Dietrich Mateschitz hat es geschafft. Auch wenn es viele Mütter nie zugeben würden: Von Bangkok bis ins Entlebuch hat wohl jeder Knirps schon einmal seinen Zaubertrank geschlürft. «Red Bull verleiht Flügel» heisst der Zuckersirup-Slogan seines Multimilliarden-Imperiums – doch nie hat er besser gepasst, als bei Sloweniens Shootingstar Kevin Kampl.
Im Sommer 2012 ist der damals 21-jährige Flügelflitzer beim VfR Aalen in der 2. Bundesliga gelandet. 250'000 Euro Ablöse an Osnabrück, Vierjahresvertrag. Das ist okay, das ist solide – aber es ist nicht der Stoff, aus dem die grossen Fussballträume sind.
Auch Kampl, der als Sohn slowenischer Gastarbeiter im deutschen Solingen geboren wurde, hat sich das wohl anders vorgestellt. Zwei Jahre zuvor durfte er bei seinem Jugendverein Bayer Leverkusen den ersten Profivertrag unterschreiben und 17 Mal in der Bundesliga auf der Bank Platz nehmen. Ein Fussbruch stoppte ihn damals abrupt. Und nun die Fussball-Provinz? Nein. Acht Wochen nach der Ankunft bei Aalen macht Kampl schon wieder einen Abflug. Was ist passiert?
Red Bull ist passiert. Genauer: Red Bull Salzburgs Peinlich-Pleite in der Champions-League-Qualifikation gegen den luxemburgischen Fussballzwerg F91 Düdelingen. Dosen-Sportchef Ralf Rangnick reagiert auf die Blamage mit einem Kaufrausch erster Güte und wechselt Wochen nach dem Liga-Start die halbe Mannschaft aus. Das Motto: «Die Saison beginnt noch einmal neu.» Als sich der Salzburger Staub nach der teuren Hauruck-Aktion langsam wieder legt, stehen acht neue Spieler beim Retortenklub im Sold. Am letzten Tag des Transferfensters stösst auch Kevin Kampl dazu.
Möglich macht es eine Ausstiegsklausel bei Aalen. Drei Millionen Euro muss Salzburg überweisen, um Kampls eben erst geschlossenen Vertrag hinfällig zu machen. Das sind eine Menge Dosen Red Bull – und eine unglaubliche Marktwertexplosion für einen Spieler: 1200 Prozent. In acht Wochen!
In Salzburg senkt das verärgerte Publikum sofort den Daumen. Drei Millionen? Für einen Nobody, der es nie richtig gepackt hat? Ralf Rangnicks Sinne müssen vom vielen Koffein vernebelt sein.
Doch das ist vielleicht die grösste Fehleinschätzung der jüngeren Salzburger Fussballgeschichte. Denn der Neuzugang bietet nicht nur mit seiner farbenprächtigen Irokesenfrisur etwas fürs Auge – auch sportlich schlägt er bei den Bullen ein wie eine Naturgewalt. Zwei Jahre später wird Kampls Marktwert auf 9 Millionen Euro geschätzt.
Der Grund: In 97 Pflichtspielen hat er 24 Mal für Red Bull Salzburg getroffen. Und das ist noch nicht alles. Seine wahre Stärke zeigt sich in einer anderen Statistik. Sagenhafte 49 Assists hat er seinen Teamkollegen in der gleichen Zeit pfannenfertig serviert – und dazu dutzende zweitletzter Pässe gespielt. Kampl ist ein Kombinationsspieler, der meistens nicht am Ende der Angriffskette steht.
Natürlich sind diese Zahlen auch Ausdruck der absoluten Dominanz, mit der Salzburg durch die Liga pflügt. Ein 5:0 oder höher ist nicht selten gegen Fallobst-Gegner wie den SC Wiener Neustadt. Doch Kampl hat sich dennoch rasant entwickelt. Wie hat er das geschafft? Mit seinem Kampfgewicht von 65 Kilogramm bei einer Körpergrösse von 1,80 Meter gehört er nicht gerade in die Kategorie «schweres Geschütz».
