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«Dies könnte die späte Rache von Frau Widmer-Schlumpf sein»

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USR III: «Dies könnte die späte Rache von Frau Widmer-Schlumpf sein»

Michael Hermann, einer der meistbeachteten Politikforscher der Schweiz, analysiert den derzeitig hastigen Schlagabtausch der Politiker um die USR III. Ein Gespräch über Glaubensfragen und die grausame Rache der Eveline Widmer-Schlumpf.
26.01.2017, 08:2127.01.2017, 12:49
Rafaela Roth
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Herr Hermann, diese Woche kam Bewegung in den Abstimmungskampf um die USR III. Alt-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf äusserte sich im «Blick» kritisch zur Vorlage. War das wirklich der «Gamechanger», als den er jetzt gehandelt wird? 
Michael He
rmann: Ob er das tatsächlich war, wissen wir erst im Nachhinein. Ich kann mich jedoch nicht erinnern, dass je ein einzelnes Interview eine Abstimmungsdebatte derart stark geprägt hat. Insofern ist es sicher ein Gamechanger. Widmer-Schlumpf hat die Frage nach der «Ausbalanciertheit» der Vorlage ins Spiel gebracht und die Richtigkeit der Berechnungen des Bundesrats über die zu erwartenden Steuerausfälle empfindlich in Zweifel ziehen können. 

So liess sich Eveline Widmer-Schlumpf am Montag im Blick zitieren.
So liess sich Eveline Widmer-Schlumpf am Montag im Blick zitieren.bild: screenshot/blick

Ist es damit um die USR III geschehen? 
Nein, das ist noch nicht gelaufen. Die Gegenseite – mit Ueli Maurer an der Spitze, der am Mittwoch seinerseits viel Platz im «Blick» erhielt – hat gut gekontert. Er konnte Eveline Widmer-Schlumpf teilweise in Frage stellen, weil er ins Feld führte, dass sie selber hinter verschiedenen Massnahmen stand, die sie jetzt kritisiert. 

So schlug Ueli Maurer zurück: «Widmer-Schlumpf steht schon eine ganze Weile im Abseits», zitiert Blick am Dienstag.  
So schlug Ueli Maurer zurück: «Widmer-Schlumpf steht schon eine ganze Weile im Abseits», zitiert Blick am Dienstag.  

Trotzdem, Eveline Widmer-Schlumpf geniesst als langjährige Finanzministerin grosse Glaubwürdigkeit im Thema. 
Das stimmt. Glaubwürdig sind aber auch die Kantonsregierungen, die klar hinter der Vorlage stehen. Wenn die USR III allerdings abgelehnt wird, dann wird Widmer-Schlumpfs Interview in die Geschichte eingehen, als eines mit der grössten Tragweite seit jeher. Das dürfte dann eine Genugtuung für sie sein.

Michael Hermann
Politgeograf Michael Hermann.Bild: zvg
«Wenn die USR III tatsächlich abgelehnt wird, wird Widmer-Schlumpfs Interview in die Geschichte eingehen.»

Die späte Rache der Eveline Widmer-Schlumpf? 
Ja, dies könnte die späte Rache von Frau Widmer-Schlumpf sein. Man darf nicht vergessen, dass Widmer-Schlumpf nicht aus freien Stücken aus dem Bundesrat zurückgetreten ist, sondern weil sie vom seit den Wahlen dominierenden SVP-FDP-Block aus dem Amt gedrängt wurde.

Auch die Amtszeit hat ihr die Rechte nicht unbedingt gemütlich gemacht. 
Sie war auch immer eine starke Gegnerin – kompetent und ungewöhnlich dossierfest. Das musste 2008 auch Christoph Blocher erfahren, als er sich kurz nach seiner Abwahl als Bundesrat an ihr zu rächen versuchte mit seinem Totaleinsatz für die SVP-Initiative «Einbürgerungen vor das Volk». Er trat in der SRF-Sendung «Arena» gegen die neue Justizministerin an. Sie schlug ihn empfindlich. Die Initiative schiffte daraufhin ab, obwohl die SVP so viel Geld in die Kampagne steckte, wie noch nie bei einer Initiative.

