Heute Abend geht im schwedischen Malmö die grösste Musikshow der Welt über die Bühne: der Eurovision Song Contest ESC. Millionen von Zuschauern werden vor den Bildschirmen sitzen und die meist belanglosen, teils freakigen Songs bei Bier und Chips geniessen.
Wäre da nicht das spezielle Format des Events, würden wohl die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer weiter zappen. Doch es geht um Ruhm und Ehre der Nationen, um einen musikalischen Wettstreit der europäischen Länder, der das Interesse des Publikums hochschnellen lässt.
Doch was hat der ESC in diesem Blog zu suchen? Der Event ist in ein Strudel geraten, bei dem Religion eine wichtige Rolle spielt. Der Austragungsort Malmö wurde zum internationalen Hotspot, die Bewohner haben Angst vor Anschlägen und gewalttätigen Krawallen. Viele bangen um ihre Sicherheit und verfluchen inzwischen den Event.
Auslöser des Erdbebens in Malmö ist der Gaza-Krieg. Bei diesem geht es zwar primär um eine politische Auseinandersetzung, doch die explosive Dynamik ausserhalb der Kriegszone hat vor allem damit zu tun, dass die jüdische Welt auf die islamische trifft.
Der angedrohte und inzwischen vollzogene Einmarsch der israelischen Armee in Rafah entzündete das Pulverfass. Verantwortlich dafür sind in erster Linie die orthodoxen Parlamentarier und Minister, die Netanyahu in Geiselhaft genommen haben. Hätte er sich geweigert, die Stadt anzugreifen, wäre die Koalition auseinandergebrochen und Netanyahu wäre politisch erledigt gewesen. Religion und Glaube bestimmen also das Schicksal von Israel und Palästina.
Die Proteste gegen den Staat Israel und die Juden allgemein sind von den Strassen über die Universitäten auf Malmö übergeschwappt. Beobachter berichten, die Stadt sei im Ausnahmezustand. Polizisten wurden aus dem ganzen Land aufgeboten und der Luftraum bleibt gesperrt. Die Stadt befürchtet Krawalle, im schlimmsten Fall Terroranschläge.
Der Grund für das umfangreiche Abwehrdispositiv ist die 20-jährige Sängerin Eden Golan.
Sie singt für Israel. Für viele Muslime, Palästinenser und Freunde Palästinas eine schiere Provokation. Sie wollten verhindern, dass die Vertreterin Israels am ESC eine Plattform bekommt und machten Druck auf den Veranstalter. Die israelische Sängerin müsse ausgeschlossen werden, forderten sie.
Ausserdem verlangten rund 1000 schwedische Künstlerinnen und Musiker verlangten in einer Petition den Ausschluss. Der Veranstalter gab aber nicht nach, verlangte aber textliche Anpassungen.
Prompt wurde Eden Golan bei der Generalprobe am Mittwoch ausgebuht. Und vor dem Halbfinal vom Donnerstag protestierten in Malmö 10’000 Teilnehmer an einer Demonstration gegen ihre Teilnahme und riefen zum Boykott auf. Es dürfte für sie eine Genugtuung gewesen sein, dass sie trotz der Störmanöver den Final erreichte.
Ein harmloses Wettsingen wird zum internationalen Politikum, bei dem der Glaube eine wichtige Rolle spielt. Er befeuert auch den Antisemitismus, der seit dem Gaza-Krieg auf unheilvolle Weise sichtbar geworden ist.
Es gibt in Schweden aber auch breite Kreise, die früher schon islamfeindliche Aktionen durchführten. Sie verbrannten öffentlich den Koran. Erst kürzlich wieder bei Protesten und Demonstrationen gegen den Islam. Dabei wurde auch eine palästinensische Fahne angezündet.
Die Vertreibung eines grossen Teils der palästinensischen Bevölkerung und die grossflächige Zerstörung ganzer Stadtteile spielt den Islamisten in die Hände. Sie können die Wut vieler Muslime nutzen, um sie zu radikalisieren.
Mit dem Einmarsch in Rafah haben die Brandstifter weitere Argumente, um die Bevölkerung zu instrumentalisieren und Attentäter zu rekrutieren. Auch hier geht es mindestens so sehr um den religiösen Glauben wie um Politik.
Für Paris ist diese Entwicklung ein Alptraum. Es ist unmöglich, die grossflächige Eröffnungszeremonie der olympischen Spiele entlang der Seine abzusichern. Man kann davon ausgehen, dass islamistische Spezialeinheiten schon seit Monaten Szenarien durchspielen, wie sie ein Attentat verüben könnten. Erinnerungen an die olympischen Spiele von 1972 in München werden wach. Damals ermordeten palästinensische Terroristen bei einem Anschlag elf Mitglieder der israelischen Delegation.
Die Beispiele zeigen, wie toxisch der religiöse Glaube sein kann. In ihm steckt das Potenzial der Radikalisierung. Werden Gläubige für politische Ziele und Zwecke instrumentalisiert, entsteht eine unheimliche und unkontrollierbare Dynamik.