Er selbst sagt: «Ich kann essen so viel ich will und im Kraftraum übernachten, da tut sich nichts. Aber das ist egal. In einem Zweikampf zählt nicht, mit wie viel Kilo du reingehst. Du musst wissen, wie du reingehst.» Was ihm an Masse abgeht, das macht die Rakete zudem mit einer gewaltigen Kombination an Technik und Dynamik wieder wett. Er ist schnell, wendig und extrem dribbelstark.
Im vergangenen Sommer hat Salzburg Kampls Vertrag um ein Jahr bis 2019 verlängert und ihm damit gleichzeitig eine erneute Ausstiegsklausel von 12 Millionen Euro abgekauft. Diverse Grossvereine hatten zuvor gelockt. Doch sein Weg führt wohl dereinst zum ebenfalls Red-Bull-kontrollierten Schwesterklub Leipzig – nämlich dann, wenn dessen Aufstieg in die 1. Bundesliga in trockenen Tüchern ist.
Und was tut man als umworbener Jungstar so? Frauen im Akkord aufreissen und schnelle Autos verschrotten? Nicht so Kampl. Er fährt zwar einen Mercedes mit 457 PS, aber das meistens gemächlich: «Ich liebe schnelle Wagen. Aber ich habe Angst, schnell damit zu fahren.» Das mag am guten Vorbild seiner Mutter Anica liegen. Diese hat einst mit 45 Jahren noch den Führerschein gemacht, um Kampl als Kind ins Training zu chauffieren. Kampl revanchiert sich heute regelmässig mit öffentlichen Liebesbekundungen.
Auch beim Thema Freundin setzt er auf Konstanz. Vanessa kennt er seit 13 Jahren, seit sechs sind sie ein Paar. Mal on, mal off, aber eines ist klar: Ihren Namen hat er als Tattoo auf seinem Handgelenk verewigt.
Ganz ein Ruhiger also, einer der nur spielen will. Die gegnerischen Fans fühlen sich trotzdem regelmässig provoziert. So auch diejenigen des FC Basel, die ihn im Europa-League-Achtelfinal der vergangenen Saison mit Gegenständen bewerfen und damit einen Spielunterbruch erzwingen. Weil gleichzeitig gezündelt wird, ist die Quittung happig: Ein FCB-Geisterspiel gegen Valencia. Vielleicht ist es der extravagante Auftritt, vielleicht seine schiere Klasse – vielleicht auch Spassvogel-Aktionen, wie der imitierte Balotelli-Jubel, die Kampl zur Zielscheibe machen.
Bei Salzburg wird er auf jeden Fall inbrünstig geliebt – und auch in der slowenischen Nationalmannschaft. Dort hat sich Kampl seit seinem Debüt gegen Zypern in der Schweizer Quali-Gruppe zur vergangenen WM als Stammkraft etabliert. Kein Wunder, denn er ist mittlerweile mit Abstand der wertvollste Feldspieler im Team von Trainer Srecko Katanec. Nur die beiden Goalies Samir Handanovic von Inter Mailand und Jan Oblak von Atlético Madrid haben einen höheren Marktwert.
Kampl, der auch den deutschen Pass besitzt, hat sich trotz der DFB-Avancen für das Geburtsland seiner Eltern entschieden. Als Junioren-Internationaler soll er 18-stündige Busfahrten auf sich genommen haben, um aus Deutschland zu den Zusammenzügen anzureisen. Der Lohn: Bisher elf A-Einsätze für Slowenien. Dabei gelang ihm ein Tor und ein Assist.
Nicht geklappt hat das 2013 in der letzten Begegnung mit der Schweiz. Im Stade de Suisse vergibt Slowenien die Chance auf den Platz in der WM-Barrage. Kampls Teamkollegen können zwei seiner guten Zuspiele nicht verwerten. Granit Xhaka beendet den slowenischen Traum schliesslich mit dem goldenen 1:0. In Maribor, der Heimatstadt seiner Eltern, feiert Kampl morgen seinen 24. Geburtstag. Es wäre die ideale Affiche für eine Revanche der Turbo-Dose. Doch da dürften Xherdan Shaqiri und seine Kollegen etwas dagegen haben.