Für die USR III muss sie das nicht, die Wirtschaftsverbände zahlen. Eine BAK-Basel-Studie im Auftrag von Economie Suisse prophezeit den Verlust von 200'000 Stellen und das aufgrund eines unrealistischen Worst-Case-Szenarios. Ist das okay in Abstimmungskämpfen? 
So hat Propaganda schon immer funktioniert. Problematischer ist, wenn Medien diese Propaganda einfach übernehmen. Ob es gute Propaganda ist, wage ich dennoch zu bezweifeln. Es ist so offensichtlich übertrieben, dass es der Glaubwürdigkeit schadet. Und Glaubwürdigkeit  ist das wichtigste Gut in diesem Abstimmungskampf.

Es scheint, als ginge es bei der USR III beinahe nur noch um eine Glaubensfrage. Verstehen kann die Vorlage ja kein Normalsterblicher. Wie soll man da als Stimmbürgerin entscheiden? 
Vertrauen gehört auch zur Demokratie. Tatsächlich müssen die Bürgerinnen und Bürger sich entscheiden, welcher Seite sie glauben wollen. Das Schöne in der Schweiz ist aber auch, dass Abstimmungen keine schwarz-weiss-Entscheide sind. Demokratie ist ein ständiger Prozess und es gibt immer Alternativen. 

«Den Befürwortern ist es erstaunlich gut gelungen, den Eindruck zu erwecken, es gäbe keine Alternative zu dieser Vorlage.»

Obwohl die Befürworter der USR III uns glauben machen wollen, die Schweiz würde untergehen, wenn wir die Steuervergünstigungen jetzt nicht durchwinken. 
Ja, den Befürwortern ist es erstaunlich gut gelungen, den Eindruck zu erwecken, es gäbe keine Alternative zu dieser Vorlage und die Sanktionen der EU und OECD würden schrecklich, wenn wir sie nicht jetzt sofort durchwinken. Widmer-Schlumpf hat nun allerdings geschickt aufgezeigt, dass ein Nein nur der Start für eine neu ausbalancierte Vorlage wäre.

Trotzdem, es scheint, als stünde die Welt Kopf: Die bürgerliche Politikerin Widmer-Schlumpf kritisiert die USR III, SP-Politikerin Eva Herzog verteidigt sie. 
Natürlich erhalten genau solche Figuren besonders viel Beachtung. Durch ihre Position erscheinen als besonders glaubwürdig und das ist bei dieser komplizierten Vorlage eben noch wichtiger als sonst.

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59 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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rodolofo
26.01.2017 08:32registriert Februar 2016
Eines wissen wir mit Bestimmtheit, weil wir das irgendwie spüren:
Eveline Widmer-Schlumpf ist ÄUSSERST KOMPETENT!
Das heisst, wenn Sie etwas sagt, dann hat das Hand und Fuss! Da ist eine Berglerin, die weiss, wie etwas Wetterfest gebaut werden muss!
Danke Eveline, für Deine wichtige Unterstützung im (aussichtslosen) Kampf gegen die geldgierigen Abzocker und Blutsauger, die noch nicht genug haben von der Schwarzwälder-Torte, von der sie sich weiter reinstopfen, was sie kriegen können, während sie für die Anderen nur noch einige Krümel übrig lassen...
Du bist die "Schweizerin des Jahrzehnts"!
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herschweizer
26.01.2017 08:31registriert November 2014
Schlumpf ist ein Profi und nicht auf den Kopf gefallen. Aus ist man in dem Alter nicht mehr empfänglich für finanzielle Versuchungen.... Ein Hoch auf Schlumpf
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Der Rückbauer
26.01.2017 10:43registriert September 2015
USR III folgt genau dem neoliberalen Konzept, welches die Unterschiede in der Vermögens- und damit Machtverteilung in den vergangenen Jahren so gross werden liess. Das Argument "wenn ihr nicht ja stimmt, geht's bergab" (werdet Ihr arbeitslos...das ist ja die Drohung) mag ich schon gar nicht mehr hören. Liberale Politik ist gut, neoliberale nicht.
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