Gletscher sind ein feiner und ins Auge fallender Indikator für den Klimawandel: An den sich zurückziehenden Gletscherzungen ist die Erwärmung des Planeten wie an einem Fiebermesser abzulesen. Eine neue Studie eines internationalen Forschungsteams mit Beteiligung der ETH Zürich zeigt nun, dass sich der Schwund der Gletscher weltweit beschleunigt.
An der Studie, die am 28. April online in der Fachzeitschrift «Nature» veröffentlicht wurde, waren neben der ETH und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) auch die Universität Toulouse, die Ulster University in Nordirland, die Universität Oslo und die University of Northern British Columbia in Kanada beteiligt.
Die Tatsache, dass das Gletschereis seit Mitte des 20. Jahrhunderts rasant schmilzt, ist bekannt. Der Rückgang vollzieht sich dabei ungeachtet der Höhenlage oder der geografischen Breite weltweit. Doch das Ausmass des Eisschwundes sei bislang nur lückenhaft erfasst worden und lediglich unvollständig bekannt, schreibt die ETH in einer Mitteilung.
Die umfassende Studie zum weltweiten Gletscherschwund unter der Federführung der ETH Zürich und der Université de Toulouse ist die erste, die alle Gletscher der Welt – rund 220'000 – mit Ausnahme der Eisschilde Grönlands und der Antarktis umfasst. Sie ist, wie die ETH betont, von noch nie dagewesener räumlicher und zeitlicher Auflösung – und sie zeigt, wie schnell die Gletscher in den vergangenen zwei Jahrzehnten an Dicke und an Masse verloren haben.
Der Rückgang ist global: Fast überall schrumpfte das Volumen des einst ewigen Eises. Zwischen 2000 und 2019 büssten die Gletscher weltweit pro Jahr im Durchschnitt insgesamt 267 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) Eis ein. Mit diesem Volumen, so rechnet es die ETH vor, hätte die Landesfläche der Schweiz alljährlich sechs Meter unter Wasser gesetzt werden können.
Ins Auge fällt zudem, dass sich der Masseverlust in diesem Zeitraum stark beschleunigt hat: Verloren Gletscher zwischen 2000 und 2004 noch 227 Gigatonnen Eis pro Jahr, so lag der Masseverlust zwischen 2015 und 2019 bei 298 Gigatonnen pro Jahr.
Der Gletscherschwund erfolgt nicht überall mit derselben Geschwindigkeit: Zu den am schnellsten schmelzenden Gletschern gehören jene in Alaska und in Island, aber auch in den Alpen. Frühere Studien haben schon gezeigt, dass die Gletscher der Alpen seit der Jahrtausendwende bis 2014 etwa einen Sechstel (17 Prozent) ihres Eisvolumens – mehr als 22 Kubikkilometer – eingebüsst haben. Besonders betroffen vom Eisverlust sind die Schweizer Alpen, deren Gletscher die grössten Flächen und gleichzeitig die grössten Schmelzraten aufweisen.
Stark betroffen sind zudem die Hochgebirgsgletscher des Pamirs, Hindukuschs und Himalajas in Zentral- und Südasien.
In einigen Regionen hingegen verlangsamten sich zur Überraschung der Forscher die Schmelzraten zwischen 2000 und 2019: Dazu gehören Gletscher an der Ostküste Grönlands, in Island und Skandinavien. Als Grund für diese Verlangsamung sehen die Forscher eine Wetteranomalie im Nordatlantik, die von 2010 bis 2019 lokal für höheren Niederschlag und tiefere Temperaturen sorgte. Dies bremste den Eisschwund.
Ein weiteres Phänomen in einer weit vom Nordatlantik entfernten Region, mit dem sich die Forscher befasst haben, ist die sogenannte Karakorum-Anomalie in Zentralasien. In diesem Gebirge, das mit dem K2 den zweithöchsten Gipfel der Welt trägt, blieben die Gletscher vor 2010 stabil oder wuchsen sogar. Nun ist diese Anomalie jedoch am Verschwinden, wie das Forschungsteam zeigen konnte: Mittlerweile büssen auch die Gletscher im Karakorum an Masse ein.
Der Verlust von knapp 300 Gigatonnen Gletschereis zwischen 2015 und 2019 trug bis zu 21 Prozent des gemessenen Meeresspiegel-Anstiegs bei, jährlich also etwa 0,74 Millimeter. Etwas höher ist der Beitrag des Schmelzwassers, das von den Eisschilden Grönlands und der Antarktis stammt oder von Veränderungen bei Wasserspeichern auf den Landmassen: Er macht rund ein Drittel des Anstiegs aus. Am stärksten wirkt sich die thermische Ausdehnung des sich erwärmenden Wassers aus; auf diese ist rund die Hälfte des Meeresspiegel-Anstiegs zurückzuführen.
Grundlage für die Studie waren Bilder, die das Multispektralinstrument ASTER an Bord des Nasa-Satelliten «Terra» aus 700 Kilometer Höhe aufgenommen hat. Der Satellit umrundet seit 1999 alle 100 Minuten einmal die Erde. Das Instrument ASTER erfasst mit zwei Kameras sogenannte Stereobilder, die es den Forschern erlauben, von allen Gletschern der Welt zeitlich und räumlich hochaufgelöste digitale Höhenmodelle zu erstellen.
Anhand des ASTER-Bildarchivs konnten die Forscher Zeitreihen zur Mächtigkeit der Gletscher rekonstruieren und darauf basierend die Dicken- und Massenveränderungen des Eises über die Zeit berechnen. Um die Daten aufzuarbeiten, verwendete das Forscherteam einen Hochleistungscomputer der University of Northern British Columbia.
Die in der Studie präsentierten Resultate können nun verwendet werden, um hydrologische Modelle zu verbessern und genauere Vorhersagen auf lokaler und globaler Ebene zu machen. So könnten sie dazu herangezogen werden, um abzuschätzen, wie viel Schmelzwasser von Himalaja-Gletschern in den kommenden Jahrzehnten zu erwarten ist.
Ausserdem werden die Resultate in den nächsten Zustandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) einfliessen, der noch in diesem Jahr erscheinen soll. «Auf politischer Ebene sind unsere Erkenntnisse wichtig. Die Welt muss jetzt wirklich Hand anlegen, damit wir Punkto Klimaänderung das Schlimmste noch abwenden können», sagt Mitautor Daniel Farinotti, Leiter der Glaziologie-Gruppe an der ETH Zürich und der WSL. (dhr)
Lieber leben wir weiter auf Kosten der zukünftigen Generationen und allfällige ex-post Massnahmen werden leider nicht die erwünschte Wirkung erzielen.
Ich bitte jeden, etwas Nachhaltiger zu leben. Bitte!