Nach einem Einsatz gegen die regierungskritischen Proteste in der Türkei am Mittwoch ist ein Polizist an einem Herzinfarkt gestorben. Der 30-Jährige sei mit Tränengas in Berührung gekommen, berichtete die Nachrichtenagentur Dogan unter Berufung auf ein Spital.
Die Tageszeitung «Hürriyet» berichtete zudem von einem etwa 20-jährigen Mann, der in Istanbul bei einer Prügelei unter Demonstranten ums Leben gekommen sei. Die Polizei sei nicht beteiligt gewesen.
Zehntausende Regierungsgegner schlossen sich am Mittwoch einem Trauerzug zur Beerdigung des Jungen an. Der 15-Jährige Berkin Elvan war im Juni vergangen Jahres auf dem Höhepunkt der Protestwelle gegen die islamisch-konservative Regierung von einer Tränengasgranate schwer verletzt worden.
Augenzeugen berichteten, Beamte hätten am Mittwoch im Istanbuler Bezirk Osmanbey, wo Zehntausende gegen Polizeigewalt demonstrierten, Gummigeschosse, Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt. Ein Reporter der Nachrichtenagentur dpa beobachtete, wie Demonstranten mit Steinen auf die Polizei losgingen.
Nachdem mehrere Gruppen zu Protesten auf dem zentralen Taksim-Platz aufgerufen hatten, riegelte die Polizei alle Zufahrtstrassen ab und liess nur noch kleinere Gruppen von Passanten durch. Im Zentrum der Hauptstadt Ankara ging die Polizei mit Tränengas gegen mehrere tausend Demonstranten vor.
Der Junge lag seit Juni im Koma und starb am Dienstag nach 269 Tagen an seinen Verletzungen. Berkins Mutter macht Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan für den Tod ihres Sohnes verantwortlich. Der Ministerpräsident hatte die Polizisten während der Proteste als «Helden» bezeichnet.
In Ankara klebten seine Gegner am Mittwoch Plakate, auf denen Erdogan wie auf einem Fahndungsfoto abgebildet war. «Berkins Mörder - gefährlich und aggressiv», stand unter dem Porträt. «Der Mörder-Staat wird zur Verantwortung gezogen», stand auf einem Plakat. Die Proteste hatten sich im vergangenen Sommer an Plänen der Regierung entzündet, den Gezi-Park am Rande des Istanbuler Taksim-Platzes zu bebauen und richteten sich bald vor allem gegen Erdogans autoritären Regierungsstil.
Erdogan kritisierte die Demonstranten scharf: «Der Versuch, 18 Tage vor den Kommunalwahlen die Strassen in Brand zu setzen, zeugt nicht von einer demokratischen Gesinnung.» Die neuen Massenproteste setzen den Regierungschef, der schon von einem Korruptionsskandal belastet ist, noch stärker unter Druck.
Zudem verabschiedete das EU-Parlament am Mittwoch seine bislang kritischste Resolution zur Türkei. Darin zeigt sich das Parlament besorgt über die politische Entwicklung und übt scharfe Kritik an den jüngst erlassenen Internetgesetzen und der Kontrolle, die sich der Staat über die Justiz sicherte. Diese liessen die Türkei von ihrem Weg zur Erfüllung der EU-Beitrittskriterien «abweichen». (whr/sda)