Die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über ein institutionelles Rahmenabkommen scheinen gut voran zu kommen. Der Schweizer Staatssekretär Yves Rossier sprach am letzten Donnerstag in Brüssel von «grossen Fortschritten». Es gebe aber noch einiges zu tun. Der scheidende EU-Chefdiplomat David O'Sullivan ergänzte, es gehe nun darum, die «richtigen Formulierungen» zu erarbeiten: «Ich bin überzeugt, wir werden eine Einigung finden.»
Bundespräsident Didier Burkhalter äusserte sich in einem Interview mit der «Schweiz am Sonntag» ebenfalls vorsichtig optimistisch. Zwei von vier offenen Fragen seien vollständig geklärt: Die Übernahme von EU-Recht und die Überwachung. Noch keine Lösung gebe es bei der Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und bei der Frage, wie es weitergehe, wenn die Schweiz mit einem Entscheid des EuGH nicht einverstanden sei und man einen Streit nicht beilegen könne.
Die Rolle der «fremden Richter» ist das heisseste Eisen bei den Verhandlungen mit der EU. Und genau in diesem Punkt scheinen die Positionen sehr viel weiter auseinander zu liegen, als die freundlichen Worte der Delegationsleiter glauben machen. Brüssel zeige sich im Streit um die Zuständigkeiten der EU-Richter kompromisslos, berichtet die «NZZ am Sonntag».
Bern habe gefordert, dass der EuGH nur bei Streitfällen im Rahmen des in der ganzen EU geltenden Rechts entscheiden solle. Die EU-Unterhändler beharrten hingegen darauf, dass auch Sonderregelungen mit der Schweiz unter die Zuständigkeit des EuGH fallen. Die Richter hätten in diesem Fall gegenüber der Schweiz deutlich mehr Einfluss.
Als Beispiel erwähnt die «NZZ am Sonntag» die Aktivierung der Ventilklausel bei der Zuwanderung für die acht neuen EU-Mitgliedsstaaten vor zwei Jahren. Die EU-Länder seien mit der Berechnungsmethode der Schweiz nicht einverstanden gewesen. Sie hätten aber keine Handhabe gehabt, vor Gericht dagegen vorzugehen. Solches wolle die EU nun unterbinden.
Bei «unabhängigen Beobachtern» verdichte sich der Eindruck, Brüssel setze die Schweiz zunehmend unter Druck: Entweder akzeptiere sie eine weitgehende Eingliederung in die Rechtsordnung der EU – oder die bilateralen Verträge seien gefährdet. Ein solcher Abschluss aber wäre Wasser auf die Mühlen von SVP-Vordenker Christoph Blocher, der durchs Land tourt und gegen den «schleichenden EU-Beitritt» der Schweiz wettert.
Aussenminister Didier Burkhalter hat die Brisanz dieses Punktes erkannt. «Sollte die EU darauf bestehen, dass EuGH-Interpretationen endgültig sind, könnten wir das nicht akzeptieren», sagte er der «Schweiz am Sonntag». Ein Scheitern der Verhandlungen schliesst er explizit nicht aus: Könne der Bundesrat das Ergebnis nicht akzeptieren, «dann wird es nicht unterschrieben».
In diesem Fall bliebe es bei den Bilateralen vorerst beim Status Quo. Das weitgehend ausgehandelte Abkommen über die Beteiligung der Schweiz am gemeinsamen europäischen Strommarkt dürfte kaum in Kraft treten, und ein Entgegenkommen der EU bei der Personenfreizügigkeit könnte die Schweiz erst recht vergessen. Die ungewöhnliche Offenheit, mit der Burkhalter über noch nicht beendete Verhandlungen spricht, ist wohl vor diesem Hintergrund zu verstehen.