiten.
Das Grundeinkommen macht Menschen
faul, sagen Kritiker.
Das kann im
Einzelfall sein. Aber Faule gibt es überall,
auch ohne Grundeinkommen. Menschen,
die einfach nicht wollen. Sogar innerhalb
derselben Familie mit den gleichen Idealen
gibt es Menschen, die etwas aus ihrem
Leben machen, und andere, die scheitern.
Das ist einfach die menschliche Natur.
Wenn aber jeder sein Grundeinkommen
hat und darüber nachdenken kann, wie
man es sich noch schöner machen kann,
dann fängt der Mensch an zu überlegen
und lässt sich etwas einfallen.
Warum ist das so?
Das weiss ich aus meiner
Erfahrung als Pädagogin. Kinder wollen
immer von selber lernen, aber wir
treiben es ihnen ja in der Schule oft aus.
Man sollte wohl mehr darüber nachdenken,
wie man diese Lernbegierde beibehalten
will, dann werden die Kinder auch
später dem nachgehen, was sie wirklich
interessiert. Das bedeutet auch, dass man
nicht mehr darüber nachdenken sollte, wie Kinder wertvolle Mitglieder der Wirtschaft
werden, sondern vielmehr wertvolle
Mitglieder der gesamten Gesellschaft.
Das wäre mal etwas!
Sie glauben, der Mensch ist intrinsisch
motiviert?
Wenn ich an eine Grenze stosse
im Leben, dann merke ich das ja, dass
ich da eine Lücke habe, und dann kann ich mich darum kümmern, dieses Wissen zu
erwerben. Die meisten Menschen wollen
immer weiterlernen, sich immer weiter
entwickeln. Das ist auch im Kloster so.
Die wenigen Faulen bleiben faul, und diejenigen,
die sich weiter entwickeln wollen,
entwickeln sich weiter, wenn das Umfeld
einigermassen stimmt. Auch Menschen,
die nichts beitragen können, weil sie
krank oder eingeschränkt sind, wird es
immer geben. Und für diese muss die
Gesellschaft dann auch verstärkt sorgen.
Nicht jeder hat die nötigen Ressourcen
für ein gut geführtes Leben mitbekommen.
Und was passiert bei einem Grundeinkommen
mit Berufen, die heute in der
Gesellschaft nicht so angesehen sind?
Es wird auch in Zukunft immer junge
Menschen geben, die sich für einen Beruf
begeistern lassen. Auch solche, die nicht
so angesehen sind. Die besten Angestellten
sind jene, die spüren, dass sie ihre
Tätigkeit interessiert und begeistert. Da ist
das Geld dann auch nicht das einzig Entscheidende.
Man ist Bäuerin oder Handwerker,
weil man die Tätigkeit gerne
macht. Hier in unserem Haus in der Altstadt
von Zürich gibt es zum Beispiel
einen selbständigen Restaurator. Er liebt
dieses Haus richtiggehend. Und stellt er
uns nach einer Reparatur eine Rechnung,
sagt die Kirchenleitung: Das ist ja gar
nicht mal so teuer! Er verlangt also wohl zu wenig. Dafür wohnt er bescheiden, hat aber viel Zeit für seinen Sohn. Das gibt
ihm Freiheiten in der Gestaltung seines
Lebens.
Was bedeutet Bedingungslosigkeit aus
Ihrer Sicht?
Im religiösen Sinne sicher
zuerst einmal, dass ich bedingungslos geliebt
werde. Das ist etwas, was ich aber
auch annehmen muss. Also etwas, woran
ich glauben muss. Und diesen Glauben
daran muss ich auch immer wieder erneuern.
Ich kann ja einem Menschen auch
sagen: Ich stelle mich dir bedingungslos
zur Verfügung. Verliebte zum Beispiel
sind ganz bedingungslos. Klingt die erste
Verliebtheit ab, dann fängt man aber oft
an, Bedingungen zu stellen. Bedingungslosigkeit
bedeutet für mich vor allem: Du
genügst so, wie du bist. Du musst nichts
tun, um geliebt zu werden. Mit den Menschen
ist das nicht immer ganz einfach. In
meinem Glauben kann ich das aber erfahren,
dass ich genau so geliebt werde und
genüge, wie ich bin.
Wie würden Sie das auf das bedingungslose
Grundeinkommen übertragen?
Der Mensch wäre frei, mit dem
Grundeinkommen sein Leben gut zu gestalten.
Das Geld müsste sicherstellen,
dass die wesentlichen Dinge möglich sind:
Wohnung, Essen, Kleidung, aber auch etwas
Geld für Erholung und Erlebnisse
sowie etwas für die Gesundheit. Wer dann
merkt, dass das Geld nicht dafür reicht,
die eigenen Träume zu verwirklichen,
kann zusätzlich tätig werden. Das ist etwas,
was die meisten Menschen sowieso
wollen.
Und wer das Grundeinkommen nicht
braucht?
Wer es nicht braucht, kann es
für andere oder für die Allgemeinheit einsetzen.
Im Kloster denke ich, dass die
Schwestern wohl das Geld eher für andere einsetzen würden, was ja auch für die
gesamte Gesellschaft ein Gewinn wäre.
Jeder Mensch ist anders, hat andere Begabungen
und Anlagen. Die kann man nutzen
oder nicht. Wenn ich zwei Menschen
in meiner Familie vergleiche, war einer
von ihnen sehr intelligent und der andere
hat nicht so viel Begabung für sein Leben
mitbekommen. Er hat aber doch das allerbeste
aus seinem Leben gemacht. Der andere
war intelligent, hat sich aber wohl
gesagt: Was soll ich mich anstrengen, ich
finde das Leben, so wie es ist, angenehm.
Ich könnte mir vorstellen, dass der weniger
begabte Mann sich mit einem Grundeinkommen
vermutlich positiver entwickelt
hätte als der sehr begabte, der aber
nichts aus seinem Leben machen will.
Würde das Grundeinkommen noch andere
Dinge ändern?
Das Ansehen als
Professor oder Ärztin würde sich wohl
mit einem Grundeinkommen ändern. Mit
einem Grundeinkommen wären plötzlich
andere Berufe angesehen. Konkret: Ein
Bauarbeiter, der trotz Grundeinkommen
auf dem Bau arbeitet, würde vermutlich
mehr Anerkennung für seinen Beruf
erfahren als ein Arzt oder eine Bankdirektorin.